Rassistische Festnahme in Kreuzberg

21.06.2017, 10 Uhr, Landgericht Berlin, Berufungsverhandlung

Anwesende:

  • Richter (weiß)
  • Schöffe 1 (weiß)
  • Schöffe 2 (weiß)
  • Staatsanwalt (weiß)
  • Verteidiger (weiß)
  • Angeklagter Ibad Elsidi (PoC)
  • Dolmetscher 1 (weiß)
  • Dolmetscherin 2 (weiß)
  • Protokollantin (weiß)
  • Keine Justizbeamt*innen im Saal
  • Fünf solidarische Prozessbeobachter*innen (überwiegend weiß)

Der Richter eröffnet die Verhandlung. Er gibt bekannt, dass die beiden Polizeizeugen sich für die heutige Verhandlung entschuldigt hätten. Dann stellt der Richter die Personalien des Angeklagten fest.

Anschließend wird das Urteil der 1. Instanz vom 9. Mai 2016 auszugsweise durch den Richter verlesen. Darin heißt es: Das AG Tiergarten (Schöffengericht) habe Herrn Elsidi wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Personen unter 18 Jahren verurteilt. Hr. Elsidi sei am 19.02.2015 um ca. 21 Uhr im Bereich des Görlitzer Bahnhofs auf die Zeugen 1, 2 und 3 (alle zwischen 14 und 16 Jahren) getroffen. Zusammen seien sie zum Eingang eines Hauses in der Skalitzer Str. gegagen. Elsidi habe gewusst, dass alle Zeugen unter 18 Jahren gewesen seien. Elsidi habe den drei Zeugen ein Szenetütchen Marihuana im Wert von mindestens 10 Euro überreicht. Welcher der Zeugen das Geld gegeben und welcher das Tütchen angenommen habe, habe in der Hauptverhandlung nicht mehr geklärt werden können.

R stellt fest, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung Berufung eingelegt haben. Der Angeklagte Elsidi wird durch den Richter belehrt. Der Verteidiger erklärt, dass er eine Einlassung für seinen Mandanten verlesen und Hr. Elsidi danach Fragen beantworten werde.

Einlassung des Angeklagten Elsidi [geboren 1993, keine deutsche Staatsangehörigkeit, PoC]

In der Einlassung erklärt Hr. Elsidi, dass er mit der Sache, die ihm vorgeworfen werde, nichts zu tun habe. Er müsse verwechselt worden sein. Er habe am Spreewaldplatz auf seine Verabredung gewartet, sie hätten in einem afrikanischen Restaurant essen gehen wollen. Sie seien um 21:30 Uhr verabredet gewesen, Hr. Elsidi sei jedoch schon etwas früher da gewesen. Er habe dann erst den schwimmenden Menschen im Spreewaldbad zugesehen und habe dann Zigaretten kaufen gehen wollen. Nach einigen Schritten sei ein Mann mit Lederhandschuhen gekommen und habe ihn auf die Brust geschlagen. Es sei ein zweiter Mann hinzu gekommen und habe ihn auf den Rücken geschlagen. Dann sei er gefesselt worden.  Niemand habe eingegriffen. Ein Mann mit Kinderwagen habe da gestanden, aber auch er habe nicht eingegriffen. Dann sei Hr. Elsidi in ein Polizeifahrzeug gebracht worden. Dort habe er sich nackt ausziehen müssen. Die Polizeibeamten hätten ihm überall hingesehen. Eine Polizeibeamtin habe ihm gesagt, dass er den Platz für drei Tage nicht betreten dürfe. Hr. Elsidi habe dann etwas unterschreiben müssen, was er nicht verstanden habe. Sein Anwalt habe ihm im Nachhinein erklärt, dass es sich um einen Platzverweis gehandelt haben könne. Weiterhin seien Hrn. Elsidi Fotos von Jugendlichen gezeigt worden, die er nie zuvor gesehen habe. Dann sei er zur Polizeidienststelle am Platz der Luftbrücke gefahren worden.

