Geflüchtete durch Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes misshandelt – 1. Verhandlungstag

07.02.17
Beginn: 9:00 Uhr, tatsächlich 9:20 Uhr
Saal: Z16 Amtsgericht Lingen

Anwesende:

R: Amtsrichter (weiß)
StA: Staatsanwalt (weiß)
N: Angeklagter N. (PoC)
D: Angeklagter D. (weiß)
ZH: Verteidigerin von N. (weiß)
L: Verteidiger von D. (weiß)
Schöff*innen (weiß)

Aufbau des Saals / Sitzplatzbelegung:

Vorne von links: Protokollantin, Schöffin, Vorsitzender Richter, Schöffe
Links davon: Staatsanwalt
Rechte Seite: Verteidigerin ZH., Angeklagter N., Verteidiger L., Angeklagter D.
In der Mitte der Platz zur Zeugenanhörung.
Im Publikum, soweit unsere Kenntnis zu den Personen:
Presse (3 Vertreter*innen von RTL/VOX/NTV, 1 Vertreter*in von DLF, 2 Vertreter*innen vom NDR, 1 Fotografin, 2 Vertreter*innen der Lingener Tagespost), 4 Prozessbeobachter*innen vom AK Zu Recht, eine Prozessbeobachterin von RespAct Niedersachsen, 2 Schulpraktikant*innen, 2 Rechtannwaltsfachangestellte, 3-5 interessierte Bürger*innen (alle weiß)

Verhandlungsgeschehen:

Der erste Verhandlungstag beginnt aufgrund einer Verspätung von einem der beiden Strafverteidiger*innen 20 Minuten später.

Es ist sehr viel Presse anwesend und etwa 10 andere Zuschauer*innen. Die Pressevertreter*innen filmen und fotografieren die Angeklagten und werden vom Strafverteidiger L. darauf hingewiesen, die Aufnahmen zu verpixeln. Die Presse verlässt den Raum.

Der Richter eröffnet die Verhandlung.

Einige der Zeug*innen sind in den Akten nur mit Vornamen aufgeführt.

Ein Dolmetscher für Urdu und Punjabi wird vereidigt. Der Richter fragt, ob das die Sprache sei, die in Pakistan gesprochen werde. Er weist darauf hin, dass Namen wie M. H. für ihn sehr schwierig auszusprechen seien.

Zwei Zeugen (PoC) betreten den Saal durch eine der hinteren Türen. Der Richter fragt nach ihrer Identität und weist darauf hin, dass es sein könne, dass er Vor- und Nachnamen vertausche. Die Zeugen werden belehrt, während sie sich ihre Jacken ausziehen und an die Garderobe hängen. Die Zeugen werden gebeten den Saal zu verlassen, weil sie erst zu einem späteren Zeitpunkt vernommen werden sollen.

Der Richter fragt nach, ob die ersten drei Zeugen auf der Zeug*innenliste die Geschädigten seien. Er sagt, dass das mit den Vor- und Nachnamen ja auch ein kulturelles Problem sei, da es da unterschiedliche Regelungen gebe.

R. weist den Angeklagten D. daraufhin, dass er seine Jacke ausziehen könne, da der Prozess voraussichtlich länger als zwei Minuten dauern werde und ihm heiß werden könnte.

Die Personalien der Angeklagten werden aufgenommen.

Anschließend verliest der Staatsanwalt die Anklageschrift.

  1. Vernehmung des Angeklagten N. (PoC)

Nur einer der Angeklagten (N.) will sich zur Sache einlassen.

Er sagt, die gesamte Anklageschrift sei Schwachsinn. ZH. weist ihn mit den Worten „Das war jetzt kein guter Anfang“ zurecht und bittet ihn nochmal von vorne zu beginnen. N gibt an, am fraglichen Tag gegen 20 Uhr mit der Arbeit begonnen zu haben. Gegen 22 Uhr habe er gehört, dass drei Personen, die am Tag zuvor die „Hauptverdächtigen“ einer Vergewaltigung gewesen seien, randaliert hätten. Er habe sich daraufhin einen von ihnen „geschnappt“.

