Rassismus: mal wieder kein Thema – Prozessbericht aus Lingen

10. und 12. Juni 2016 in Lingen (Emsland/Niedersachsen): Der Neonazi Moritz H. schießt mit einem Luftgewehr aus dem Fenster seiner Wohnung auf Geflüchtete. Die Schüsse verletzen drei Personen, darunter ein fünfjähriges Kind. Am 11. Januar steht der Angreifer in Lingen vor Gericht. Der Prozess verläuft katastrophal: Die Geschädigten nehmen aus Angst vor dem Angeklagten nicht an der Verhandlung teil. Ihre Anwält*innen verhalten sich überwiegend passiv. Das rassistische Motiv und die Perspektive der Betroffenen werden kaum thematisiert, viel Raum nimmt dagegen die „kombinierte Persönlichkeitsstörung“ des Angeklagten ein. Dieser stellt sich selbst als unpolitisch dar. Sein angebliches Tatmotiv: Frust über seine Arbeitslosigkeit. Besonders skandalös ist die Urteilsbegründung. Dem Richter zufolge sind die Kontakte des Angeklagten zur NPD und in die rechte Szene kein Beleg für dessen politische Überzeugungen. Ihm sei es lediglich um „Kameradschaft“ und gemeinsame Freizeitunternehmungen gegangen. Außerdem bedient der Richter selbst rassistische Diskurse: der Angeklagte stehe mit seiner Ablehnung gegenüber „Wirtschaftsflüchtlingen“ nicht alleine da. Allerdings sei es nicht seine Aufgabe, eine Unterscheidung zwischen Kriegsflüchtlingen und „Schmarotzern“ – so der Richter wörtlich – selbst durchzusetzen. Auch habe der Angeklagte mit den Schüssen gerade die Falschen getroffen: nämlich Kriegsflüchtlinge und keinen Anis Amri [mutmaßlicher Attentäter in Berlin] oder Sexualstraftäter. Weiterlesen