VG Stuttgart legitimiert rassistische Polizeigewalt in Ellwangen und gibt Freibrief für Razzien in Erstaufnahmezentren ab 6 Uhr morgens

Prozessbericht vom 18.2.2021 / Justizwatch & Culture of Deportation

* English below *

Am 18. Februar 2021 wurde vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart über die Klage von Alassa Mfouapon gegen die massive Polizeirazzia in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Ellwangen am 3. Mai 2018 verhandelt. 500 bis 600 teils schwerbewaffnete Beamt*innen waren gegen 5 Uhr morgens  in die Schlafräume eingedrungen, hatten etwa 300 Personen aus dem Bett geworfen, sie mit Kabelbindern gefesselt und die Zimmer durchsucht. Etliche Bewohner*innen wurden verletzt und die ganze Community traumatisiert. Viele wurden außerdem festgenommen und später von der Justiz kriminalisiert. Für die Behauptung der Polizei, Schwarze Bewohner*innen der LEA hätten drei Tage zuvor eine Abschiebung “mit Gewalt” verhindert und “Waffen” gehabt, fanden sich später keine Belege. Alassa Mfouapon war ebenfalls von der Razzia betroffen.

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Statement zur Zellenrazzia nach der „Ferhat Mayouf“-Kundgebung in Moabit

Wir teilen im Folgenden ein Statement der Kampagne „Death in Custody“ zur Zellenrazzia nach der Kundgebung in Gedenken an Ferhat Mayouf am 23. Januar 2021 in Moabit:

Am 23.01. hielten wir in Gedenken an Ferhat Mayouf eine Kundgebung vor dem Knast in Moabit ab, in dem Ferhat sechs Monate zuvor starb. Dass sein Tod überhaupt Publik wurde, ist nicht zuletzt zwei Mitgefangenen zu verdanken, welche unermüdlich dafür kämpfen, dass Informationen über  Geschehnisse hinter den Mauern, diese überwinden. Auf der Kundgebung wurde von genau einem dieser zwei Gefangenen auch ein Audiobeitrag abgespielt, in dem sie von den Vorgängen in der Nacht des Todes berichteten. Der Beitrag lässt die in dieser Nacht anwesenden Schließer:Innen, wie auch die Anstaltsleitung, in keinem guten Licht dastehen. Nur fünf Tage später kam es zu einer Durchsuchung, bei der nur die Zellen der zwei erwähnten Gefangenen durchsucht wurden. Zufall? Wohl kaum!

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“Beweislage nicht klar”: Amtsgericht Augsburg stellt das Verfahren gegen Ebrima D. wegen Landfriedensbruch in Donauwörth ein

Prozessbericht vom 24.11.2020 [English]

“Beweislage nicht klar”: Amtsgericht Augsburg stellt das Verfahren gegen Ebrima D.  wegen Landfriedensbruchs in Donauwörth ein

Fast drei Jahre ist es her, dass die Polizei brutal die Geflüchteten in der Erstaufnahmeeinrichtung Donauwörth (Bayern) überfiel. Nun äußerte eine neue Richterin am Amtsgericht Augsburg erstmals Zweifel an der Vorgehensweise der Polizei. Am 24.11.2020 stellte sie das Verfahren wegen Landfriedensbruchs gegen Ebrima D. ein, weil die “Beweislage nicht klar” sei. Dabei nahm Sie Bezug auf die völlig willkürliche “Identifizierung” von 30 Gambiern, die am 14. März, 2018 von der Polizei festgenommen wurden, weil sie sich in der Nacht zuvor „zusammengerottet“ hätten. Obwohl es kaum konkrete Hinweise für eine “Zusammenrottung” gab, mussten die 30 festgenommenen zwei Monate in Untersuchungshaft bleiben, anschließend wurden alle durch das Amtsgericht Augsburg für schuldig befunden. In mehreren Fällen legten Betroffene gegen diese Entscheidung Widerspruch ein, doch die Urteile wurden immer bestätigt. Auch Ebrima D. wurde in der Verhandlung am 24.11. wegen des zweiten Anklagepunkts – Widerstand gegen Polizeibeamte – während der Razzia am 14. März 2018 zu 60 Tagessätzen verurteilt. Weiterlesen

Rassismus: Immer noch kein Thema vor Gericht?