R. gibt zu Bedenken, dass Menschen ohne Aktenkenntnis dieser Aussage nicht folgen könnten. Er werde deswegen einige Fragen stellen.

N. lässt sich im Folgenden ein:

Er habe gemerkt, dass die Geschädigten alkoholisiert gewesen seien. Die Polizei sei da gewesen, weil es am Tag zuvor eine versuchte Vergewaltigung an einem Minderjährigen gegeben habe. Die Polizei sei dann aber wieder weggefahren. Der DRK-Chef habe darum gebeten, dass die drei Personen mitgenommen werden. Dies sei aber nicht geschehen. Deswegen sei angeordnet worden, sie in Räumlichkeiten im Nachbargebäude unterzubringen, damit es „keinen Krawall mehr im Camp“ gäbe. Die Tagesschicht habe ein gewisser M. geführt.

Fragen/Antworten:

R. fragt nach dem genauen Namen des M. und wirft ein, mit den Nachnamen „sei es schwierig“. N. bestätigt die Identität des M.

Der Sicherheitsdienst habe die drei alkoholisierten Geschädigten mit ihrem Gepäck gemeinsam mit drei bis vier weiteren Personen in eine kleine Umkleide mit Toilettenraum gebracht. Die Tür zum Gebäude sei von außen mit einem Chip zu öffnen. Da eine Frau im gleichen Gebäude untergebracht war, sollten die drei Geschädigten Abstand halten. Die Kommunikation mit den drei Geschädigten sei schwierig gewesen, da nur der M. sich mit den dreien verständigen konnte. Die Geschädigten hätten die Anweisung bekommen, verteilt im Raum zu sitzen um ihren Rausch „auszusitzen“, sie hätten aber für die Nacht keine Decken o.Ä. erhalten. Am nächsten Morgen seien sie in einen Raum mit Matratzen, Decken, etc. gebracht worden.

ZH. wirft ein, dass die Geschädigten auch schon in der Nacht hätten abgeholt werden sollen. N. würde hier für etwas verantwortlich gemacht werden, wofür er nichts könne, er selbst habe ja schließlich keine Decken gehabt.

Ob die Tür zur Umkleide verschlossen wurde, wisse N. nicht. Er habe dann einen Schlüssel erhalten, um ab 22 Uhr jede Stunde einen Kontrollgang zu machen. Einmal habe er Krawall gehört. Die Tür sei schwierig zu öffnen gewesen. Er habe dann mit Hilfe des anderen Angeklagten die Person aus dem Raum geholt, die an Atemnot litt. Deswegen habe er Sanitäter*innen vom DRK gerufen. Diese hätten behauptet, der Geschädigte simuliere, „dass die sich gegenseitig geschlagen haben, dass die uns verarschen wollen“. Er habe dann die Tür wieder abgeschlossen. Die Sanitäter*innen seien wieder weggefahren. Danach habe er ganz normal seine Rundgänge fortgesetzt, um auch nach der verletzten Person zu gucken. Seine Schicht sei bis 8 Uhr morgens gegangen. Erst bei seinem letzten Rundgang, um 7 Uhr, habe er erkannt, dass einer der drei Geschädigten eine gebrochene Nase hatte.

Er habe nur aushilfsweise im Camp in Lingen gearbeitet und „keinen Plan [gehabt], was weiter passieren sollte“. Eine Verlegung der Geschädigten nach Bramsche, Meppen oder Solingen hätte am nächsten Tag stattfinden sollen. Der DRK betreibe das Heim, er arbeite nur beim Sicherheitsdienst und habe den Befehl bekommen, die drei Geschädigten in das separate Gebäude zu bringen. Ob er auch den Befehl erhalten habe, die Tür abzuschließen, wisse er nicht mehr. Der M. habe entschieden, dass die drei Geschädigten in den Umkleideraum gebracht werden sollten. Und auch sei es M. gewesen, der ihm den Schlüssel übergeben habe. Er wisse überdies sicher, dass man alle Türen mit Chip öffne.

