Corona-Polizei: Die ganze Stadt wird zum Gefahrengebiet

Um auf die Ausbreitung des Corona-Virus zu reagieren, wurden Mitte März bundesweit weitreichende Beschränkungen des öffentlichen Lebens eingeführt. Diese gesundheitspolitisch wahrscheinlich zumindest in Teilen sinnvollen Maßnahmen führten zu einem problematischen Machtzugewinn der Polizei, da diese mit der Kontrolle der neuen Regelungen im öffentlichen Raum beauftragt wurde. In der Folge kam es zu einem Anstieg von willkürlichen Kontrollen, Schikanen und Polizeigewalt, die u.a. auf Twitter unter dem #CoronaPolizei gesammelt wurden. Besonders betroffen waren diejenigen, die ohnehin regelmäßig ins Visier der Polizei geraten: Obdachlose, Schwarze Menschen und People of Color. Auch bei linken politischen Veranstaltungen – deren Teilnehmer*innen zum Beispiel für die Evakuierung der Lager an den Europäischen Außengrenzen demonstrierten – wurde besonders hart durchgegriffen. Dabei drängt sich die Vermutung auf, dass der Infektionsschutz lediglich als Vorwand diente: Denn die Beamt*innen, die vorgeblich die Einhaltung von Abstandsregelungen durchsetzten, nahmen es selbst mit den einfachsten Hygienemaßnahmen häufig nicht so genau. Immer wieder verzichteten sie auf einen Mundschutz und missachteten zudem den gebotenen Sicherheitsabstand.

Sozialarbeiter*innen und Streetworker*innen berichten, dass die Polizist*innen ihre Befugnisse häufig weit überdehnten. Ein langjäriger KOP-Aktivist und Berater bei ReachOut spricht von einem „Freifahrtschein für rassistische Kontrollen“. Das Problem sei vor allem, dass anlasslose Kontrollen nicht mehr nur an so genannten „Kriminalitätsbelasten Orten“ – wie etwa dem Görlitzer Park – durchgeführt werden dürften, sondern nun prinzipiell überall möglich seien. Als Vorwand reiche zum Beispiel ein vermeintlich oder tatsächlich nicht eingehaltener Sicherheitsabstand. Für People of Color werde damit die ganze Stadt zum Gefahrengebiet für Racial Profiling und Polizeigewalt.

Was die Sache noch verschärft: Mit dem Einführen von „Social Distancing“ und den damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens ist auch der Widerstand gegen Polizeigewalt und Schikane weitgehend eingebrochen. KOP und ReachOut berichten, dass sich viel weniger Menschen in Kontrollen einmischten oder als Zeug*innen meldeten. Das liege zum einen daran, dass sich zu Beginn der Maßnahmen tatsächlich deutlich weniger Menschen draußen aufhielten und somit niemand Übergriffe mitbekommen konnte. Zum anderen führten aber auch der Wunsch, Abstand zu halten und die Angst vor einer Infektion mit dem Corona-Virus dazu, dass mehr Menschen um Kontrollen einen großen Bogen machten. Zudem ist die politische Arbeit potentiell solidarischer Strukturen nur eingeschränkt möglich beziehungsweise zeitweise ganz zum Erliegen gekommen.

Die Polizei hat durch die Reglementierung des Öffentlichen Lebens ein enormes Selbstvertrauen gewonnen. Was es braucht, ist eine antirassistisch-solidarische Öffentlichkeit, um der Polizei Grenzen zu setzen und sie wieder aus dem öffentlichen Leben zurückzudrängen.