Rassistische Wachdienstgewalt gegen geflüchtete Frau in Bamberg

Prozessprotokoll vom 8. März 2019

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Ort: AG Bamberg

Anwesende:

  • Richterin (weiß)
  • Staatsanwältin (weiß)
  • Verteidiger (weiß)
  • Dolmetscherin für Französisch (weiß)
  • Die Angeklagte (Fatou) (Schwarz)
  • Protokollant (weiß)
  • Zeuge: Polizeibeamter (weiß)
  • Ein Justizbeamter (weiß)
  • alle Zuschauer*innenplätze sind besetzt, vor dem Saal warten viele weitere Menschen, die aus Solidarität mit Fatou zum Gericht gekommen sind

 

Die Richterin eröffnet die Verhandlung um 12:08 Uhr. Sie fragt zunächst die Personalien der Dolmetscherin ab, dann vereidigt sie die Dolmetscherin.

Daraufhin stellt die Richterin die Anwesenheit fest und fragt die Personalien der Angeklagten ab. Sie wurde 1980 im Senegal geboren, ist von Beruf Köchin und unverheiratet. Sie wohnt im Ankerzentrum Bamberg.

Gegen die Angeklagte erging am 12. November 2018 ein Strafbefehl, gegen den sie Widerspruch eingelegt hat.

Die Staatsanwältin verliest die Anklageschrift: Am 8. Juni 2018 soll Fatou, trotz eines gegen sie verhängten Hausverbots, in einen Netto-Supermarkt in Bamberg eingedrungen sein und eine Dose Katzenfutter auf einen Wachmann geworfen haben. Der Geschädigte habe ausweichen können, daher sei er nicht verletzt worden. Fatou ist wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Hausfriedensbruch angeklagt.

Die Richterin belehrt die Angeklagte. Der Verteidiger kündigt an, dass er zunächst eine Erklärung abgeben werde, danach werde sich die Angeklagte selbst zu den Vorwürfen äußern.

Verteidiger: Man werde im Prozess mit dem angedachten Beweisprogramm nicht auskommen. Die Anklage basiere im Wesentlichen auf der Aussage eines Zeugen, gegen den seine Mandantin ihrerseits Strafantrag gestellt habe. Nicht seine Mandantin habe den Wachmann verletzt, sondern sie sei verletzt und entwürdigt worden. Es habe wenige bis keine Versuche gegeben, objektive Beweismittel zu beschaffen, etwa unabhängige Zeug*innen zu finden und zu befragen. Eine Befragung des Wachmannes, der Anzeige erstattet habe, habe auch erst in der Nachtermittlung stattgefunden. Laut Akte sei diese Befragung auch lediglich ein kurzes Telefonat mit dem vermeintlich geschädigten Wachmann gewesen.

Fatou: Sie habe nichts von dem Hausverbot gewusst. In dem Nettosupermarkt kaufe sie immer ein [Anmerkung: Die Dolmetscherin übersetzt hier falsch: Fatou kaufe nicht regelmäßig in dem Supermarkt ein]. Was den Konflikt mit dem Wachmann aus dem Netto angehe, sei ihr völlig unklar gewesen, was ihr eigentlich vorgeworfen werde. Die Polizisten hätten sie nach der Auseinandersetzung ins Lager gebracht. Dort habe sie Fotos von ihrem Kassenbeleg und den gekauften Waren gemacht – um den Einkauf für alle Fälle zu dokumentieren. [Anmerkung: Die Dolmetscherin übersetzt sehr schlecht, teilweise scheint sie Fatou nicht zu verstehen. Sie macht viele Fehler. Die schlechte Verdolmetschung macht es schwer nachzuvollziehen, was Fatou schildert. Wer kein Französisch versteht, kann der Stellungnahme kaum folgen. Deswegen flüstern Menschen im Zuschauerbereich. Die Richterin untersagt dies aggressiv.]

Die Verteidigung greift ein: Seine Mandantin wolle wahrscheinlich folgendes schildern: Sie sei mittags im Netto einkaufen gewesen, dann sei sie von der Polizei ins Ankerzentrum gebracht worden. Sei habe die gekauften Waren ausgebreitet und ein Foto gemacht. Dabei habe sie gemerkt, dass die Butter, die sie gekauft und bezahlt habe, fehlte.

Deshalb sei sie mit dem Bon zurückgekehrt. Dort sei sie schlecht behandelt worden: Als sie den Supermarkt betreten habe, sei der Wachmann gleich auf sie zugekommen – er sei auf sie zugesprungen. Es seien drei Personen gewesen, zwei Männer und eine Frau. Fatou sei zu einer Garage gebracht worden. Ein Mann habe sie auf die Treppe gestoßen, er habe ihre Arme nach hinten gezogen und auf dem Rücken festgehalten. Dann habe er die Polizei gerufen, das habe aber gedauert. Vor Schmerzen habe sie geschrien. Sie habe versucht den Kopf zu heben, aber ein Mann habe ihn au die Erde gedrückt, bis die Polizei kam.

