Hetzjagd auf Geflüchtete (Frankfurt/Oder) – 6. Verhandlungstag

LG Frankfurt Oder / 07.12.16 / 6. Verhandlungstag / 9:15 – ca. 18:50 Uhr
Schwurgerichtssaal 007

Anwesende: wie beim 3. Verhandlungstag, allerdings ist die Praktikantin von NK2 nicht da, für die Jugendgerichtshilfe sind drei Personen erschienen

Zuschauer*innen: zu Beginn zwölf, Anzahl variiert im Verlauf des Verhandlungstags, darunter Beamt*innen vom Staatsschutz, ein bis zwei Journalist*innen, vier antifaschistische Prozessbeobachter*innen

Um 9:15 wird der Angeklagte Steven S. (der sich in Haft befindet) etwas verspätet in den Gerichtssaal gebracht. Danach betreten die Richter*innen den Gerichtssaal. R1 begrüßt alle und stellt die Anwesenheit fest. Dann teilt er mit, dass er am Vortag von NK1 per Fax zwei Beweisanträge erhalten habe. Der Verteidiger von Tom L. sagt, sein Mandant sei krankgeschrieben. Er werde so lange an der Verhandlung teilnehmen, wie er könne. R1 erkundigt sich, ob es weitere Beweisanträge gebe. (Nein)

Dann fordert R1 NK1 auf, die Beweisanträge zu verlesen.

  1. Antrag: Es geht um die Strafanzeige des Angeklagten Fabian S. gegen den Mitangeklagten Tobias R. Dieser habe ihn als Verräter beschimpft und ihn geschlagen. Der Grund sei gewesen, dass Fabian S. die anderen Angeklagten „massiv belastet“ habe. Es wird beantragt, den Beamten zu laden, der die Anzeige aufgenommen hat.
  2. Antrag: Die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die ein Gutachten zu Steven S. erstellt hat, solle als sachverständige Zeugin geladen werden. Sie werde bekunden, dass Steven S. ihr gegenüber zugegeben habe, dass er mitgemacht habe.

R1 fragt, ob zu den Anträgen Stellung genommen werden solle. Ein Verteidiger bittet um eine zwanzigminütige Pause, um sich mit seinem Mandanten zu beraten. R1 sagt, er werde die Sitzung für 15 Minuten unterbrechen. Um 9:38 wird fortgesetzt. R1 erteilt dem V, der eine Stellungnahme angekündigt hatte, nicht das Wort, sondern beginnt sofort mit der Verkündigung des Beschlusses: Die Kammer lehne beide Anträge ab. Beim ersten Antrag sei kein Sachzusammenhang zu erkennen. Dass Fabian S. die anderen „massiv belastet“ habe, erlaube keinen Rückschluss auf konkrete Handlungen. Die Befragung der Ärztin (Antrag 2) belege nichts in Bezug auf die Körperverletzungshandlung. Dass Steven S. den Syrern hinterher gelaufen sei, könne als wahr unterstellt werden.

Daraufhin verliest R1 die Festnahmeanzeigen. […] Dann kündigt er an, dass die Kammer beabsichtige, die Öffentlichkeit während der Erörterung der persönlichen Verhältnisse der Angeklagten auszuschließen, denn in den Berichten der Jugendgerichtshilfe gehe es um höchstpersönliche Lebensumstände.

Um 10:15 werden die vor dem Saal wartenden Zuschauer*innen wieder rein gerufen. R1 erklärt, dass Tom L. starke Schmerzen habe. Die Kammer werde das Verfahren gegen Tom L. abtrennen. Die Verteidigerin von Jakob H. sagt, ihr Mandant sei auch sehr erkältet, habe aber kein Attest. Sein Verfahren könne ja auch abgetrennt werden. R1 erwidert, das sei allerdings nicht ihre Entscheidung. Ihr Mandant habe im Unterschied zu Tom L. kein Attest.