Am 05.12.2019 haben wir von einem Verfahren berichtet, in dem J, ein Schwarzer Mann, sich gegen die Kündigung seiner Mitgliedschaft in einem Berliner Fitness-Studio wehrte.

Damals war ihm von einem weißen Mann in feindseliger Weise und mit fadenscheiniger Begründung („durch die Hitze entstehen giftige Gase und ein unangenehmer Geruch“) verboten worden, in der Sauna des Fitness-Studios ein Buch zu lesen. Den weiteren Geschehensablauf schilderten wir in unserem Beitrag wie folgt:

„Der weiße Mann beschwert sich bei dem Fitnesscenter-Management und wirft J Beleidigung vor: Dieser habe ihn u.a. als Rassisten, Nazi-Schwein und Idioten beleidigt. Zum angegebenen Zeitpunkt der Beleidigung hat sich J jedoch nachweislich nicht in Deutschland aufgehalten. Anstatt den Konflikt weiter zu prüfen und auf faire Weise aufzuarbeiten, z.B. indem die Perspektiven beider Mitglieder eingeholt werden, verweist das Management auf die Hausordnung und gibt an, J sei diesbezüglich belehrt worden. Auch diese Angabe ist fraglich, da J zum angegebenen Zeitpunkt nicht im Fitnessstudio war (nachweisbar durch die Einlog-Daten der Mitglieder). Das Management erteilt J Hausverbot. Gleichzeitig wird von ihm verlangt, den gesamten monatlichen Mitgliedbeitrag zu zahlen. Weiterlesen

Verfahren gegen Christian D. eingestellt: Polizeieinsatz „im Tunnel“ rassistischer Wahrnehmungsmuster

Prozessbericht von Justizwatch & Culture of Deportation, 30.10.2020

Das Verfahren gegen den westafrikanischen Asylsuchenden Christian D. wurde am 21. Oktober 2020 nach zwei Prozesstagen überraschend eingestellt. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, im Kontext einer Zwangsverlegung in eine andere Unterkunft Polizeibeamt*innen angegriffen und verletzt zu haben. Die Anklage ließ sich jedoch nicht aufrechterhalten, nachdem die Aussage einer beteiligten Beamtin und ein von der Verteidigung eingebrachtes Video schwere Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes weckten. Während Staatsanwaltschaft und Gericht am ersten und zu Beginn des zweiten Verhandlungstages noch am schweren Vorwurf des tätlichen Angriffs festgehalten hatten, sah der Richter sich nun gezwungen, auf den Vorschlag des Verteidigers einzugehen un das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Vermutlich spielte dabei auch das große Interesse von solidarischen Prozessbeobachter*innen und Medienvertreter*innen eine Rolle – alle Plätze im Saal waren besetzt.

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Securitygewalt und institutioneller Rassismus bedrohen Schwarze Leben

Ehemaliger Bewohner des ANKER-Zentrum Bamberg reicht Verfassungsbeschwerde ein

Pressemitteilung des Bayerischen Flüchtlingsrates, von Justizwatch und Culture of Deportation, 16. Juni 2020

Der senegalesische Asylsuchende Sidi F. (Name geändert) wurde am 27. September 2017 von einer großen Gruppe von Sicherheitsdienstmitarbeitern in der damaligen Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO) Bamberg angegriffen und schwer misshandelt. Das Ermittlungsverfahren gegen die Wachmänner wurde ohne Ergebnis eingestellt. Im Februar 2020 hat Sidi F. nun Verfassungsbeschwerde erhoben mit dem Ziel, dass gegen die Angreifer Anklage erhoben und der Vorfall detailliert aufgeklärt wird. Das hatten die Staatsanwaltschaft Bamberg, die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg sowie das Bamberger Oberlandesgericht zuvor abgelehnt, obwohl umfassendes belastendes Beweismaterial gegen die Wachdienstmitarbeiter vorliegt. Sidi F. sieht sein Recht auf effektive Strafverfolgung verletzt, das sich aus der Verpflichtung des Staates ergibt, Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Weiterlesen

