Securitygewalt und institutioneller Rassismus bedrohen Schwarze Leben

Ehemaliger Bewohner des ANKER-Zentrum Bamberg reicht Verfassungsbeschwerde ein

Pressemitteilung des Bayerischen Flüchtlingsrates, von Justizwatch und Culture of Deportation, 16. Juni 2020

Der senegalesische Asylsuchende Sidi F. (Name geändert) wurde am 27. September 2017 von einer großen Gruppe von Sicherheitsdienstmitarbeitern in der damaligen Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO) Bamberg angegriffen und schwer misshandelt. Das Ermittlungsverfahren gegen die Wachmänner wurde ohne Ergebnis eingestellt. Im Februar 2020 hat Sidi F. nun Verfassungsbeschwerde erhoben mit dem Ziel, dass gegen die Angreifer Anklage erhoben und der Vorfall detailliert aufgeklärt wird. Das hatten die Staatsanwaltschaft Bamberg, die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg sowie das Bamberger Oberlandesgericht zuvor abgelehnt, obwohl umfassendes belastendes Beweismaterial gegen die Wachdienstmitarbeiter vorliegt. Sidi F. sieht sein Recht auf effektive Strafverfolgung verletzt, das sich aus der Verpflichtung des Staates ergibt, Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Weiterlesen

Kein Infektionsschutz für Geflüchtete

Seit Wochen protestieren Geflüchtete und Unterstützer*innen gegen die andauernde Lagerpflicht. Die Lebensbedingungen in Ankerzentren, Aufnahmeeinrichtungen und anderen großen Massenunterkünften waren schon immer menschenunwürdig; angesichts der Ausbreitung des Corona-Virus sind sie aktuell aber lebensgefährlich geworden. Aufgrund der beengten Wohnverhältnisse, geteilter Sanitäranlagen und Kantinen können die notwendigen Abstandsregeln nicht ansatzweise eingehalten werden. In vielen Lagern haben sich daher innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Asylsuchende mit dem Virus infiziert, vielerorts wurden daraufhin ganze Unterkünfte unter Quarantäne gestellt. Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert, dass eine „Durchseuchung“ der Bewohner*innen billigend in Kauf genommen werde. In Bayern sind bereits drei Geflüchtete an Covid-19 gestorben.

Die Verwaltungsgerichte in Leipzig, Dresden, Chemnitz und Münster haben seit Mitte April in mehreren Fällen angeordnet, dass Geflüchtete aus Sammelunterkünften entlassen werden mussten, weil es dort nicht möglich war, Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten. Noch weigern sich Bund und Länder, Konsequenzen aus den Entscheidungen der Gerichte zu ziehen und Geflüchtete endlich dezentral in Wohnungen, leerstehenden Hotels oder Ferienapartments unterzubringen. Im Gegenteil werden Proteste gegen die Lagerunterbringung immer wieder unter Einsatz von Polizeigewalt unterbunden. Zuletzt rückte im Ankerzentrum Geldersheim bei Schweinfurt ein Großaufgebot der Polizei mit Schutzanzügen, Schlagstöcken, Pfefferspray, Hunden und zwei Helikoptern an, um 60 Protestierende einzuschüchtern. Weiterlesen

Corona-Polizei: Die ganze Stadt wird zum Gefahrengebiet

Um auf die Ausbreitung des Corona-Virus zu reagieren, wurden Mitte März bundesweit weitreichende Beschränkungen des öffentlichen Lebens eingeführt. Diese gesundheitspolitisch wahrscheinlich zumindest in Teilen sinnvollen Maßnahmen führten zu einem problematischen Machtzugewinn der Polizei, da diese mit der Kontrolle der neuen Regelungen im öffentlichen Raum beauftragt wurde. In der Folge kam es zu einem Anstieg von willkürlichen Kontrollen, Schikanen und Polizeigewalt, die u.a. auf Twitter unter dem #CoronaPolizei gesammelt wurden. Besonders betroffen waren diejenigen, die ohnehin regelmäßig ins Visier der Polizei geraten: Obdachlose, Schwarze Menschen und People of Color. Auch bei linken politischen Veranstaltungen – deren Teilnehmer*innen zum Beispiel für die Evakuierung der Lager an den Europäischen Außengrenzen demonstrierten – wurde besonders hart durchgegriffen. Dabei drängt sich die Vermutung auf, dass der Infektionsschutz lediglich als Vorwand diente: Denn die Beamt*innen, die vorgeblich die Einhaltung von Abstandsregelungen durchsetzten, nahmen es selbst mit den einfachsten Hygienemaßnahmen häufig nicht so genau. Immer wieder verzichteten sie auf einen Mundschutz und missachteten zudem den gebotenen Sicherheitsabstand. Weiterlesen