Tom L. und sein Verteidiger verlassen den Gerichtssaal. Die Öffentlichkeit wird ebenfalls wieder hinaus gebeten.

Um 12:35 endet der nicht öffentliche Teil. Die Zuschauer*innen gehen zurück in den Gerichtssaal. Der Verteidiger von Tobias R. stellt einen Beweisantrag. Er beantragt, die Mutter seines Mandanten als Zeugin zu laden. Sie habe nach der Tat zu einigen Mitangeklagten Kontakt aufgenommen um herauszufinden, was ihr Sohn gemacht habe. Dabei habe Steven geschrieben/gesagt [ungenau notiert], dass Tobi „nichts gemacht“ habe. Zu dem Beweisantrag möchte niemand Stellung nehmen. Es wird für zehn Minuten unterbrochen. Um 12:52 wird fortgesetzt. R1 verkündet den Beschluss, dass der Antrag abgelehnt werde. Begründung: Die Aussage von Steven, dass Tobi nichts gemacht habe, werde als wahr unterstellt.

R1 fragt, ob es weitere Beweisanträge gebe. Dies ist nicht der Fall. R1 kündigt an, dass er die Beweisaufnahme schließen werde. StA1 sagt, dass er zuvor noch einen rechtlichen Hinweis geben wolle: Für den Angeklagten Max K. komme auch eine Verurteilung wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Betracht. Dann schließt R1 die Beweisaufnahme. Es wird bis 13:45 unterbrochen.

Nach der Mittagspause stehen einige Verteidiger*innen vor dem Saal und machen Witze. Ein Rechtsanwalt sagt zur Verteidigerin von Jakob H: Na wie geht es deinem Mandanten? Immer noch verschnupft?

Um 13:46 wird fortgesetzt. R1 erteilt StA1 das Wort.

Plädoyers der Staatsanwaltschaft

StA1: Am Abend des 20.03.15 habe sich Folgendes zugetragen: Die Angeklagten seien in einer Shisha-Bar im Stadtteil Neu-Beresinchen gewesen, um den Geburtstag von Danny J. zu feiern. Dabei sei Alkohol getrunken worden. In der Bar hätten sich auch syrische Gäste aufgehalten. Es sei Musik gespielt worden, die Stimmung habe sich aufgeheizt. Dies habe am Alkohol gelegen sowie daran, dass die Angeklagten „ein grundsätzliches Problem mit ausländischen Mitbürgern“ hätten. Die syrischen Gäste hätten den Freundinnen [der Angeklagten] Getränke angeboten. Dann hätten [der gesondert verurteilte] Andy K. und Tom L. die Gruppe aufgestachelt. Auch Fabian S. habe mitgemacht. Die Syrer hätten die Parolen nicht verstehen können. Sie hätten aber dennoch den Konflikt bemerkt und sich an den Betreiber der Bar gewandt. Die Angeklagten hätten sich ebenfalls an den Barbetreiber gewandt. Daraufhin sei die Polizei gerufen worden.

Die Polizisten hätten allerdings lediglich die Personalien von Jakob H. aufgenommen und die Bar dann wieder verlassen. Der Barbetreiber habe die Polizisten beschwichtigt: man habe alles unter Kontrolle. Der Barbetreiber habe dann das Ganze beenden wollen. Er habe die syrischen Gäste gebeten zu gehen. Den Angeklagten habe er ein Freibier angeboten. Die Angeklagten seien jedoch ebenfalls aus der Bar gegangen und hätten die Verfolgung der Syrer aufgenommen. Ein Zivilfahrzeug der Polizei habe die beiden Gruppen beobachtet. Nach einiger Zeit habe Fabian S. eine schwere Eisenstange genommen und damit auf Eisenbahnschienen geschlagen. Es seien Sprüche gerufen worden. Aus diesem Grund habe ein Anwohner die Polizei gerufen. In der Zwischenzeit hätten die Angeklagten begonnen, Flaschen auf die Syrer zu werfen. Von Fabian S. und anderen sei das Kommando gegeben worden, es „denen zu zeigen“. Zwei der Syrer seien durch Tritte und Schläge zu Boden gebracht worden; dann sei weiter auf sie eingeschlagen worden. Die Eisenstange sei dabei nicht verwendet worden. Dann sei es den Syrern gelungen aufzustehen und wegzurennen. […]

Dann geht StA1 auf die Tatbeteiligungen der einzelnen Angeklagten ein.

