Festnahme auf kurdischer Demo

Erster Verhandlungstag, 07.02.2017, 10:10 Uhr, Amtsgericht Tiergarten, Turmstr. 91

Anwesend:

  • Richter R (weiß)
  • Staatsanwältin StAin (weiß)
  • Protokollantin P (weiß)
  • Verteidigerin V (weiß)
  • Angeklagter A (PoC)
  • Dolmetscher D (PoC)
  • Zeuge W (weiß)
  • Zeugin M (weiß)
  • Zeuge N (weiß)
  • Zeuge B (weiß)
  • Vier solidarische Prozessbeobachter_innen (weiß, PoC)

Die Verhandlung beginnt circa eine Stunde nach dem angesetzten Termin, Grund für die Verspätung ist die vorherige längere Verhandlung. Der R bittet zu Beginn alle Zeug_innen in den Saal, um diese zu belehren. Danach verlassen die Zeug_innen den Saal wieder.

R gleicht anschließend die Personalien des A ab. A ist türkischer Staatsbürger, hat einen Minijob.

Die StAin verliest die Anklageschrift (AKS): Angeklagt ist ein Vorfall, welcher sich am 20.07.2015 ereignet habe. A wird erstens vorgeworfen sich der Gefangenenbefreiung schuldig gemacht und zweitens Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben. Dies habe im Rahmen einer Kurden-Demo im Bereich der Oranienstraße in Berlin Kreuzberg stattgefunden. Es sei zu heftigen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte gekommen. A habe einem Polizeibeamten den Arm verdreht, um einen von ihm festgenommenen Mann zu befreien. Den Befreiten habe A dann in die Menschenmenge geschubst. Als A dann festgenommen werden sollte, habe er seinen Oberkörper gewunden, um die Festnahme zu verhindern. [Anmerkung: Der genaue Wortlaut der AKS konnte nicht protokolliert werden, sondern wird hier nur sinngemäß wiedergegeben]

R stellt fest, dass es im Vorfeld der Verhandlung keine möglichen Verfahrensabsprachen gegeben habe. R fragt den A und die V, ob der A sich zur Sachen äußern wolle. V sagt, der A werde wie bereits angekündigt zunächst schweigen. Der erste Zeuge wird in den Saal gerufen.

Zeuge W (25 Jahre, Polizeibeamter in Berlin)

W erklärt, dass er an dem besagten Tag bei einer Demo eingesetzt gewesen sei. Anlass der Demo sei ein Terroranschlag in der Türkei gewesen. W sei im Bereich der Skalitzer Straße zum Schutz von einem Beamten mit Videokamera eingesetzt gewesen. Vor einem muslimischen Kulturzentrum. Aus dem Verein seien dann Personen mit einer türkischen Flagge rausgekommen und in die Menge gelaufen. W habe dann zwei bis drei Faustschläge ins Gesicht bekommen von einer mittelalten Person mit grauweißem Bart. […] Der Zug des W habe sich dann fortgesetzt. W habe dann die Person wiedergesehen, habe dann mit seinen Gruppenführer gesprochen, dass von dieser Person eine Körperverletzung ausgegangen sei und daher eine Festnahme erfolgen müsse. [W schildert noch wie die Festnahme durch eine Person [A] gestört und schließlich endgültig verhindert worden sei, allerdings konnte dies nicht protokolliert werden]

Die Person habe eine Ordnerweste getragen […]. [Die Person mit der Ordnerweste wird im Weiteren als A bezeichnet, weil es sich um den hier Angeklagten handelt, auch wenn W vorerst nur von „einer Person“ spricht] A habe sich bei seiner Festnahme viel gewehrt, habe sich gegen die Hauswand gestemmt. W habe A dann einen Schlag ins Gesicht versetzt, welcher Wirkung gezeigt habe. So sei es gelungen, den A schließlich in das Auto zu bringen. Dort sei A weiter bearbeitet worden.