L. bittet um eine kurze Pause, um einen Richter wegen eines anderen Prozesses anzurufen.

Nach 5 Minuten wird die Verhandlung fortgesetzt

Auf Nachfragen der ZH. gibt N. an, das Gebäude könne man ohne einen Chip verlassen. Ob die Umkleide mit einem Chip oder einem Schlüssel abschließbar sei, wisse er nicht mehr.

  1. Zeuge A. (Geschädigter, PoC)

Zeuge A. wird in den Zeugenstand gerufen.

Sein Dolmetscher sitzt schräg links hinter ihm neben dem Staatsanwalt.

L. liest aus seinen Akten vor, dass die Polizei der Meinung sei, der Vorname des Zeugen sei L. R. befragt daraufhin den Zeugen eingehend nach seinen Vor- und Familiennamen. Der Zeuge gibt an, sein Nachname sei A.

L. bittet darum, dass der Zeuge sich zurücksetze, er wolle wenigstens sein Profil sehen können. R. kommt der Bitte nach und fordert den Zeugen auf, seinen Stuhl und Tisch einen Meter nach hinten zu verschieben. Daraufhin fragt er den Zeugen erneut nach seinem Nachnamen. Daraufhin fragt er, „was denn dann mit Mohammed Hussein sei“, zwei Namen, die auch in der Akte vermerkt sind. Anschließend vergewissert sich R. noch einmal des richtigen Namens.

Der Zeuge gibt an, Landwirt in Pakistan gewesen und am 01.01.1986 geboren zu sein. R. guckt sich zu beiden Seiten um und fragt, ob der Zeuge das wisse, oder ob das nur so geführt werde. Der Dolmetscher übersetzt, dass der Zeuge es nicht wisse.

Daraufhin entbrennt ein Streit zwischen L. und R. darüber, wie genau der Dolmetscher zu übersetzen habe. („Hat er gesagt, „Ich weiß es nicht“ oder „Er weiß es nicht“? Ich verlange einen O-Ton“. Es gehe ihm dabei nicht um grammatikalische Spielereien). Dieser Streit wird für den Zeugen nicht übersetzt.

R. wendet sich von dem Verteidiger L. ab und zurück zum Zeugen gewandt befragt er ihn mit lauter Stimme nach seinen weiteren Lebensumständen.

Der Zeuge wird gebeten, vom Abend des 20.12.2015 zu berichten:

Zur Essenszeit seien zwei Sicherheitsleute in die Mensa gekommen. Zwei der Geflüchteten hätten gefehlt. Die Sicherheitsleute hätten behauptet, ein Handy sei geklaut worden und draußen sei etwas passiert. Zudem sei Alkohol im Spiel gewesen. Beide seien die beiden zurück ins Camp gekommen und später seien alle drei in die Umkleide gebracht worden.

R. fragt aus Verständnisgründen nach. L. beschwert sich, da der R. einen Eigenbericht erbeten habe und nun schon die Befragung des Zeugen durch lenkende Fragen seinerseits durchführe. Dies verstoße gegen § 69 StPO. R. lacht, reagiert gelassen und bittet den Zeugen weiterzusprechen. Die Auseinandersetzung zwischen R. und L. wird für den Zeugen nicht übersetzt.

Der Zeuge berichtet weiter:

Die Sicherheitsleute hätten gesagt, sie wüssten, dass er vor drei, vier Tagen mit den beiden wegen des gestohlenen Handys Beschuldigten zusammen getrunken habe, deswegen würden sie ihn jetzt auch befragen. Er selbst sei an dem Abend nicht alkoholisiert gewesen. Die Sicherheitsleute hätten ihn nach der Befragung mit den anderen beiden Geschädigten in die Umkleide gesperrt. Die Tür sei von außen abgeschlossen worden, er habe versucht sie zu öffnen. Nach einer halben Stunde seien zwei andere Sicherheitsleute wiedergekommen und hätten ihn mitgenommen. Einer habe ihn an den Haaren gezogen und mit dem Hinterkopf gegen die Wand geschlagen, der andere habe daneben gestanden und zugesehen. Sie hätten aufgehört, als seine Nase nach einem Faustschlag zu bluten begann. Auf die Frage des R., ob er sagen könne, wer das gewesen sei, zeigt der Zeuge auf den Angeklagten N. Dann sei er in die Umkleide zurückgebracht worden und ein anderer der Geschädigten sei mitgenommen worden. In der Umkleide habe er sich auf den Boden gelegt. Dort habe er auch kurz geschlafen. Er könne sich nicht mehr darin erinnern, ob die Heizung an war und ob er gefroren habe. In der Nacht seien die Sicherheitsleute noch drei- bis viermal zur Umkleide gekommen. Genau habe er es aber nicht mitbekommen, da er zu schwer verletzt gewesen sei. Am nächsten Morgen sei er dann erst mit den beiden anderen in einen größeren Raum gebracht worden, der auch abgeschlossen wurde. Anschließend sei er ins Krankenhaus gekommen. Die Frage des R., ob die Ärzt*innen ihn überhaupt verstanden hätten, verneint der Zeuge. Sein Nasenbein sei schief, es sei gebrochen gewesen, aber nicht operiert worden. Er sei schon zweimal beim Arzt deswegen gewesen, dieser habe aber nur gesagt, er würde operiert werden, sobald die Genehmigung dafür da sei. Dies sei bis heute nicht passiert.

Der Zeuge gibt an, Schmerzen an der Nase zu haben und bittet um eine Behandlung.

Fragen/Antworten:

Der StA fragt, ob der Zeuge die Sanitäter gesehen habe. L. gibt zu bedenken, dass es auf der Sprache des Zeugen vielleicht das Wort „Sanitäter“ nicht gebe. Er würde es „Behandler“ nennen.

R. sagt, er wisse nicht, ob es „in der Sprache, die in Pakistan gesprochen wird“ überhaupt einen Unterschied zwischen Behandelnden und Sanitätern gebe. Der StA erkundigt sich zudem nach den anderen beiden Geschädigten und bezeichnet sie als „Kumpels“. [L. geht später noch einmal darauf ein.]

L. fragt nach den Details des nächtlichen Geschehens. Er möchte erneut wissen, wer geschlagen habe. A. antwortet, dass N. derjenige sei, der geschlagen habe und dass D. dabei gewesen sei. Auf die Frage, was er von dem weiteren Geschehensablauf mitbekommen habe, antwortet er, dass er Schreie gehört habe, dass der zweite zurückgebracht wurde und der dritte gleich wieder mitgenommen worden sei. Im Anschluss sei die Tür wieder geschlossen worden. Die beiden anderen Geschädigten hätten erzählt, geschlagen worden zu sein. Einer habe von Atemproblemen und einer Behandlung berichtet.

R. fragt, wie es A. heute gehe. A. antwortet, dass es ihm gut gehe, nur seiner Nase nicht. Er bittet erneut um eine Behandlung. Bisher sei niemand wegen einer Entschädigung oder Entschuldigung auf ihn zugekommen.

ZH. weist auf eine unterschiedliche Aussage hinsichtlich des Schlagens in der polizeilichen Vernehmungsakte hin. Danach habe der Angeklagte den Geschädigten nicht von hinten gegen die Wand, sondern mit der Faust auf die Nase geschlagen. Der Zeuge sagt aus, dass die Aussage vor Gericht richtig sei.

L. fragt den Zeugen, ob die anderen beiden Geschädigten tatsächlich seine „Kumpels“ seien und wo er sie kennengelernt habe. Der Dolmetscher erklärt, dass er das Wort Kumpels nicht wortgetreu übersetzen könnne. L. lacht und sagt, das glaube er. Er fragt dann, ob die anderen zwei Geschädigten, Freunde des Zeugen seien. Sie seien ja schließlich zusammen nach Deutschland gekommen. Der Zeuge sagt, er sei nur mit einem der beiden anderen Geschädigten zusammen nach Deutschland gekommen, den anderen habe er erst im Camp in Lingen kennengelernt. Sie seien aber keine Freunde.
L. weist daraufhin, dass die Angaben, die bei der Polizei gemacht wurden, dazu im Widerspruch stünden. So sei angegeben worden, dass sie sich noch nicht gekannt hätten.