Fabian S. habe gestanden, rechtsradikale Parolen gerufen und die anderen aufgestachelt zu haben. Er habe zugeschlagen und auch getreten und die Eisenstange gehabt – damit habe er allerdings nicht zugeschlagen. Er sei durch den Zeugen M. erkannt worden. Belastet werde er zudem durch seine eigenen Sprachnachrichten und die Aussage der Zeugin Nancy B. Fabian S. habe sich des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen sowie gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung schuldig gemacht. Bei ihm sei Jugendstrafrecht anzuwenden. Bei der Bewertung der Schwere der Schuld komme es auf die Motivation, die Ausführung und die Folgen der Tat an sowie auf charakterliche Eigenschaften. Zu den Folgen der Tat führt StA1 aus, dass diese neben den körperlichen Verletzungen für die Geschädigten ganz erhebliche psychische Belastungen nach sich gezogen habe. Zum Nachtatverhalten: Fabian S. habe sich zwar geständig eingelassen und sich bei den Geschädigten entschuldigt, beides sei aber sehr spät erfolgt. StA1 fordert eine Jugendfreiheitsstrafe von elf Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden solle, darüber hinaus fordert er die Ableistung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Die Bewährungszeit solle zwei Jahre betragen.

Marcel W. sei von einem Geschädigten wiedererkannt worden. Er sei bei der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung Mittäter gewesen, auch wenn konkrete Schläge und Tritte nicht nachgewiesen werden könnten. Die Geschädigten hätten nicht alle Täter sehen können. Marcel W. sei dabei gewesen und habe den Willen gezeigt, die anderen zu unterstützen. Ein Tatplan müsse hierfür nicht explizit bekundet werden. Auch bei Marcel W. sei Jugendstrafrecht anzuwenden. Er habe eine Vorstrafe, allerdings stamme diese aus der Zeit nach der hier verhandelten Tat. StA1 beantragt eine Jugendfreiheitsstrafe von zehn Monaten, die zur Bewährung auszusetzen sei (Bewährungszeit: zwei Jahre), außerdem eine Geldstrafe in Höhe von 2000 EUR, da Marcel W. einer Beschäftigung nachgehe.

Mick M. sei der einzige Erwachsene und er sei von beiden Geschädigten als jemand, der getreten hat, wiedererkannt worden. Er habe sich der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Mick M. habe eine Vorstrafe wegen Beleidigung aus dem Jahr 2012. Die Tatmotivation wirke sich bei ihm strafschärfend aus. StA1 fordert eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden solle, denn die Rechtsordnung mache deutlich, dass Angriffe „die auf fremdenfeindlicher Motivation beruhen“ hart bestraft werden sollten.

Steven S. sei von beiden Geschädigten wiedererkannt worden. Zuvor sei er bereits dreimal wegen Körperverletzungsdelikten in Erscheinung getreten. StA1 fordert eine Jugendfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten [zu Bewährung und Bewährungsfrist habe ich leider keine Notizen].

Danny J. sei durch den Zeugen M. als jemand, der getreten habe, wiedererkannt worden […]. Er habe bereits eine Verurteilung, allerdings nach der hier verhandelten Tat. StA1 beantragt einen Jugendfreiheitsstrafe von zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden solle (Bewährungszeit: zwei Jahre), darüber hinaus fordert er die Ableistung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit.