R fragt, ob die Person mit der Ordnerweste etwas gesagt habe. W sagt, er wisse es nicht, da es zu laut gewesen sei. Auf Nachfrage erklärt W weiterhin, dass die Person mit der Ordnerweste an der festgenommenen Person selbst gezogen habe, dem W auf den Unterarm geschlagen habe und dann weiter an dem Festgenommenen gezogen habe. R fragt, wie stark dieser Schlag gewesen sei. W gibt an keine Erinnerung mehr daran zu haben, er habe einen Körperschutzanzug getragen, der Unterarmschutz sei jedoch an der Unterseite des Arms gewesen. R fragt, ob der W sich sicher sei, dass die Person geschlagen habe. W sagt, er sei sich aus seiner Erinnerung her sicher. Er habe gerade aber keinen Zugang zu seiner zeugenschaftlichen Äußerung, da er schon länger krank sei. R macht einen Vorhalt aus eben dieser zeugenschaftlichen Äußerung, in der es heiße, dass der linke Arm des W durch die Person [A] verdreht worden sei. W gibt an, daran keine Erinnerung mehr zu haben. R fragt, wer diesen Vorfall gesehen habe. W erklärt, dass sein Kollege N beteiligt gewesen sei, der Kollege B sei irgendwann später hinzugekommen, die Kollegin M hab damit nichts zu tun gehabt, sie sei in der Koordination gewesen. R möchte weiter wissen, ob A dann ruhig gewesen sei, als er zu der M gebracht worden sei. W bejaht. A sei unmittelbar nach dem Anlegen der Handfesseln ruhig gewesen. Allerdings sei es der Hr. F gewesen, der die weitere Bearbeitung übernommen habe, nicht die M. W erinnere sich dunkel, dass der A nach dem Schlag des W sinngemäß etwas gesagt habe wie „ist ok“. R fragt weiter, ob A von dem Schlag verletzt worden sei. W sagt, er glaube, der A habe eine leichte oberflächliche Verletzung davongetragen, er sei gleich von der Feuerwehr begutachtet worden.

R erklärt, dass der V gewisse Unterschiede zwischen der Anzeigenaufnahme von Hrn. F (Schlag Unterarm) und der zeugenschaftlichen Äußerung des A (Arm verdreht) aufgefallen seien. R fragt nach einer Erklärung dafür. W kann dazu nichts sagen, es sei zu lang her. R gibt an, dass die zeugenschaftliche Äußerung das Datum des 21.07.15 [der angeklagte Vorfall war am 20.07.15] trage und möchte wissen, ob W diese da geschrieben habe. V interveniert und weist darauf hin, dass die Uhrzeit ausschlaggebend sei, der Zeitpunkt sei nämlich um 3 Uhr nachts gewesen, was bedeute, dass der W nicht nochmal nach Hause schlafen gegangen sei. R sieht den Einwand ein.

Die StAin fragt, was nach dem Schlag [dem bei der Gefangenenbefreiung] passiert sei. W gibt an, dass er nicht mehr genau wisse, wie genau das abgelaufen sei, A habe dann irgendwie an dem Gefangenen gerissen.

Die V beginnt mit ihrer Befragung. V möchte wissen, ob der A auch gegen den N gewirkt habe. W: Er wisse es nicht, er sei mit sich selbst beschäftigt gewesen. Die V bittet den W eine Skizze anzufertigen, wo wer gestanden habe. Dies geschieht am Richterpult. V fasst zusammen, dass der W ausgesagt habe, er erinnere sich an Schläge auf den Unterarm, an ein Ziehen und Wegschubsen der Person. Da er seine zeugenschaftliche Äußerung nicht mehr habe lesen können, möchte V wissen, ob der W sonst irgendetwas anderes gelesen habe. W gibt an, den Sachverhalt aus der Anzeige gelesen zu haben. V hakt nach, ob W daher seine Erinnerung habe. W sagt, er könne dies nicht ausschließen. V fragt weiter, ob W mit seinen Kollegen gekommen sei. W gibt an, dass er diese hier getroffen habe. V möchte weiter wissen, ob sie sich darüber unterhalten hätten. W erklärt, dass sie grob darüber gesprochen hätten, weil einer nicht gewusst habe, worum es gehe.