Kein Infektionsschutz für Geflüchtete

Seit Wochen protestieren Geflüchtete und Unterstützer*innen gegen die andauernde Lagerpflicht. Die Lebensbedingungen in Ankerzentren, Aufnahmeeinrichtungen und anderen großen Massenunterkünften waren schon immer menschenunwürdig; angesichts der Ausbreitung des Corona-Virus sind sie aktuell aber lebensgefährlich geworden. Aufgrund der beengten Wohnverhältnisse, geteilter Sanitäranlagen und Kantinen können die notwendigen Abstandsregeln nicht ansatzweise eingehalten werden. In vielen Lagern haben sich daher innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Asylsuchende mit dem Virus infiziert, vielerorts wurden daraufhin ganze Unterkünfte unter Quarantäne gestellt. Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert, dass eine „Durchseuchung“ der Bewohner*innen billigend in Kauf genommen werde. In Bayern sind bereits drei Geflüchtete an Covid-19 gestorben.

Die Verwaltungsgerichte in Leipzig, Dresden, Chemnitz und Münster haben seit Mitte April in mehreren Fällen angeordnet, dass Geflüchtete aus Sammelunterkünften entlassen werden mussten, weil es dort nicht möglich war, Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten. Noch weigern sich Bund und Länder, Konsequenzen aus den Entscheidungen der Gerichte zu ziehen und Geflüchtete endlich dezentral in Wohnungen, leerstehenden Hotels oder Ferienapartments unterzubringen. Im Gegenteil werden Proteste gegen die Lagerunterbringung immer wieder unter Einsatz von Polizeigewalt unterbunden. Zuletzt rückte im Ankerzentrum Geldersheim bei Schweinfurt ein Großaufgebot der Polizei mit Schutzanzügen, Schlagstöcken, Pfefferspray, Hunden und zwei Helikoptern an, um 60 Protestierende einzuschüchtern. Weiterlesen

Corona-Polizei: Die ganze Stadt wird zum Gefahrengebiet

Um auf die Ausbreitung des Corona-Virus zu reagieren, wurden Mitte März bundesweit weitreichende Beschränkungen des öffentlichen Lebens eingeführt. Diese gesundheitspolitisch wahrscheinlich zumindest in Teilen sinnvollen Maßnahmen führten zu einem problematischen Machtzugewinn der Polizei, da diese mit der Kontrolle der neuen Regelungen im öffentlichen Raum beauftragt wurde. In der Folge kam es zu einem Anstieg von willkürlichen Kontrollen, Schikanen und Polizeigewalt, die u.a. auf Twitter unter dem #CoronaPolizei gesammelt wurden. Besonders betroffen waren diejenigen, die ohnehin regelmäßig ins Visier der Polizei geraten: Obdachlose, Schwarze Menschen und People of Color. Auch bei linken politischen Veranstaltungen – deren Teilnehmer*innen zum Beispiel für die Evakuierung der Lager an den Europäischen Außengrenzen demonstrierten – wurde besonders hart durchgegriffen. Dabei drängt sich die Vermutung auf, dass der Infektionsschutz lediglich als Vorwand diente: Denn die Beamt*innen, die vorgeblich die Einhaltung von Abstandsregelungen durchsetzten, nahmen es selbst mit den einfachsten Hygienemaßnahmen häufig nicht so genau. Immer wieder verzichteten sie auf einen Mundschutz und missachteten zudem den gebotenen Sicherheitsabstand. Weiterlesen

Berufungsverhandlung im „Pappnasenprozess“

Wir dokumentieren im Folgenden einen Prozessbericht von Copwatch Hamburg:
Am 10. Februar 2020 ging der Prozess gegen einen solidarischen Anwohner, der Kritik an der rassistischen und schikanösen Polizeipraxis auf St. Pauli geäußert hatte, in die zweite Runde. In erster Instanz zu 60 Tagessätzen verurteilt, hatte die Staatsanwaltschaft aber noch nicht genug und ging in Berufung. Diesmal wurde das Verfahren eingestellt. Wieder sind rund 20 Menschen gekommen, um den Prozess solidarisch und kreativ zu beobachten.