Die Richterin befragt die Angeklagte: Wussten sie nicht, dass sie ein Hausverbot hatten?

Fatou: Sie habe es nicht gewusst; sie habe auch kein Papier o.Ä. bekommen. Die Polizei habe gesagt „geh zu dir, geh nicht zurück zu Netto, die Leute wollen dich nicht“ [Anmerkung: Die Dolmetscherin übersetzt hier falsch: die Polizei habe gesagt, es sei Fatou verboten, wieder zu Netto zu gehen, das hat sie aber nicht gesagt]. Sie habe nach dem Grund gefragt, aber keine Antwort bekommen.

Die Richterin fragt, ob sie dann noch einmal zurückgekehrt sei.

Fatou: ja, sie habe eine Butter bezahlt, aber zu Hause gesehen, dass nicht alles da war, was sie bezahlt hatte.

Richterin: Was war denn bei Ihrem ersten Einkauf?

Fatou: Sie habe zwischen Mittag und 13 Uhr einkaufen wollen, wegen eines Termins habe sie es eilig gehabt. Sie habe einen Bus zum Camp erreichen wollen. An der Kasse hätten einige Frauen gewartet, sie sei aber die einzige Schwarze gewesen. Sie habe fünf Euro zahlen sollen und die Geldstücke rausgesucht. Plötzlich habe ein Mann [der Wachmann] sie angeschrien: Sie solle ihre Tasche öffnen. Sie habe gefragt: Welche Tasche? Der Mann habe gesagt, sie solle ihre Handtasche öffnen. Sie habe gesagt, ok, aber sie werde erst bezahlen. Dann sei eine Frau dazugekommen und habe gefragt, was passiert sei. Der Mann habe der Frau gesagt, dass Fatou etwas in der Kosmetikabteilung genommen habe, was sie nicht bezahlt habe. Sie, Fatou, habe gesagt, dass das nicht stimme. Der Mann habe sie wieder aufgefordert, ihre Tasche zu öffnen. Sonst bekomme sie Probleme, dann rufe er die Polizei. Sie habe gesagt, dass sie lieber mit der Polizei sprechen wolle. Dann habe der Mann angefangen sie anzuschreien und sie zu beleidigen. Sie habe den Mann mit ihrem Telefon gefilmt. Der Mann habe sie bis zur Bäckerei gestoßen, er habe gesagt „wir wollen hier keine Schwarzen, was willst du hier?“. Sie habe erwidert „Sie sind ein Rassist, warum sind die anderen Frauen nicht kontrolliert worden?“

Dann sei die Polizei gekommen, die Polizist*innen hätten sie umkreist, sie aber nichts gefragt. Von dem, was gesagt wurde, habe sie nichts verstanden. Das einzige, was sie habe verstehen können, sei gewesen „geh raus, bevor wir deine Personalien aufnehmen“.

Sie habe versucht, die Situation zu erklären, habe aber nicht gedurft. Sie sei an eine Wand gestellt, abgetastet und durchsucht worden. Es sei aber nichts Geklautes bei ihr gefunden worden. Man habe sie gefesselt und zurück ins Lager gebracht [Anmerkung: Fatou sagt: „on m’a menottée“ – also „mir wurden Handschellen angelegt“, die Dolmetscherin kennt aber offenbar das Wort nicht und übersetzt, dass Fatou nicht mit Handschellen gefesselt wurde, dass lediglich ihre Hände festgehalten wurden]. Sie habe gefragt, was sie denn getan habe. Als Antwort habe sie bekommen „geh nach Hause“.

Richterin: Und Sie sind dann zurückgegangen, weil Sie dachten, dass es an der Butter lag, dass Sie so behandelt wurden?

Fatou: Die Polizei habe alles genommen, was sie in ihrer Tasche gehabt habe. Sie hätten auch ihr Handy genommen und gesehen was ihr passiert sei. Was sie am meisten gestört habe: der Wachmann habe die Polizei auf das Video hingewiesen und die Polizei habe es gelöscht.

Richterin: Haben Sie die Dose Katzenfutter geworfen? Fatou: Nein!

Richterin: Können Sie sich erklären, warum dieser Vorwurf gemacht wurde?

Fatou: Der Mann sei gewalttätig gewesen, wild („sauvage“) und rassistisch. Er sei jemand, der nur schlechtes über Schwarze erzähle. Wenn sie in den Netto-Supermarkt gekommen sei und guten Tag gesagt habe, habe er nicht geantwortet.