Bei Jakob H. sei die Beweislage schwieriger, denn er sei von keinem der Geschädigten unmittelbar wiedererkannt worden. Jedoch sei aufgrund der Aussage des Zeugen M. bekannt, dass es sich bei den Angreifern um eine größere Gruppe gehandelt habe. Außerdem habe ein Polizist Jakob H. unmittelbar nach der Tat angetroffen und wiedererkannt. StA1 beantragt einen Jugendfreiheitsstrafe von zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden solle (Bewährungszeit: zwei Jahre), darüber hinaus fordert er eine Geldstrafe in Höhe von 2500 EUR, da der Angeklagte einer Beschäftigung nachgehe.

Tobias R. sei von einem der Geschädigten als jemand, der geschlagen hat, wiedererkannt worden – diese Aussage sei aus Sicht der StA glaubhaft. Tobias R. sei bereits dreimal durch Körperverletzungsdelikte in Erscheinung getreten und habe insgesamt acht Vorstrafen. StA1 fordert eine Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Diese sei zur Bewährung auszusetzen, allerdings nur aufgrund der dreimonatigen U-Haft, die der Angeklagte erlitten habe. Zusätzlich beantragt StA1 eine Geldstrafe in Höhe von 2500 EUR. Die Bewährungsfrist solle drei Jahre betragen und der Angeklagte solle einen Bewährungshelfer bekommen.

Max K. sei von dem Geschädigten A. wiedererkannt worden. Zum Zeitpunkt des Angriffs habe er zwei Meter entfernt gestanden, allerdings habe es einen gemeinsamen Tatentschluss gegeben, daher sei Max K. als Mittäter der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung anzusehen. Er sei „nicht unerheblich alkoholisiert“ gewesen. Bei Max K. sei Erwachsenenstrafrecht anzuwenden, denn er habe einen Schulabschluss, einen Berufsabschluss, einen Führerschein und er gehe einer festen Arbeit nach, es sei keine Reifeverzögerung festzustellen. Strafschärfend wirke sich das „fremdenfeindliche Motiv“ aus. StA1 beantragt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden solle (Bewährungszeit: zwei Jahre), zusätzlich eine Geldstrafe in Höhe von 2500 EUR. Max K. sei nicht als jemand belastet worden, der zugeschlagen habe.

Abschließend richtet sich StA1 noch einmal an alle Angeklagten und greift deren Vorwurf auf, dass die syrischen Flüchtlinge von „unseren Steuergeldern“ leben würden. Er kommentiert: Die Hälfte von Ihnen lebt selbst von Hartz IV und Sozialleistungen. Die Syrer leben von deutlich weniger Geld. Während sie sich im Asylverfahren befinden, erhalten sie nur ca. 150 Euro Taschengeld im Monat. Zu den Handys: Smartphones seien heute nicht mehr so teuer. Außerdem bestehe auch die Möglichkeit, dass die Syrer die Telefone schon vor der Flucht besessen hätten.

StA2 sagt, er wolle nur eine Anmerkung zum Angeklagten Mick M. ergänzen. Er sei der Älteste und trage deshalb eine besondere Verantwortung. Außerdem sei ihm vorzuwerfen, dass er sich in der Verhandlung belustigt gezeigt habe.

Plädoyers der Nebenklage

NK1 zitiert eingangs aus den Worten von einem der Männer, die von dem rassistischen Angriff betroffen waren: „Durch die Tat hat sich mein Leben verändert. Ich dachte, ich bin im Land der Freiheit. Jetzt glaube ich nicht mehr daran. […]“ Direkt danach wendet sich NK1 an den Angeklagten Jakob H: Ja, das finden Sie lustig Herr H. [Offenbar hat dieser zuvor gegrinst oder gelacht. Das habe ich allerdings selbst nicht beobachtet] Dann beschreibt NK1 die Vorgänge vom 20.03.15: Die Gruppe der Angeklagten habe sich über zwei Dinge geärgert. Über die Tatsache, dass einer der syrischen Barbesucher mit einem Fünfzigeuroschein bezahlt habe und darüber, dass er ein relativ neues Handy gehabt habe. Alles Weitere habe sich danach ergeben. Die Stimmung sei grundsätzlich rassistisch gewesen. Bei den Angeklagten handele es sich um neun Männer, die keine Ahnung von den Lebensverhältnissen in Syrien hätten. Die Tat sei einfach feige gewesen. Im Nachhinein habe darüber hinaus kaum eine Auseinandersetzung mit dieser stattgefunden. Mick M. und Marcel W. hätten sich über die Gerichtsverhandlung belustigt.