Im Anschluss erkundigt sich L. danach, ob der Zeuge sich an den Dolmetscher bei der polizeilichen Vernehmung erinnere. Er gehe davon aus, dass sich der Zeuge mit der Polizei nicht verständigen konnte. Er fragt sodann nach, ob der Zeuge einen Dialekt spreche und was seine Muttersprache sei. Der Dolmetscher erklärt, in Pakistan würden Urdu und Punjabi gesprochen. Er spreche mit dem Zeugen auf Urdu. Der Zeuge gibt an, Punjabi sei seine Muttersprache. Urdu habe er acht Jahre lang in der Schule gelernt.

Der Dolmetscher fragt aus Verständnisgründen zweimal etwas auf Urdu nach. L. moniert dies und verlangt eine Übersetzung. R. schüttelt den Kopf.

Der Zeuge wird entlassen.

Die Verhandlung wird für fünf Minuten unterbrochen.

  1. Zeugin M. (Geflüchtete, die auch in der Iso-Station untergebracht war, PoC)

Als nächstes wird die Zeugin M. in den Zeugenstand gerufen. Ihre Dolmetscherin setzt sich gleich neben sie in den Zeugenstand.

R. belehrt die Zeugin und bittet die Dolmetscherin lachend zu übersetzen, da Frau M. ihn leider nicht verstehe. Er stellt Fragen zur Person und bittet sodann um einen Bericht zum Geschehen in der Nacht vom 20.12.2015.

Die Zeugin erklärt: Sie habe damals gerade entbunden und sei deswegen mit ihrem Baby in das separate Gebäude verlegt worden. An dem Abend habe sie draußen Schritte gehört. Sie habe dann aus der Tür geguckt und habe von den Sicherheitsleuten gesagt bekommen, sie solle keine Angst haben, da die Männer nur für eine Nacht in dem Gebäude untergebracht und am nächsten Tag wieder fortgebracht würden. In der Nacht sei es ganz leise gewesen. Abends würden die Türen abgeschlossen werden und sie habe keinen Schlüssel gehabt.

Keine weiteren Fragen.

Die Zeugin wird entlassen.

  1. Zeuge Bu. (PoC)

Zeuge Bu. wird irrtümlich in den Zeugenstand gerufen, aber gleich wieder entlassen. Die Vernehmung wird vertagt.

  1. Zeuge SP. (Prakikant am Gericht, weiß)

Anschließend wird ein Praktikant am Gericht, der Schüler am Gymnasium Georgianium ist, in der die Geschädigten untergebracht waren, in den Zeugenstand gerufen. Er gibt an, die Außentüren des Gebäudes seien mit einem Chip zu öffnen, die Türen im Inneren jedoch mit einem Schlüssel. Der Zeuge wird entlassen und nimmt wieder im Publikumsraum Platz, von wo aus er den gesamten Prozess verfolgt.

  1. Zeuge SM. (Geschädigter, PoC)

Als nächstes wird der Zeuge SM. in den Zeugenstand gerufen.

Er wird nach seinem genauen Namen befragt. R. stellt fest, dass es sich nicht um den Zeugen handelt, den er rufen wollte, er habe sich mit dem Namen vertan. Allgemeines Gelächter, auch im Publikumsraum. Der Zeuge wird wieder entlassen.

Ein Zeuge mit einem ähnlichen Namen wird in den Zeugenstand gerufen und nach seinem Nachnamen gefragt.

Der Dolmetscher sagt, es sei kompliziert, er habe einen Nachnamen und drei Vornamen. R. meint dazu, so kompliziert sei das gar nicht, im Emsland machten das auch viele so. Allgemeines Gelächter im Publikum.