Dem Anwohner wurde vorgeworfen am 7. September 2018, einen Polizisten mit den Wort „Pappnase“ in dessen Ehre verletzt zu haben. Da der Beschuldigte, nachdem er mit einem Kopfgriff brutal zu Boden gebracht wurde, seine Muskeln angespannt haben soll, lautete die Anklage: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Bereits im ersten Prozess machte der Angeklagte deutlich, dass es im Verfahren um die rassistische Polizeipraxis auf St. Pauli und nicht etwa um die „Ehrverletzung“ des Polizisten oder den herbeigedichteten Widerstand gehen müsse. So erklärte er in seiner Stellungnahme: „Deshalb muss hier heute über Rassismus gesprochen werden. Denn Rassismus ist kein individuelles Phänomen, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, das u.a. Institutionen wie Polizei und Gerichte durchzieht. Somit rekurriert polizeiliches Handeln immer auch auf ein gesamtgesellschaftlich vorhandenes rassistisches Wissen ohne, dass der einzelne Polizeibeamte zwangsläufig intentional rassistisch handelt. Und durch die rassistischen Kontrollen in St. Pauli wird eben dieses rassistische Wissen reproduziert, indem Schwarze Menschen und People of Color als gefährliche Subjekte markiert werden. Ich bleibe dabei: Ich werde mich mit den stigmatisierten Schwarzen Menschen in meiner Nachbarschaft weiter solidarisieren.“

Wir rufen dazu auf, es dem Angeklagten gleich zu tun und der rassistischen Vertreibungspraxis auf St. Pauli und anderswo konsequent zu widersprechen. Überall da wo Menschen durch die Polizei rassistisch diskriminiert und schikaniert werden, ist praktische Solidarität gefragt.

Die vollständige Prozesserklärung gibt es hier: Weiterlesen

Prozess gegen Geflüchtete aus Eritrea endet mit zwei Verurteilungen – gewalttätige Securities bleiben weiter straffrei

Im Prozess gegen vier Geflüchtete aus Eritrea vor dem Bamberger Landgericht wurde am 7. November 2019 nach sieben Verhandlungstagen das Urteil gesprochen. Für zwei Angeklagte endete der Prozess mit Haftstrafen, zwei weitere wurden freigesprochen.

Ausgerechnet E., der selbst durch Securities schwer verletzt wurde, verurteilte das Gericht als vermeintlichen „Hauptaggressor“ zu 9 Jahren und 6 Monaten Haft. T., der aus Sicht der Richter der zweite „Haupttäter“ war, wurde freigesprochen, weil bei ihm eine „psychische Störung“ vorliege. Zugleich ordnete das Gericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. S. wurde zu einem Jahr und neun Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurden. Für O., der selbst von keinem Zeugen belastet wurde, aber seine Mitangeklagten schwer belastete, endete der Prozess mit einem Freispruch.

Es ging in dem Prozess um Geschehnisse im Ankerzentrum Bamberg am 11. Dezember 2018. Wegen einer angeblichen Ruhestörung kam es in der Nacht in Block 7 zunächst zu einem verbalen Streit zwischen Securities und Eritreern, der später zunehmend eskalierte. Aus Protest gegen die systematische Gewalt und Schikanen des Wachdienstes und das rassistische Lagersystem begannen Geflüchtete einen Riot, in dessen Zuge im ersten Stock des Gebäudes ein Brand gelegt wurde. Es kam ferner zu massiver Gewalt von Wachleuten gegen Geflüchtete in Anwesenheit der Polizei.

In der Folge wurden vier junge Männer aus Eritrea wegen gefährlicher Körperverletzung, tätlichen Angriffs und schwerer Brandstiftung angeklagt. Die Ermittlungen gegen die Wachleute wurden indessen eingestellt. Erneut wurden somit Geflüchtete kriminalisiert, während gewalttätige Securities straffrei bleiben.

Weitere Infos:

Artikel zu Prozess und Urteil in analyse & kritik 655 vom 10.12.2019
Zwischenbericht von Justizwatch & Culture of Deportation vom 4.11.2019
Aufruf zur Prozessbeobachtung von Justizwatch & Culture of Deportation ab 14.10.2019
Erklärung von Justizwatch & Culture of Deportation 18.12.2018
Erklärung von Justizwatch & Culture of Deportation 8.5.2018

Ausführliche Protokolle zu den einzelnen Verhandlungstagen folgen bald.