Zur Beweislage: Es gebe die Aussagen der Geschädigten, die Aussagen des Zivilbeamten und die Aussagen des Vorgesetzten des verstorbenen Vernehmungsbeamten. […] Bezüglich der Strafzumessung schließt NK1 sich der StA an. Sie betont, dass die Folgen für die Geschädigten besonders zu berücksichtigen seien. Ihr Mandant sei acht bis zehn Monate in psychologischer Behandlung gewesen, er leide unter Schlafstörungen und habe seit dem Angriff Schwierigkeiten gehabt Deutsch zu lernen. In der Verhandlung sei er gefragt worden, ob all dies nicht Folgen seiner Erlebnisse in Syrien seien. Er habe dies verneint und auf seinen erheblichen Gewichtsverlust nach der Tat hingewiesen. NK1 fügt hinzu, dass außerdem auch eine eventuelle Re-Traumatisierung relevant für die Strafzumessung sei.

NK2 sagt, sie sei überzeugt, dass alle Angeklagten beteiligt gewesen seien. Die Motivation sei rassistisch gewesen, sonst nichts. Es könne von Glück gesprochen werden, dass nicht mehr passiert sei. Die körperlichen Folgen seien relativ gut verheilt, aber die psychischen seien weitaus schlimmer. Ihr Mandant habe immer noch Angst, alleine auf die Straße zu gehen. Die Angegriffenen hätten von Todesangst gesprochen und davon, dass sie in Deutschland nicht mit einem solchen Angriff gerechnet hätten. NK2 appelliert an die Angeklagten: diese sollten einmal versuchen sich vorzustellen, wie der Angriff für die Betroffenen gewesen sei. Das Verhalten der Angeklagten in der Verhandlung habe aber leider gezeigt, dass diese kein Interesse hätten, sich mit ihrer Tat auseinanderzusetzen.

14:43 Plädoyers der Verteidiger*innen

V Steven S. sagt, dass er zum Sachverhalt zu ähnlichen Feststellungen komme. Die Angeklagten seien am 20.03.15 in der Shisha-Bar gewesen, die Stimmung sei aufgeheizt gewesen. Andy K. habe die Anwesenden „gegen die ausländischen Bürger aufgestachelt“. Dann sei eine „Gruppe deutscher Jugendlicher“ hinter einer „Gruppe ausländischer Bürger“ hergelaufen. Ein Zivilbeamter habe die Gruppen „mehrfach angefahren“. Dann habe es „lautere Begegnungen“ gegeben, dies habe der Anwohner so berichtet. Jemand habe mit einem Gegenstand auf die Straße geschlagen, es seien Flaschen geworfen worden. Dann sei es zu einer „Auseinandersetzung“ zwischen den Gruppen gekommen. Er sehe keine Tatbeteiligung seines Mandanten und beantrage, Steven S. freizusprechen. Der V fügt hinzu, dass es ihn sehr gewundert habe, dass dieses „Ereignis“ in Frankfurt (Oder) so gravierende Auswirkungen gehabt haben solle und nicht die schrecklichen Zustände in Syrien. Er betont noch einmal, dass ihn das sehr erstaunt habe.

