Schleuserprozess Verden – Protokoll IV

Schleuserprozess, 2. große Strafkammer des Landgerichts Verden
21.08.15, 9 Uhr

Anwesend:

  • Der vorsitzende Richter, zwei Beisitzer_innen, zwei Schöff_innen
  • Staatsanwältin (die für das Verfahren zuständige Staatsanwältin ist nicht selbst erschienen, sondern wird von einer Kollegin vertreten)
  • Der Angeklagte (Ismail G.), seine Verteidigerin RAin Tuku, ein Übersetzer
  • Eine Schriftführerin, drei Justizpolizisten
  • Eine Prozessbeobachterin, eine Journalistin, viele Angehörige des Angeklagten

Die Richter_innen betreten um 9 Uhr den Saal. Der vorsitzende Richter begrüßt die Anwesenden und verkündet das Urteil: Der Angeklagte sei zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten zu verurteilen; außerdem werde der Verfall von Wertersatz in Höhe von 2.500 Euro angeordnet. Die Auslieferungshaft in Bulgarien sei im Verhältnis 1:1 anzurechnen. Daraufhin bittet der vorsitzende Richter die Anwesenden Platz zu nehmen und beginnt mit dem Vortrag der Urteilsbegründung. Dabei fällt wieder sein rücksichtsvoller Umgang auf: Er spricht langsam und deutlich und macht viele Pausen, sodass der Dolmetscher reibungslos übersetzen kann.

Urteilsbegründung

Das Gericht sehe es als erwiesen an, dass der Angeklagte Teil einer Gruppierung gewesen sei, die mehrheitlich syrische Kriegsflüchtlinge von der Türkei über Amerika nach Europa beziehungsweise Deutschland geschleust habe. Zweck der Beteiligung sei die Finanzierung des Lebensunterhalts des Angeklagten gewesen. Er sei über seinen Vater spätestens im März 2014 in Istanbul mit der Gruppierung in Kontakt gekommen.

Verschiedene Personen hätten an den Schleusungen mitgewirkt, sodass der Bandenbegriff erfüllt sei. Der Hoca in Istanbul habe sich um das Buchen der Tickets und die Beschaffung von Pässen gekümmert. Der Vater habe Aufträge entgegengenommen und mit den Auftraggebern in Kontakt gestanden. Weitere Personen hätten am Flughafen dafür gesorgt, dass die Geschleusten in die richtigen Flugzeuge eingestiegen seien, wieder andere hätten die Flüchtenden in Brasilien, Italien und Spanien in Empfang genommen und zu ihren Unterkünften gebracht.

Das System habe funktioniert, und das sei dem Angeklagten auch bekannt gewesen. Bspw. habe er gewusst, dass die Flüchtenden im Fall einer Festnahme in der Regel nach 2-3 Tagen freigelassen wurden und habe das auch in Telefonaten mitgeteilt. Ferner sei er über die Kosten der Schleusungen informiert gewesen und habe hierüber telefonisch Auskunft gegeben. Zahlungen seien erst nach erfolgreichem Abschluss der Schleusungen fällig geworden; möglicherweise seien Anzahlungen bei missglückten Versuchen zurückgezahlt worden.

Die Aufgabe des Angeklagten habe darin bestanden, Aufträge entgegen zu nehmen, Kontakt zu Geschleusten und Angehörigen zu halten, Handyguthaben aufzuladen und den Schleuserlohn einzutreiben.

Dass er am Telefon Formulierungen wie „wir schicken“ oder „meine Schleusung“ gewählt habe, wertet das Gericht als Beleg dafür, dass er kein „einfacher Angestellter“, sondern Teil der Organisation gewesen sei. Er habe sich häufig mit seinem Vater und dem Hoca ausgetauscht, insbesondere zum Hoca habe ein enger persönlicher Kontakt bestanden. Der Angeklagte habe weiterhin einen Verhandlungsspielraum gehabt und sei nicht weisungsgebunden gewesen, so habe es in seiner Macht gestanden Preisnachlasse zu gewähren. Der Angeklagte sei finanziell am Gewinn der Bande beteiligt gewesen, die genaue Höhe sei aber unklar geblieben. Zu Gunsten des Angeklagten wirke sich aus, dass das „Geschäft“ am Ende – also zur Zeit seiner Beteiligung – nicht mehr so gut gelaufen sei (es habe in diesem Zeitraum weniger Schleusungen gegeben).

Der vorsitzende Richter geht nun im Detail auf die angeklagten Taten ein und kommt zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte sich in fünf Fällen des banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 97 AufenthG) schuldig gemacht habe. Da nur einige mindernde Gründe gegeben seien, werde der allgemeine Strafrahmen zugrunde gelegt (1-10 Jahre pro Tat).

Für den Angeklagten spreche: seine weitgehende geständige Einlassung, dass in den Fällen 1-4 Bürgerkriegsflüchtlinge geschleust worden seien, dass es sich um begleitete Schleusungen auf einem sicheren Weg ohne „unnötige Strapazen“ gehandelt habe, dass die Geschleusten Handys bekommen hätten um die Schleuser jederzeit zu kontaktieren, dass es sich schließlich um „Garantieschleusungen“ gehandelt habe. Gegen den Angeklagten spreche: seine Vorbestrafung, dass er zahlreiche eigene Aufträge entgegengenommen habe (und demnach nicht nur auf familiären Druck hin gehandelt habe), dass er seine Tätigkeit fortgesetzt habe, als der Vater bereits festgenommen war, und dass er vermutlich an mehr als den fünf angeklagten Taten beteiligt gewesen sei.

Aus fünf Einzelstrafen, die zwischen 1 Jahr und 3 Monaten und 1 Jahr und 6 Monaten liegen, leite sich die Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten ab.

Die Beweisaufnahme habe wenige Erkenntnisse zur Höhe der Provision des Angeklagten gebracht. In einigen Telefonaten habe es jedoch Hinweise auf 500 Euro gegeben. Von dieser Größe sei das Gericht bei der Schätzung ausgegangen, die der Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von 2.500 Euro zugrunde liege.

Die Urteilsbegründung endet um 9:45 Uhr. Anschließend erklärt der vorsitzende Richter, der Vollzug des Haftbefehls sei unter Meldeauflagen auszusetzen, da nach Ansicht der Kammer keine Fluchtgefahr bestehe. Zum Schluss weist er die Prozessbeteiligten darauf hin, dass sie gegen das Urteil innerhalb einer Woche Revision einlegen können.

Die Verhandlung endet um 9:48 Uhr.

Eine Druckversion (pdf) des Protokolls gibt es hier.