Die V möchte weiter wissen, ob die ursprünglich festgenommene Person dann später wieder festgenommen worden sei. W verneint. V macht einen Vorhalt aus der zeugenschaftlichen Äußerung des W. Darin ist die Rede von einer männlichen Person mit grau/weiß/rotem Hemd, welche festgenommen worden sei. W bejaht, es habe sich aber um die falsche Person gehandelt, diese sei älter gewesen als der ursprünglich Festgenommene. V geht auf die Situation auf dem Fahrzeug ein und fragt, ob W sofort gegangen sei, nachdem die Übergabe des A an den F erfolgt sei. W bejaht dies. V hakt nach, ob W keine Gespräche auf dem Fahrzeug gehört habe. W bestätigt, davon nichts mehr mitbekommen zu haben. V möchte weiter wissen, wessen Handschellen dem A angelegt worden seien. W sagt, er wisse es nicht. V hakt nach, ob W also die Handschellen nicht abgenommen habe, weil es seine gewesen seien. W verneint. V fragt weiter, wem der W wann gesagt habe, dass er dem A einen Schlag versetzt habe. W gibt an, dass er das frühestens dem F mitgeteilt habe im Rahmen der Sachverhaltsschilderung. V fragt, ob also W die Sachverhaltsschilderung gemacht habe. W bejaht, er habe geschildert, worum es grundsätzlich gegangen sei.

V möchte weiterhin wissen, ob es eine Aufforderung gegeben habe, bevor W nach der Person mit der Ordnerweste gegriffen habe. W glaube, dass das ohne verbale Absprachen erfolgt sei. V fragt weiter, ob es genau einen Schlag durch den W gegeben habe. W bejaht. V möchte wissen, ob irgendwelche anderen Beamten geschlagen hätten. W sagt, er glaube, dass H versucht habe, den Widerstand des A durch einen Schmerzgriff zu lösen. W habe an der linken Seite des A, H rechts vom A und A mit dem Gesicht zum Gebäude gestanden. V möchte wissen, wann der Zeuge B (Kollege des W) hinzugekommen sei. W erklärt, dass er das gar nicht gemerkt habe. V fragt, ob jemand anderes gegen den Rücken des A geschlagen habe, was W verneint.

V möchte weiterhin wissen, ob dem W berichtet worden sei, dass der A eine Anzeige habe aufgeben wollen. W verneint, ihm sei im Gegenteil gesagt worden, dass es keine Anzeige gebe. Diese Frage stehe immer im Raum nach so einer Festnahme. W ergänzt, dass er glaube, dass F ihm dies gesagt habe. V fragt, ob W sich an seine Dienstnummer von dem Tag erinnere. W versucht sie zu rekonstruieren, bekommt sie aber nicht ganz zusammen. […] V fragt den W, welche Sprache der A gesprochen habe. W sagt, er glaube, es sei Deutsch gewesen, aber es seien eben auch nur zwei Worte gewesen. V fragt weiter nach Reaktionen von außen auf die Festnahme des A. Solche seien dem W nicht aufgefallen. V macht einen Vorhalt aus der zeugenschaftlichen Äußerung: Es ist die Rede von dem Transport aus der Menschenmenge und dass W dabei mehrfach in Bedrängnis gekommen sei, durch die massive Bedrängnis habe W den A in den Rücken geschlagen [oder getreten – wurde akustisch nicht verstanden]. V möchte wissen auf welche Bedrängnis dies die Reaktion gewesen sei – durch A oder durch die Menschenmenge. W gibt an, dass er glaube, dass es um Bedrängnis durch den A gegangen sei, alles andere würde auch keinen Sinn machen.

Der Zeuge W wird entlassen. R merkt an, dass es jetzt bereits 12 Uhr sei und es noch drei weitere Zeugen gebe. R zielt auf einen zweiten Termin ab. V erklärt, dass ja nicht noch alle Zeugen gehört werden müssten. Der Zeuge W habe das gesagt, was in der Anzeige stehe und das stimme nicht mit seiner zeugenschaftlichen Äußerung überein. […] R stellt fest, dass letztendlich der A etwas abgekriegt habe und nicht die Polizeibeamten. R schaut weiter nach Vorstrafen des A: 2011 solle er eine Zitrone geworfen haben, aber da sei auch nichts rausgekommen [nicht sicher, ob der zweite Teil des Satzes richtig protokolliert wurde]. Es entsteht eine kurze Diskussion darüber, ob das Verfahren nach § 153a StPO eingestellt werden solle. R ist davon nicht abgeneigt. Die StAin erklärt jedoch, dass sie da nicht mitgehe.