V Jakob H. sagt, sie wolle vorausschicken, dass der Vorfall nicht zu entschuldigen sei und so etwas einfach nicht vorkommen dürfe. Das würde allerdings auch gelten, wenn die Geschädigten Deutsche gewesen wären. Das Augenmerk müsse auf der Körperverletzung liegen, nicht auf der „angeblich ausländerfeindlichen Motivation“. Ihr Mandant sei im Übrigen gar nicht wegen so etwas [wegen einer ausländerfeindlichen Tat] angeklagt gewesen, und es gebe keinerlei Hinweise auf einen rechten Hintergrund ihres Mandanten. Jakob H. sei in der Bar gewesen, habe Alkohol getrunken und gefeiert. Mehr sei nicht herausgekommen. Von seiner Seite habe es keine „Körperverletzung gegenüber Asylanten“ gegeben. Die StA unterstelle einfach, es seien zehn Angreifer gewesen. Das reiche aber nicht. Und außerdem stimme die Zahl zehn ja gar nicht. V argumentiert weiterhin: Selbst wenn das Gericht unterstelle, dass ihr Mandant mit der Gruppe mitgegangen sei, dann sei das noch lange keine Unterstützungshandlung. Die Bar habe zugemacht, dann sei die Gruppe zusammen los gegangen. Dies beinhalte doch nicht zwingend das Vorhaben, fünf syrische Asylbewerber anzugreifen. V beantragt Freispruch und eine Entschädigung für die erlittene Freiheitsentziehung.

V Tobias R. sagt, er sei „arg verwundert“ über die Schlüsse der StA. […] Tobias habe gegenüber dem Vernehmungsbeamten gesagt, am Kleistpark sei das Rennen losgegangen. Max K. und er seien aber pinkeln gewesen und dann nicht mehr hinterhergekommen. Ein Zeuge [Name nicht notiert] habe gesagt, Max habe mit Tobi abseits gestanden [vermutlich hat er Zeuge berichtet, dass er das gehört habe] Es folgen weitere Ausführungen zur Beweislage […] Fazit: Ein Tatnachweis gegenüber Tobias R. sei hier nicht geführt worden. Sein Mandant sei daher freizusprechen.
V2 [der Angeklagte hat zwei Verteidiger*innen] ergänzt, eine Auseinandersetzung ohne Grund sei kein Hinweis auf eine „ausländerfeindliche Gesinnung“. Solche grundlosen Auseinandersetzungen würden zwischen Jugendlichen vorkommen.

Um 15:30 wird eine kurze Unterbrechung eingelegt, um 15:44 wird fortgesetzt.

V Max K. stellt fest, dass es keine Beweise gebe, dass sein Mandant überhaupt am Tatort gewesen sei, geschweige denn sich an der Tat beteiligt habe. Er fordert Freispruch.

V Fabian S. betont, dass sein Mandant sich geständig eingelassen habe [er habe Parolen gerufen und an den Körperverletzungshandlungen teilgenommen]. Beim Strafmaß sei das Geständnis des Mandanten zu berücksichtigen – auch wenn es von StA und NK „heruntergeredet“ worden sei. V wörtlich: Ohne das Geständnis wäre mein Mandant hier nicht zu verurteilen gewesen. Sein Mandant sei auch der Einzige, der sich entschuldigt habe. Zu den Nachrichten, die Fabian S. „in die Welt gesetzt“ habe: Er habe sich gegenüber jungen Frauen brüsten wollen, er sei auch alkoholisiert gewesen. Die Inhalte der Nachrichten seien allerdings in der Verhandlung einfach als richtig unterstellt worden. Der V betont weiterhin, dass die Tat „abscheulich“ gewesen sei. Darin seien sich alle Anwesenden einig.