Richterin: Also sagen Sie, das ist erfunden? Fatou bestätigt dies: die Vorwürfe seien nicht wahr. Die Richterin will wissen, ob Fatou denn Katzenfutter gekauft habe. Sie verneint.

Die Staatsanwältin befragt die Angeklagte: Haben die Polizisten Ihnen morgens oder abends gesagt, dass es verboten sei, wieder in den Netto-Supermarkt zu gehen?

Fatou setzt (auf Französisch) an zu erklären, dass die Polizisten kein Verbot ausgesprochen hätten. Doch die Staatsanwältin unterbricht: Sie solle jetzt erstmal die Frage beantworten. Daraufhin sagt Fatou, die Polizisten hätten es ihr am Abend gesagt. Es gibt Unruhe im Zuschauer*innen-Saal. Die Richterin ruft harsch zur Ordnung und fragt, was denn eigentlich los sei. Eine Zuschauerin weist darauf hin, dass die Dolmetscherin Fehler mache. Die Richterin entgegnet, sie hätten trotzdem still zu sein.

Die Staatsanwältin erklärt Fatou in belehrendem Tonfall, es sei verboten, Dritte zu filmen, deswegen hätten die Polizisten die Videos auf ihrem Handy gelöscht. An den Verteidiger gewandt: Das habe er seiner Mandantin sicher erklärt.

Der Verteidiger widerspricht: zur Dokumentation von Straftaten sei das nicht verboten. Die Staatsanwältin entgegnet, deshalb seien sie aber nicht da.

 

Befragung durch den Verteidiger:

Verteidiger: Was hatte es mit den Dosen und Flaschen auf sich, die beim zweiten Besuch im Netto umgefallen sind?

Fatou: Die Dosen seien aus den Regalen gefallen [auch hier gibt es massive Probleme mit der Verdolmetschung, am Ende stellt sich heraus, Fatou ist gegen die Regale geschubst worden, dabei seien die Dosen und Flaschen heruntergefallen].

Verteidiger: War auch Katzenfutter unter den Sachen, die heruntergefallen sind? Fatou: Das könne sie nicht genau sagen, weil viele Sachen heruntergefallen seien.

Verteidiger: Es war Ramadan? Fatou bejaht dies, sie habe gefastet.

Verteidiger: Wurden Sie verletzt? Fatou: Sie habe am ganzen Körper blaue Flecken gehabt, außerdem habe sie unter Kopfschmerzen gelitten.

 

Die Richterin eröffnet die Beweisaufnahme und ruft den ersten Zeugen auf.

Herr F. ist 1990 geboren und Polizeibeamter in Bamberg. Er erscheint in Uniform. Er macht folgende Angaben: Der Einsatz habe am Nachmittag begonnen. Es sei um Hausfriedensbruch gegangen, er wisse nicht mehr, ob es ein Netto- oder Norma-Supermarkt gewesen sei. Die „Dame“ habe einen Platzverweis bekommen und sei durch eine andere Streife zur AEO gefahren worden.

Später seien die Beamten erneut zum Supermarkt gerufen worden. Am Telefon sei angegeben worden, die „Dame“ habe eine Dose Tierfutter auf einen Wachdienstmitarbeiter geworfen. Sie sei beim Eintreffen der Polizei schon am Boden fixiert gewesen. Die Polizisten hätten dann die Handfesseln ausgetauscht und sie zur Wache gebracht. Die Dose sei sichergestellt worden; sie sei zweifelsfrei mittels Gewalteinwirkung verformt worden. Die Dose sei von den Wachleuten überreicht worden, sie habe nicht mehr am Tatort gelegen. Er gibt an, dass die Schilderung des „Sicherheitsmitarbeiters“ auf ihn glaubwürdig gewirkt habe.

Die Richterin fragt nach dem Hausverbot. Zeuge F. betont daraufhin, die „Dame“ sei „unkooperativ, unverschämt und lautstark“ gewesen. Sie sei verbal sehr aggressiv aufgetreten, die Sprache habe er aber nicht verstehen können. Er selbst habe keine Belehrungen ausgesprochen.

F. fährt fort: Die Polizeibeamt*innen hätten der Frau „noch eine Chance gegeben“ und „Gnade vor Recht walten lassen“ – das habe aber leider nichts gebracht. Die Voraussetzungen für Gewahrsam hätten nämlich schon beim ersten Einsatz vorgelegen.

Die Richterin fragt, ob denn bei der Durchsuchung etwas gefunden worden sei. F. kann die Frage nicht beantworten (er weiß es nicht).