Demonstration am 15.3. zum Internatiomalen Tag gegen Polizeigewalt wird verschoben!

Wir möchten allen aktiven Menschen nahelegen verantwortungsvoll mit der aktuellen Situation rund um Corona umzugehen; wir sehen zwar einerseits die Notwendigkeit auch und gerade in Zeiten von zusätzlichen rassistischen rechtsterroristischen Bedrohungen unser Recht auf Protest immer noch auszuüben. Wir möchten aber gleichzeitig – und nicht nur wegen der Auflagen bzgl. Corona – insbesondere den Angehörigen von Risikogruppen gegenüber Verantwortung übernehmen und werden daher leider die Demo bis auf weiteres verschieben. Wir halten euch auf dem Laufenden.

 

Demo gegen Polizeigewalt am 15. März

Zum Internationalen Tag gegen Polizeigewalt am 15. März 2020 lädt die Kampagne „Death in Custody – Aufklärung von Tod in Gewahrsam jetzt!“ zur bundesweiten Demonstration in Berlin-Moabit ein. Death in Custody ist ein Bündnis von verschiedenen antirassistischen, antikolonialen Gruppen und Einzelpersonen.

Immer wieder sterben in Deutschland Schwarze und People of Color in Gewahrsam von Polizei und anderen staatlichen Institutionen. Oft werden die Opfer kriminalisiert, die Tatumstände seitens der der Ermittlungsbehörden vertuscht, während die Täter_innen straffrei davonkommen und in der weißen deutschen Dominanzgesellschaft das Schweigen über diese Todesfälle herrscht. Der Tod in Gewahrsam von rassifizierten Personen hat eine lange Tradition in Deutschland und Europa. Lasst uns gemeinsam gegen dieses kolonialrassistische System auf die Straße gehen und das Schweigen brechen!

In Gedenken an die Opfer und in Solidarität mit den Angehörigen fordern wir die umfassende Aufklärung der Todesfälle, Verurteilung der Täter_innen, Stärkung der Rechte der Betroffenen und wirksame Konsequenzen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, um weitere Todesfälle zu verhindern!

Treffpunkt: 15. März 2020 | 14:00 | U-Turmstraße, Berlin-Moabit

#DeathInCustodyDE

https://www.facebook.com/deathincustodyDE

 

Berufungsverhandlung im „Pappnasenprozess“

Wir dokumentieren im Folgenden einen Prozessbericht von Copwatch Hamburg:
Am 10. Februar 2020 ging der Prozess gegen einen solidarischen Anwohner, der Kritik an der rassistischen und schikanösen Polizeipraxis auf St. Pauli geäußert hatte, in die zweite Runde. In erster Instanz zu 60 Tagessätzen verurteilt, hatte die Staatsanwaltschaft aber noch nicht genug und ging in Berufung. Diesmal wurde das Verfahren eingestellt. Wieder sind rund 20 Menschen gekommen, um den Prozess solidarisch und kreativ zu beobachten.