V Danny J. beginnt sein Plädoyer mit der Feststellung, dass die Tat „so gar nicht“ gehe. Dabei sei es egal, ob „inländische oder ausländische Staatsbürger“ verprügelt würden. V wörtlich: Neun verprügeln zwei: das geht nicht. Jedoch sei das Verhalten der Polizei ungeschickt gewesen. Das müsse „in einem demokratischen Rechtsstaat anders laufen“. Aus Sicht des Gerichts und der Staatsanwaltschaft bestehe das Problem, dass der Vernehmungsbeamte gestorben sei. KOK B. [der Vorgesetzte des Verstorbenen] habe seinen Mandanten belastet. Ob die Aussage allerdings verwertbar sei, sei zweifelhaft. Falls das Gericht sie verwende, sei bei Danny J. Jugendstrafrecht anzuwenden. Zu den Folgen der Tat: die körperlichen Folgen seien nicht so gravierend gewesen. Zum Motiv: Es werde vermutet, dass „die Ausländereigenschaft“ der Grund gewesen sei, aber das sei nicht sicher („wir wissen es nicht“). Es könne auch sein, dass es für die Prügelei einfach keinen Grund gegeben habe. Hierfür würden die früheren Verurteilungen des Mitangeklagten Steven S. sprechen [offenbar handelt es sich um Körperverletzungsdelikte ohne rassistisches Motiv] Sein Mandant habe zudem keine Vorstrafen, die in diese Richtung weisen würden. All das spreche für eine „normale Prügelei“.

V Marcel W. verneint eine Mittäterschaft seines Mandanten. Dieser sei von den Geschädigten nicht bzw. nur auf Fotos erkannt worden. Die Fotos seien allerdings unter problematischen Umständen vorgelegt worden. Die Tat habe keinen „fremdenfeindlichen Hintergrund“ gehabt, ein solcher sei auch gar nicht angeklagt gewesen. Da es für eine Tatbeteiligung von Marcel W. keinen Nachweis gebe, sei dieser freizusprechen.

V Mick M: Die StA gehe von einem „ausländerfeindlichen Motiv“ aus, das aber gar nicht angeklagt gewesen sei und auch in der Beweisaufnahme keine Rolle gespielt habe. Es sei erwiesen, dass Mick M. in der Shisha-Bar gewesen sei. Allerdings seien die Angeklagten nicht den ganzen Abend als homogene Gruppe unterwegs gewesen. Die Gruppe sei zuerst gemeinsam unterwegs gewesen und habe sich dann getrennt. Ihr Mandant sei Teil einer Vierergruppe gewesen. Die jungen Menschen seien aufgrund des Alkohols und des Laufens an der frischen Luft erschöpft gewesen. Eine eventuelle Tatbeteiligung ihres Mandanten sei offen geblieben. Daher beantrage sie Freispruch.

R1 erteilt den Angeklagten das letzte Wort. Niemand möchte sich äußern. R1 kündigt überraschend eine einstündige Pause an, in der die Kammer sich beraten werde. Danach werde er das Urteil verkünden [16:16]

Die Angeklagten wirken erstaunlich gut gelaunt, während sie vor dem Saal warten.

Um 17:25 – alle bis auf die Richter*innen sitzen schon wieder an ihren Plätzen – kommt die beisitzende Richterin in den Saal und sagt, es werde noch mindestens 15 Minuten dauern. Um 18:02 wird fortgesetzt. R1 verkündet das Urteil. Max K. werde freigesprochen, die übrigen Angeklagten würden wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung verurteilt, Fabian S. darüber hinaus wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen.
Die Strafen bewegen sich zwischen dem Ableisten von 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit und einer einjährigen (Jugend-)Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird und bleiben damit deutlich unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß.

