Unvoreingenommenheit sieht anders aus

Amtsgericht Tiergarten, 15. August 2018. Es ist der erste Verhandlungstag im Prozess gegen den aus Gambia geflüchteten Njie Senghore (Name geändert) und es hätte der einzige bleiben können. Eine halbe Stunde nach dem geplanten Verhandlungsbeginn fehlt von den beiden vorgeladenen Zeugen, die im Prozess aussagen sollen, jedoch noch immer jede Spur. Es handelt sich um zwei Polizeibeamte, die Senghore in den Abendstunden des 17. Januar 2018 dabei beobachtet haben wollen, wie er in der Gegend der Warschauer Straße an einem versteckten Cannabis-Depot hantierte. Einer der Beamten will den Beobachteten zwei Tage später wiedererkannt und ihn daraufhin vorläufig festgenommen haben. Da die gerichtliche Ladung die beiden Zeugen offenbar nicht erreicht hat und nur einer von ihnen kurzfristig zum Gericht kommen kann, steht bereits vor Beginn der Verhandlung fest, dass es einen zweiten Prozesstag geben wird. Für den Angeklagten bedeutet das eine Verlängerung der Untersuchungshaft – dort befindet er sich seit dem 20. Juni.

Senghore werden Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz in drei Fällen vorgeworfen. Neben dem oben genannten Fall ist er wegen des gewerbsmäßigen Handels mit Cannabis am 27. Februar sowie am 8. April 2018 angeklagt. In letzteren Fällen ist der Angeklagte geständig. Er bestreitet jedoch, im Falle des Cannabis-Depots schuldig zu sein. Da die zuständigen Beamten es wie in vielen vergleichbaren Fällen versäumten, an den aufgefunden BTM-Tütchen Fingerabdrücke oder ähnliche Spuren zu sichern, die den Angeklagten be- oder entlasten könnten, hängt der Ausgang des Verfahrens maßgeblich von den Aussagen der Polizeizeugen ab. Die Aussage des ersten Zeugen, der mit etwa einstündiger Verspätung im Verhandlungssaal eintrifft, wirkt jedoch weder präzise noch verlässlich: er kann insgesamt nur vage Angaben zum Tag des Geschehens machen und hat laut eigener Aussage „die Situation nicht mehr zu 100 Prozent im Kopf.“

Dennoch scheint der Richter bereits von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Wiederholt reagiert er ablehnend auf die detaillierten Fragen des Verteidigers. Besonders irritierend ist sein unwirscher Umgangston, als er dem Angeklagten Fragen zu seiner derzeitigen Bleibe stellt. Dies steht in Kontrast zu der respektvollen Art und Weise, mit der er sich an den Zeugen wendet – obschon dessen Aussage wenig eindeutig Belastendes zu Tage bringt. Unvoreingenommenheit sieht anders aus.

Der zweite und voraussichtlich letzte Verhandlungstag findet am 29. August 2018 um 12:30 in Saal 138 statt. Wir rufen dazu auf, den Prozess solidarisch zu beobachten!