Der Zeuge gibt an, er sei Schweißer. Es kommt zu einem Missverständnis, weil L. „Schweizer“ versteht und erläutert, diesen Beruf – eine Art Hausmeister in der Kirche – gebe es ja auch, er habe aber nicht gedacht, dass der Zeuge diesen ausübe.

Der Zeuge berichtet, er sei an dem Abend betrunken ins Camp zurückgekehrt. Dort sei er nach dem abhandengekommenen Handy gefragt worden, der Geschädigte A. sei dann dazugerufen worden, obwohl er bei dem fraglichen Vorfall gar nicht dabei gewesen sei. Die Frage,“ob er sich als betrunken bezeichnen würde, als er zurück zum Camp kam“, verneint er. Er sei mit den anderen in die Umkleide gebracht worden. Dort habe es eine Bank und eine Toilette gegeben, genauer könne er den Raum nicht beschreiben, er sei sehr ängstlich gewesen. Er sei später aus dem Raum von den Sicherheitsleuten geholt worden. Diese hätten ihn „wie einen Fußball hin- und hergespielt“ und geschlagen, bis er ohnmächtig wurde. Dabei habe D. ihn geschubst und N. habe geschlagen. Als er gefragt wird, ob er den Arzt verstanden habe und ob es sich bei der Person, um einen Sanitäter oder einen Arzt gehandelt habe, versteht der Zeuge die Frage nicht. R. lacht, macht eine wegwerfende Handbewegung und sagt, es sei auch nicht so wichtig und er wisse schon, wen der Zeuge meine. Dies wird dem Zeugen nicht übersetzt.

Im Folgenden fragt R. den Geschädigten, wie es ihm heute gehe. SM. antwortet, dass er immer noch Albträume habe.

Fragen/Antworten:

ZH. liest die in der Polizeiakte vom Zeugen angegebenen Körpergrößen der Täter vor. Sie schlägt vor, die Angeklagten könnten sich hinstellen, um zu zeigen, dass sie diesen Körpergrößen nicht entsprechen. N. steht auf, D. weigert sich auf Anweisung des L. Einer der Schöff*innen schüttelt den Kopf. L. sagt sehr laut/schreit, er wolle wissen, warum der Schöffe den Kopf geschüttelt habe. Sein Mandant werde vom nemo-tenetur-Grundsatz geschützt (d.h. dem Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen) und habe keine Verpflichtung aufzustehen. Er fordere einen unvoreingenommenen Schöffen. R. nimmt den Schöffen als Laie in Schutz. R. und L. diskutieren sehr laut miteinander. Um seinen Worten Ausdruck zu verleihen, stampft L. mit dem Fuß auf den Boden. Das Geschehen wird für den Zeugen nicht übersetzt.

L. setzt daraufhin die Befragung des Zeugen fort. Er befragt ihn bezüglich der Vorkommnisse vor der Nacht im Camp. Die Geschädigten hätten Alkohol unter einer Brücke in der Nähe der Unterkunft getrunken. L. fragt, ob ein minderjähriger Afghane dabeigewesen sei. Er fragt zudem, ob der Zeuge dem Minderjährigen Alkohol gegeben habe. R. weist darauf hin, dass der Zeuge sich nicht selbst belasten muss. L. befragt den Zeugen weiter zu der Situation unter der Brücke und spricht dabei in der dritten Person Singular von ihm, richtet also die Fragen direkt an den Dolmetscher.

Dann wird er zur Anwesenheit der Polizei im Camp gefragt. Als sie von der Brücke zurück ins Camp gekommen seien, sei keine Polizei anwesend gewesen. Das Personal habe nur mit der Polizei gedroht. Später sei dann die Polizei gekommen. L. sagt, dass laut der Polizeiakte, die Polizei gemeinsam mit den Sicherheitsleuten im Büro des Camps gewesen sei. SM. könne hierzu keine klare Aussage machen, er wisse nicht, ob die Personen im Büro von der Polizei gewesen seien.

Er fragt den Zeugen, warum er bei der Polizei geweint habe.

In diesem Zeitpunkt müssen wir die Verhandlung verlassen.