Dem Anwohner wurde vorgeworfen am 7. September 2018, einen Polizisten mit den Wort „Pappnase“ in dessen Ehre verletzt zu haben. Da der Beschuldigte, nachdem er mit einem Kopfgriff brutal zu Boden gebracht wurde, seine Muskeln angespannt haben soll, lautete die Anklage: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Bereits im ersten Prozess machte der Angeklagte deutlich, dass es im Verfahren um die rassistische Polizeipraxis auf St. Pauli und nicht etwa um die „Ehrverletzung“ des Polizisten oder den herbeigedichteten Widerstand gehen müsse. So erklärte er in seiner Stellungnahme: „Deshalb muss hier heute über Rassismus gesprochen werden. Denn Rassismus ist kein individuelles Phänomen, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, das u.a. Institutionen wie Polizei und Gerichte durchzieht. Somit rekurriert polizeiliches Handeln immer auch auf ein gesamtgesellschaftlich vorhandenes rassistisches Wissen ohne, dass der einzelne Polizeibeamte zwangsläufig intentional rassistisch handelt. Und durch die rassistischen Kontrollen in St. Pauli wird eben dieses rassistische Wissen reproduziert, indem Schwarze Menschen und People of Color als gefährliche Subjekte markiert werden. Ich bleibe dabei: Ich werde mich mit den stigmatisierten Schwarzen Menschen in meiner Nachbarschaft weiter solidarisieren.“

Wir rufen dazu auf, es dem Angeklagten gleich zu tun und der rassistischen Vertreibungspraxis auf St. Pauli und anderswo konsequent zu widersprechen. Überall da wo Menschen durch die Polizei rassistisch diskriminiert und schikaniert werden, ist praktische Solidarität gefragt.

Die vollständige Prozesserklärung gibt es hier: Weiterlesen

Prozess gegen Geflüchtete aus Eritrea endet mit zwei Verurteilungen – gewalttätige Securities bleiben weiter straffrei

Im Prozess gegen vier Geflüchtete aus Eritrea vor dem Bamberger Landgericht wurde am 7. November 2019 nach sieben Verhandlungstagen das Urteil gesprochen. Für zwei Angeklagte endete der Prozess mit Haftstrafen, zwei weitere wurden freigesprochen.

Ausgerechnet E., der selbst durch Securities schwer verletzt wurde, verurteilte das Gericht als vermeintlichen „Hauptaggressor“ zu 9 Jahren und 6 Monaten Haft. T., der aus Sicht der Richter der zweite „Haupttäter“ war, wurde freigesprochen, weil bei ihm eine „psychische Störung“ vorliege. Zugleich ordnete das Gericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. S. wurde zu einem Jahr und neun Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurden. Für O., der selbst von keinem Zeugen belastet wurde, aber seine Mitangeklagten schwer belastete, endete der Prozess mit einem Freispruch.

Es ging in dem Prozess um Geschehnisse im Ankerzentrum Bamberg am 11. Dezember 2018. Wegen einer angeblichen Ruhestörung kam es in der Nacht in Block 7 zunächst zu einem verbalen Streit zwischen Securities und Eritreern, der später zunehmend eskalierte. Aus Protest gegen die systematische Gewalt und Schikanen des Wachdienstes und das rassistische Lagersystem begannen Geflüchtete einen Riot, in dessen Zuge im ersten Stock des Gebäudes ein Brand gelegt wurde. Es kam ferner zu massiver Gewalt von Wachleuten gegen Geflüchtete in Anwesenheit der Polizei.

In der Folge wurden vier junge Männer aus Eritrea wegen gefährlicher Körperverletzung, tätlichen Angriffs und schwerer Brandstiftung angeklagt. Die Ermittlungen gegen die Wachleute wurden indessen eingestellt. Erneut wurden somit Geflüchtete kriminalisiert, während gewalttätige Securities straffrei bleiben.

Weitere Infos:

Artikel zu Prozess und Urteil in analyse & kritik 655 vom 10.12.2019
Zwischenbericht von Justizwatch & Culture of Deportation vom 4.11.2019
Aufruf zur Prozessbeobachtung von Justizwatch & Culture of Deportation ab 14.10.2019
Erklärung von Justizwatch & Culture of Deportation 18.12.2018
Erklärung von Justizwatch & Culture of Deportation 8.5.2018

Ausführliche Protokolle zu den einzelnen Verhandlungstagen folgen bald.