Der Richter beginnt mit der Befragung des Angeklagten und möchte wissen, wer die Bekannte gewesen sei, mit der Hr. Elsidi verabredet gewesen sei, ob man sie kontaktieren könne. Hr. Elsidi erklärt, dass sie eine Frau aus Italien sei, dass sie nicht Deutsch sei. Der Verteidiger fügt hinzu, dass es sich um eine flüchtige Bekannte handele, ihr Vorname sei Elena, kennengelernt habe sein Mandant sie in Italien. Weiterhin erklärt der Verteidiger, dass Hr. Elsidi keine Telefonnummer von Elena gehabt habe, er sei „eine Art erstes Date“ gewesen. Daraufhin möchte der Richter wissen, wie sie sich verabredet hätten. Elsidi erklärt, dass sie sich im Club kennengelernt hätten und dass sie sich verabredet hätten, weil er ihr sein Essen habe zeigen wollen. […] Als er auf seine Verabredung gewartet habe, sei allerdings ein aggressiver Mann („mit bösen Augen“) auf ihn zugekommen und habe ihn geschlagen. Der Richter unterbricht und weist H. Elsidi darauf hin, dass es ihm jetzt erst einmal um „diese Elena“ gehe. Er fasst noch einmal fragend zusammen, ob sie sich im Club kennengelernt hätten und dabei das Treffen in Kreuzberg verabredet hätten. Elsidi gibt an, dass er die Telefonnummer von Elena damals gehabt habe, sie nur jetzt nicht mehr habe.

Das Fragerecht geht an den Staatsanwalt über. Er möchte wissen, ob das erste Treffen zwischen Hrn. Elsidi und Elena im Club oder schon vorher gewesen sei. Hr. Elsidi gibt „im Club“ an. Weiterhin fragt der Staatsanwalt, was Elsidi in Berlin gemacht habe, er sei ja in [Ort in Sachsen-Anhalt]] gemeldet. Elsidi bejaht, dass er in [Ort in Sachsen-Anhalt] wohne. Er komme ab und zu nach Berlin, um nach einer netten Frau zu schauen und vielleicht etwas Spaß zu haben. Der Staatsanwalt hakt nach, ob es sich dabei dann um Tagesausflüge gehandelt habe. Elsidi erklärt, er sei jeweils ein paar Tage geblieben. Auf Nachfrage gibt er an, dass er bei einem Freund übernachtet habe. Der Staatsanwalt möchte daraufhin wissen, wo dieser Freund wohne. Elsidi erklärt, dass der Freund in der Nähe der Osloer Straße wohne, eine genaue Straße könne er nicht nennen. Der Staatsanwalt fragt weiter nach der Telefonnummer des Freundes. Der Verteidiger beanstandet die Frage: er könne die Relevanz der Frage nicht erkennen. Der Staatsanwalt erklärt, dass es ja sein könne, dass es sich um einen längeren Aufenthalt gehandelt habe. Wenn dies so gewesen sei, dann müsse dort nachgeforscht werden. Es könne ja sein, dass dieser längere Aufenthalt für Drogenhandel genutzt wurde. [Es entsteht eine kurze Diskussion zwischen dem Richter, dem Verteidiger und dem Staatsanwalt, in der der Staatsanwalt seine Aussage bezüglich des Drogenhandels revidiert. Der Richter sieht die Frage als nicht problematisch an und lässt sie zu] Hr. Elsidi erklärt, dass er keine Telefonnummer von dem Freund habe. Der Staatsanwalt hat keine weiteren Fragen mehr.

Der Verteidiger fragt seinen Mandanten noch einmal nach dem ersten Treffen mit Elena, weil er glaube, er selbst habe es falsch in Erinnerung gehabt. Hr. Elsidi erklärt, dass er die Frau schon aus Italien gekannt habe. Er habe sie dann aber zufällig in Berlin im Club getroffen und sei überrascht gewesen. Sie hätten sich dann unterhalten und verabredet.

Die Zeugen 1, 2 und 3 sind nicht erschienen. Es wird eine zehnminütige Pause eingelegt. Der Dolmetscher muss unterdessen einen anderen Termin wahrnehmen. Deshalb spricht der Richter sehr langsam auf Deutsch zu Hrn. Elsidi, der Verteidiger erklärt sich bereit, hilfsweise auf Englisch zu übersetzen. Dann erscheint doch noch eine andere Dolmetscherin.

Der Richter erklärt, dass keiner der Zeugen erschienen sei und dass deshalb die Verhandlung ausgesetzt werden müsse. Weiterhin hält der Richter fest, dass der Zeuge 1 ordnungsgemäß geladen worden sei. Allerdings sei die Benachrichtigung für die gesetzliche Vertreterin des Zeugen als unzustellbar zurückgekommen. […] Der Staatsanwalt erklärt, dass er Ordnungsmittel gegen die unentschuldigt nicht erschienenen Zeugen vorbehalte. Abschließend erklärt der Richter, dass das Verfahren ausgesetzt werde. Weiterhin würden gegen die unentschuldigt nicht erschienenen Zeugen Ordnungs- und Zwangsmittel, insbesondere die polizeiliche Vorführung vorbehalten. Der neue Termin werde zu gegebener Zeit mitgeteilt.