Rassistische Türpolitiken – 20.12.2017

Amtsgericht Tiergarten
Zweiter Verhandlungstag 20.12.2017 um 15:30 Uhr

Anwesende:

  • Richterin (weiß)
  • Staatsanwalt (weiß)
  • Angeklagter (PoC)
  • Verteidiger (weiß)
  • Protokollantin (weiß)
  • Zeuge „T.“ (PoC)
  • Dolmetscherin für Arabisch (PoC)
  • eine Zuschauerin von Justiz_Watch (weiß)

Prozessverlauf

Vernehmung Zeuge Herr T. 39, Kaufmännischer Angestellter

Der Zeuge wird zunächst belehrt und seine Personalien aufgenommen. Danach fragt ihn die Richterin, ob er eine Ahnung habe, warum er heute als Zeuge geladen sei. Der Zeuge bejaht, er habe den Angeklagten erkannt. Es gehe wohl um einen Vorfall an einem Club [er beschreibt die genaue Adresse des Clubs]. Der Zeuge habe den Angeklagten in besagtem Club schon vor dem Vorfall gesehen und sich nett mit ihm unterhalten. Drei Monate später habe der Angeklagte zusammen mit „drei Jungs“ versucht, Zutritt zum Club zu bekommen. In dieser Nacht habe beim Sicherheitspersonal ein „deutscher Herr“ gearbeitet. In der fraglichen Situation seien nur der Zeuge selbst, der Angeklagte mit seinen Begleitern und das Sicherheitspersonal anwesend gewesen. Es habe eine verbale Auseinandersetzung gegeben, bei der es von beiden Seiten laut geworden sei. Die Situation habe kurz davor gestanden zu eskalieren. Deshalb habe er – der Zeuge – eingegriffen und mit „den Jungs“ [der Angeklagte und seine Begleiter] gesprochen. Er habe ihnen geraten zu gehen, keinen Stress mehr zu machen und lieber an einem anderen Abend wiederzukommen. Auf diese Weise habe er geschafft, die Situation vorläufig zu deeskalieren.

Der Angeklagte und seine Freunde seien auf die andere Straßenseite gelaufen. Über die Straße hinweg sei es dann zwischen dem Türsteher, dem Angeklagten und dessen Begleitung weiter verbal hin und her gegangen. Er – der Zeuge – sei dann für eine Minute in den Club gegangen. Als er wieder raus kam, seien der Angeklagte und seine Begleiter immer noch dagewesen. Von beiden Seiten [also sowohl vom Türsteher als auch vom Angeklagten] sei es laut und aggressiv gewesen. Er – der Zeuge – habe erneut versucht, deeskalierend auf den Angeklagten und seine Begleiter einzuwirken und versucht, diese zum Gehen zu überreden. Er sei wieder in den Club gegangen und nach 10-20 Minuten erneut nach draußen gekommen. Zu dem Zeitpunkt habe er schon Blaulicht und Polizeiautos gesehen. Er sei hingelaufen und die Polizisten hätten ihn gefragt ob er ein Zeuge sei. Zu dem Zeitpunkt sei die Situation schlimmer als zuvor eskaliert, der Angeklagte habe Blut im Gesicht gehabt und sei außer sich gewesen. Dann habe der Angeklagte ein aggressives Zeichen in Richtung Türsteher gemacht [Anm.: der Zeuge macht die Bewegung vor. Es ist eine Handbewegung auf Halshöhe, die soviel bedeutet wie „Kopf ab“ oder „Halsdurchschneiden“]. Diese Handlung habe er – der Zeuge – für dumm gehalten, weil zu dem Zeitpunkt fünf bis sechs Polizeibeamte und Sicherheitspersonal anwesend waren. Die Polizei habe dann seine Personalien aufgenommen, deshalb sei er heute als Zeuge geladen.

Die Richterin fragt nochmal nach der bedrohlichen Geste, der Zeuge zeigt sie erneut und sagt, er habe das blöd gefunden, er habe doch versucht zu deeskalieren. Nach seinem Empfinden sei der Angeklagte nicht nüchtern gewesen, aber er könne schlecht einschätzen, ob der der Angeklagte viel oder wenig getrunken habe. Er verstehe das Ganze auch nicht, denn er habe sich ja zu einem früheren Zeitpunkt schon mal mit dem Angeklagten unterhalten, da sei dieser sehr freundlich gewesen. Er – der Zeuge – wisse nicht, was in der Zwischenzeit passiert sei.

Die Richterin fragt, ob er einen Steinwurf beobachtet habe. Der Zeuge verneint, Gäste hätten darüber geredet aber er selbst habe nichts gesehen. Die Richterin fragt, ob es Videoüberwachung gebe. Der Zeuge bejaht, nicht in besagten Club aber im Imbiss neben an, dort würde 24 Stunden überwacht. Wenn sie das Material sehen wolle, solle sie den Chef des Imbisses fragen. Die Richterin äußerst sich skeptisch, ob nach über zwei Jahren das Video-Material überhaupt noch vorhanden sei.

[…]

Der Zeuge richtet sich an den Angeklagten und entschuldigt sich, er wolle ihm gerne helfen aber er könne nichts anderes aussagen, wo doch so viele Polizeibeamten vor Ort waren. Der Verteidiger antwortet, es sei schon alles gut, er solle sich keine Sorgen machen. Der Angeklagte bedankt sich beim Zeugen, setzt an noch mehr zu sagen, aber sein Verteidiger interveniert. Die Staatsanwaltschaft hat keine Fragen. Das Fragerecht geht an die Verteidigung.