Hussam Fadl – von der Berliner Polizei von hinten erschossen

Infoveranstaltung der Kampagne Gerechtigkeit für Hussam Fadl zum aktuellen Stand des Verfahrens

Mittlerweile ist es mehr als drei Jahre her, dass die Berliner Polizei Hussam Fadl bei einem Einsatz von hinten erschoss. Und noch immer gibt es keine Anklageerhebung gegen die beschuldigten Polizist*innen. Wir bekommen den Eindruck, dass die Berliner Staatsanwaltschaft und auch die Generalstaatsanwältin die neue Ermittlungen blockieren, die durch das Kammergericht angeordnet wurde.

Wir laden alle zu einer Infoveranstaltung am Freitag den 13.12.2019 um 18:30 Uhr ins Aquarium ein. Der Anwalt der Witwe von Hussam Fadl, Ulrich von Klinggräff, wird über den aktuellen Stand des Verfahrens berichten.

Kommt zur Veranstaltung, macht mit uns öffentlichen Druck, und fordert mit uns: Lückenlose Aufklärung der Erschießung von Hussam Fadl! Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft und ein Strafverfahren gegen die Polizeibeamten, die auf Hussam Fadl geschossen haben! Die sofortige Suspendierung der beschuldigten Polizisten!

Rassismus: Mal wieder kein Thema vor Gericht

J, ein Schwarzer Mann, ist Mitglied bei einem Fitness-Studio in Berlin. In der Sauna kommt es zu einem Konflikt mit einem anderen Mitglied, einem weißen Mann, der ihm auf unbegründet feindselige Weise verbietet, sein Buch in der Sauna zu lesen. Der weiße Mann beschwert sich bei dem Fitnesscenter-Management und wirft J Beleidigung vor: Dieser habe ihn u.a. als Rassisten, Nazi-Schwein und Idioten beleidigt. Zum angegebenen Zeitpunkt der Beleidigung hat sich J jedoch nachweislich nicht in Deutschland aufgehalten. Anstatt den Konflikt weiter zu prüfen und auf faire Weise aufzuarbeiten, z.B. indem die Perspektiven beider Mitglieder eingeholt werden, verweist das Management auf die Hausordnung und gibt an, J sei diesbezüglich belehrt worden. Auch diese Angabe ist fraglich, da J zum angegebenen Zeitpunkt nicht im Fitnessstudio war (nachweisbar durch die Einlog-Daten der Mitglieder). Das Management erteilt J Hausverbot. Gleichzeitig wird von ihm verlangt, den gesamten monatlichen Mitgliedbeitrag zu zahlen. Weiterlesen

Prozessbericht: Landgericht und Staatsanwaltschaft Bamberg vertuschen systematische Security-Gewalt gegen Geflüchtete

Prozess gegen vier eritreische Geflüchtete aus dem Ankerzentrum – Urteil am 7.11.2019 erwartet (mit eventuellen Zusatzterminen am 11. und 12.11.)

Bericht und Aufruf von Culture of Deportation & Justizwatch

Der Prozess begann am 14. Oktober 2019 mit einem regelrechten Krimi-Spektakel: Die Angeklagten wurden in Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt, bedrängt von den Kameras der Journalist*innen. Seit zehn Monaten sitzen die jungen Männer in Untersuchungshaft, ohne Kontakt zu ihren Familien und Freunden. Die Staatsanwaltschaft wirft den Geflüchteten schwere Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und weiteren Delikten vor. Seit dem 14. Oktober haben sechs Verhandlungstage stattgefunden. Die Plädoyers und das Urteil werden am 7. November erwartet, mit eventuellen Zusatzterminen am 11. und 12. November, jeweils um 9 Uhr.

Aus den Aussagen der Angeklagten und weiterer Bewohner*innen des Anker-Zentrums geht deutlich hervor: Es kam in der Nacht zum 11. Dezember 2018 zu massiver Gewalt gegen Geflüchtete durch den Wachdienst in Zusammenarbeit mit der Polizei, die eine Großrazzia mit mindestens 80 Beamt*innen und dem SEK durchführte. Doch dies wurde in der bisherigen Berichterstattung über den Prozess an keiner Stelle erwähnt. Weiterlesen