Es wird ein neuer Verhandlungstermin gefunden: 28.02.17, 12:30 Uhr, Saal 572. Die restlichen drei Zeug_innen werden herein gebeten und durch den R mündlich zu dem neuen Termin geladen. M sagt allerdings, sie sei da im Urlaub, deshalb wird sie doch noch an diesem Tag gehört. Die anderen Zeugen werden bis zum nächsten Termin entlassen.

Zeugin M  (42 Jahre, Polizeibeamtin Berlin)

R fragt die M, ob sie diejenige gewesen sei, die die Anzeige aufgenommen habe. M verneint. Das habe Hr. F gemacht. M sei die Bearbeitungszugkoordinierende gewesen. R fragt, ob M etwas mit dem A zu tun gehabt habe. M verneint, sie habe mit A persönlich nichts zu tun gehabt. R macht einen Vorhalt: A sei zu M gebracht und dort belehrt worden. M schildert nochmal die Ausgangssituation am betreffenden Tag. Es habe eine demonstrative Aktion stattgefunden, vor einer Moschee sei es zu Problemen zwischen Kurden und Türken gekommen, dabei sei es zu Straftaten gekommen. Sie als Bearbeitungszug würden erst dann gerufen, wenn es zu Festnahmen komme und dann würden sie erst an den betreffenden Ort fahren. M gibt weiterhin an, dass es sein könne, dass sie gefragt habe, wie viele Festnahmen ihre Kollegen gehabt hätten und dann den Festgenommen erklärt habe, worum es gehe und diese dann auch belehrt habe, damit diese wissen, was los sei. Ansonsten würde man [gemeint sind vermutlich die Festgenommenen] da umgehauen und wisse dann immer noch nicht, was los gewesen sei. M habe aber jemand anderen auf dem Fahrzeug gehabt, nicht den A.

V fragt, wie viele Bearbeiterfahrzeuge es gegeben habe. M erklärt, es habe zwei gegeben. V möchte wissen, ob auf dem anderen Fahrzeug auch eine Frau eingesetzt gewesen sei. M sagt, sie wisse es nicht. V möchte wissen, was der F gemacht habe. M erklärt, der sei Mitarbeiter gewesen. V fragt weiter, ob noch nachvollziehbar gewesen sei, wer noch Mitarbeiter gewesen sei. M erklärt, dass das schwierig sei, sie könne sich aber nochmal darum bemühen, es herauszufinden. V erklärt, dass A angegeben habe, dass er mit einer dunkelhaarigen Frau gesprochen habe auf dem Fahrzeug. V fragt, ob M eine Erinnerung bezüglich einer dunkelhaarigen Frau komme. M überlegt und gibt an, dass sie alle blond seien. Sie würde aber nochmal recherchieren. Das Problem sei nur, dass sie wegen einer internen Umstellung nicht mehr auf das Administrative von damals zugreifen könne. R sagt, dass es nett wäre, wenn M trotzdem versuchen würde, etwas herauszufinden. R bittet den A die Frau noch mehr zu beschreiben. A gibt an, dass die Frau schulterlange, schwarze Haare, eine Brille gehabt habe und ca. 40 Jahre alt gewesen sei. Es seien zwei Polizeibeamte gewesen, die Frau sei bei ihm geblieben, der Mann sei raus gegangen. V unterbricht den A und sagt, dass dies an dieser Stelle ausreiche. R fragt die M, ob sie vielleicht mal den Hrn. F fragen könne. M bejaht. R bittet die M, dann vielleicht anzurufen oder ein Fax zu schicken, wenn sie mehr wisse. M ist einverstanden.

Die Zeugin M wird entlassen. Die Hauptverhandlung wird damit bis zum 28.02.17 unterbrochen.