Der Verteidiger möchte wissen, wer genau die Geste gemacht hat. Der Zeuge ist sich unsicher, ob es wirklich der Angeklagte oder einer seiner Begleiter gewesen sei. Er entschuldigt sich nochmal.

Der Zeuge wird entlassen. Er fragt die Richterin nach dem verhängten Ordnungsgeld. Er habe sich doch via Fax entschuldigt, weil er am ersten Verhandlungstag einen Umzug gehabt habe. Die Richterin erklärt, dass es für sie problematisch war, weil er keine Telefonnummer angegeben habe, über die sie hätte Rücksprache mit ihm halten können. Sie wolle jetzt nicht über das Ordnungsgeld verhandeln, aber der Zeuge solle nochmal offiziell Widerspruch einlegen und dabei alle Unterlagen einreichen, dann würde sie in Ruhe darüber entscheiden, ob das Ordnungsgeld aufgehoben werden kann. Der Staatsanwalt mahnt an, es seien ja zusätzliche Kosten wegen eines extra Verhandlungstags entstanden. Die Richterin entgegnet, dass ja jetzt eventuell neue Videos [gemeint ist die Überwachung im Imbiss] hinzugezogen werden müssten und der Verteidiger auch weitere Zeugen aufgetan habe, der Verhandlungstag hätte also so oder so stattfinden müssen.

Die Richterin erklärt: Am Tag vor der heutigen Verhandlung habe der Verteidiger sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass er noch zwei weitere Zeugen gefunden habe, für die es zu kurzfristig gewesen sei, sie für den heutigen Verhandlungstag zu laden. Sie überlege nun einen Fortsetzungstermin anzusetzen. Der Verteidiger entgegnet: es sei denn, die Sache sei schon jetzt entschlussreif. Dann würde er auf die Zeugen verzichten, bei diesen würde es sich ohnehin um weitere Entlastungszeugen handeln.

Die Richterin fragt nach der Videoüberwachung des Imbiss. Der Verteidiger meint, er habe schon im Jahr 2016 dort angefragt. Er selbst habe dort anrufen müssen, weil die Polizei das ja nicht gemacht habe. Damals habe es auch schon keine Videos mehr gegeben. Auch Richterin und Staatsanwalt halten es für unwahrscheinlich, die Videos noch zu bekommen.

Die Richterin verließt „zur Komplettierung“ noch den Bundeszentralregisterauszug vom Angeklagten. Dieser enthält keine Einträge [Anm.: das heißt, dieser ist in Deutschland nicht vorbestraft].

Dann wird die Beweisaufnahme geschlossen.

Plädoyer Staatsanwalt:

Der Staatsanwalt fasst nochmal den Vorwurf gegen den Angeklagten zusammen. Der Angeklagte habe diesen bestritten und im Gegenteil angegeben, er sei selbst angegriffen worden. Das eingebrachte Video habe keinen Steinwurf gezeigt. Keiner der Zeugen habe den Vorfall selbst beobachtet. Fest stehe nur, dass der Angeklagte verletzt worden sei. Steine seien nicht gefunden worden. Bei dieser Beweissituation sei es unmöglich aufzuklären ob ein vermeintlicher Steinwurf wirklich stattgefunden habe. Es habe sich um eine wechselseitige Auseinandersetzung gehandelt.

Er plädiere daher für Freispruch.

Plädoyer Verteidigung

Der Verteidiger schließt sich der Staatsanwaltschaft an.

Urteil

Die Richterin will kurzerhand aufstehen und das Urteil verkünden. Der Verteidiger unterbricht: es fehle noch das letzte Wort des Angeklagten. Die Richterin gibt der Verteidigung recht und setzt sich schnell wieder hin. Der Angeklagte möchte jedoch nichts mehr sagen.

Nun stehen alle auf und die Richterin spricht hastig ihr Urteil. Der Angeklagte wird freigesprochen.

Zur Begründung führt sie aus: Es handele sich um eine Aussage-gegen-Aussage-Situation. Die Kamera sei im entscheidenden Moment ausgeschaltet gewesen, das würde die Glaubwürdigkeit des Türsteherzeugen nicht gerade bestärken. Außerdem sei dem Angeklagten bekannt gewesen, dass der Türsteher mit einer mit einer Schutzweste ausgerüstet war. Bei einer solchen Schutzausrüstung sei fraglich, ob eine Körperverletzung durch einen Steinwurf überhaupt möglich sei. Der Verteidiger wirft ein, das sei auch immer sein Argument, wenn er Angeklagte wegen Steinewerfens auf Polizeibeamte verteidige, bislang sei er damit erfolglos gewesen. Er würde auf die Richterin zurückkommen, wenn er das nächste mal in solchen Angelegenheiten verteidigen müsse. Die Richterin rudert daraufhin schnell zurück – sie müsse das noch einmal genauer überdenken. Die Richterin und der Verteidiger diskutieren nun auf abstrakt juristischer Ebene noch eine Weile weiter über den Fall „Steinwurf auf Polizeibeamte“. Die Richterin meint, sie habe eben nur so dahergeredet, sie würde erst mal auf einen nächsten Fall von Steinwurf auf Polizeibeamte warten, in dem sie zu entscheiden hätte und dann nochmal neu überlegen.

Gegen ca. 16:00 Uhr wird die Verhandlung geschlossen.