Begründung

R1 beschreibt den Tatverlauf folgendermaßen: am 20. März 2015 hätten die Angeklagten zunächst die Shisha-Bar besucht. Es sei laute Musik gespielt und Alkohol getrunken worden. Fünf Flüchtlinge aus Syrien hätten sich ebenfalls in der Bar aufgehalten. Dann habe sich eine „fremdenfeindliche Stimmung“ entwickelt. Ob es einen „realen Hintergrund“ gegeben habe, sei offen geblieben – das Wedeln mit Scheinen, das Verhalten gegenüber den Frauen und das gestohlene Handy könnten auch erfunden worden sein. Es seien dann Naziparolen gerufen worden. Fabian S. habe es zugegeben. Wer noch mitgemacht habe, sei offen geblieben. Der Barbesitzer habe mutig gehandelt [knappe Notizen, aber gemeint ist wohl, dass er versucht hat, die Gruppen zu trennen, indem er den Angeklagten ein Freibier angeboten hat]. Danach sei es zu einer Verfolgung der syrischen Flüchtlinge durch die Angeklagten gekommen. Es sei „definitiv keine Jagd“ gewesen, denn die Gruppen seien nicht gerannt. Zu Anfang habe es sich vielleicht nur um „Großmannsgetue“ gehandelt. Dann habe jemand mit einer Eisenstange „Krach gemacht“. Die Geschädigten hätten Angst bekommen, seien schneller gegangen. Daraufhin hätten die Angeklagten begonnen, Flaschen zu werfen und die beiden hinten gehenden Syrer anzugreifen. Der genaue Auslöser des Angriffs sei unklar. Sieben der hier Angeklagten hätten gleichzeitig angegriffen und die beiden Geschädigten geschlagen und getreten. Die genaue Verteilung von Tritten und Schlägen sei offen geblieben, die Kammer gehe aber von einem gemeinschaftlichen Handeln aus, so R1. Der Angeklagte Max K. habe abseits gestanden.
Die Polizei sei schnell vor Ort gewesen und habe noch gesehen, wie einige Täter geflüchtet seien. Danny J, Tobias R, Max K. und Mick M. seien gleich gestellt worden. Die Verletzungen der Geschädigten seien „glücklicherweise nicht so ausgeprägt“ gewesen und hätten ambulant im Krankenhaus behandelt werden können.

Zur Beweislage

Der Aufenthalt in der Bar sei unproblematisch, das Rufen von rechtsradikalen Parolen sei aufgrund der Einlassung von Fabian S. und der Aussage der Zeugin Nancy B. auch relativ klar. R1 betont: Dass es einen Angriff mehrerer Personen auf zwei Männer aus der Gruppe der syrischen Flüchtlinge gegeben habe, stehe nicht in Zweifel. Auch der Ort und die Zeit könnten gut rekonstruiert werden. Schwierig sei es indessen, einzelne Beteiligungen nachzuweisen. Das liege am Tod des Vernehmungsbeamten, an der Ermittlungspanne mit den Täterfotos und daran, dass die Aussagen der Zeugen widersprüchlich seien. R1 macht weitere Ausführungen zu den Tatbeteiligungen der einzelnen Angeklagten. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Aussage von Tom L. [dessen Verfahren abgetrennt wurde], dass sich alle außer Max K. und ihm „gedroschen“ hätten. […]

Abschließend stellt der Vorsitzende fest, dass die Angeklagten keine Neonazis seien – das würden die Vorverurteilungen nicht hergeben – aber sie würden rechtes Gedankengut „favorisieren“. An die Angeklagten gewandt sagt er, diese könnten auf so etwas nicht besonders stolz sein. Es sei feige, zu acht auf zwei Menschen loszugehen. Eine Zeugin habe ja auch in der Verhandlung gesagt, wie gefährlich das sei: da könne auch etwas Schlimmes passieren.

Bei Mick M. sei nicht von einem minderschweren Fall auszugehen. Das ausländerfeindliche Motiv wirke sich strafschärfend aus. Die Folgen für die Geschädigten seien allerdings schwer zu bewerten, da sie Bürgerkriegsflüchtlinge seien. Die physischen Folgen der Tat in Frankfurt (Oder) seien wahrscheinlich eher gering einzuschätzen [Anmerkung: für diese Bewertung nennt der Vorsitzende keine nähere Begründung].
Bei allen anderen sei Jugendstrafrecht anzuwenden.

Die Revisionsfrist betrage eine Woche.

Der Verhandlungstag endet um 18:51 Uhr.