Die Staatsanwältin will wissen, ob Zeuge F. bei beiden Einsätzen dabei war, was er bejaht. Sie fragt dann, wann das Hausverbot bzw. der Platzverweis ausgesprochen wurden. Es stellt sich heraus, dass F. nicht dabei war und auch nicht weiß, ob ein Hausverbot bzw. Platzverweis schriftlich ausgesprochen wurden. Stattdessen betont er erneut, dass Fatou eine Gefahr dargestellt habe: Die Beamt*innen hätten jederzeit davon ausgehen müssen, „dass sie auch gegen uns aggressiv vorgeht“. Deswegen sei sie mit Handschellen gefesselt worden.

Auf Nachfrage nennt Zeuge F. die Namen von Kollegen, die ebenfalls am Einsatz beteiligt waren.

Er fügt hinzu, dass etwas mit dem Handy von Fatou gewesen sei. Er habe mitbekommen, dass einer Kollegin vorgeworfen sei, dass sie etwas gelöscht habe, er habe aber keine Belehrungen ausgesprochen.

Der Verteidiger fragt, ob F. den Wurfort gesehen habe [er habe ja gesagt, dass die Dose in ein Verkaufsregal eingeschlagen sei. Ein Supermarkt bestehe ja aus Verkaufsregalen, daher sei diese Angabe nicht sehr weiterführend]. F. verneint dies, auch sei ihm die Stelle nicht gezeigt worden, ihm sei aber erklärt worden, wo der Wurf sich ereignet habe. Der Verteidiger fragt daraufhin, ob F. etwas über die genaue Stelle wisse. F. antwortet ausweichend, dass der Ort in dem Moment nicht wichtig gewesen sei, sie hätten ja die Person bändigen müssen [er spricht von „Eigensicherung“]. Der Verteidiger hält vor, dass seine Mandantin doch gefesselt gewesen sei. F. erwidert, das heiße nicht, dass eine Person sich nicht mehr wehre. Das sei ein Trugschluss. [Ungläubiges Gelächter und Raunen aus dem Zuschauer*innen-Bereich. Die Richterin droht damit den Saal räumen zu lassen, sollte noch jemand lachen oder kommentieren.]

In der weiteren Befragung stellt sich heraus, dass der Wachmann, der durch den angeblichen Wurf geschädigt worden sein soll, im Nachhinein von der Polizei befragt wurde. Aber nicht durch F., obwohl es in der Akte so aussieht. Allerdings sei die Dose F. persönlich übergeben worden, und er habe sie auch asserviert. Mehr wisse er nicht.

Zeuge F. wird um 13:10 Uhr entlassen.

Im Folgenden geht es um die Frage, wie der Prozess weitergehen soll. Die Staatsanwältin stellt klar, dass sie einen weiteren Verhandlungstag brauchen werde und dafür plädiere, die Verhandlung an dieser Stelle zu unterbrechen. Es gebe konträre Schilderungen, die aufgeklärt werden müssten. Die Vorwürfe der Angeklagten seien erheblich, dem müsse sie nachgehen. Der Verteidiger wirft ein, es lägen Atteste über die Verletzungen seiner Mandantin vor, dem „Security-Mitarbeiter“ sei nichts passiert. Die Staatsanwältin entgegnet Sie sei „objektive Behörde“, deswegen sei sie „auch in die andere Richtung neugierig“. Der Verteidiger weist daraufhin, dass Fatou längst Strafanzeigen gegen den Wachmann und die Polizisten gestellt habe. Die Staatsanwältin erwidert, sie sei nicht Sachbearbeiterin in diesem Verfahren.

Die Staatsanwältin fragt den Verteidiger, ob er noch weitere Zeugen nennen kann. Dieser verneint, er denke eher an Video-Aufzeichnungen. Die Staatsanwältin bezweifelt, dass diese nach so einer langen Zeit noch vorhanden seien. Aber das sei ja „ratz fatz“ abzuklären. Zumindest sei die „Katzenfutterdose Felix“ asserviert und in den Akten. Auf Fingerabdrücke zu untersuchen, würde aber wohl keinen Sinn machen, die Dose habe ja auch der Polizeibeamte in der Hand gehabt. Der Verteidiger wirft die Möglichkeit ein, dass dieser ja Handschuhe getragen haben könnte und kommentiert: „vielleicht hat ja wenigstens das geklappt“.

[…]

Die Prozessbeteiligten einigen sich auf einen Fortsetzungstermin eine Woche später am 15. März. Zu diesem Termin sollen weitere Zeugen geladen werden (Wachdienstmitarbeiter, die Filialleiterin des Netto, weitere Polizeibeamt*innen), außerdem soll die Staatsanwältin versuchen, das Überwachungsvideo aus dem Supermarkt zu bekommen.

Ende des Verhandlungstags um 13:25 Uhr