Prozessbericht: Landgericht und Staatsanwaltschaft Bamberg vertuschen systematische Security-Gewalt gegen Geflüchtete

Prozess gegen vier eritreische Geflüchtete aus dem Ankerzentrum – Urteil am 7.11.2019 erwartet (mit eventuellen Zusatzterminen am 11. und 12.11.)

Bericht und Aufruf von Culture of Deportation & Justizwatch

Der Prozess begann am 14. Oktober 2019 mit einem regelrechten Krimi-Spektakel: Die Angeklagten wurden in Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt, bedrängt von den Kameras der Journalist*innen. Seit zehn Monaten sitzen die jungen Männer in Untersuchungshaft, ohne Kontakt zu ihren Familien und Freunden. Die Staatsanwaltschaft wirft den Geflüchteten schwere Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und weiteren Delikten vor. Seit dem 14. Oktober haben sechs Verhandlungstage stattgefunden. Die Plädoyers und das Urteil werden am 7. November erwartet, mit eventuellen Zusatzterminen am 11. und 12. November, jeweils um 9 Uhr.

Aus den Aussagen der Angeklagten und weiterer Bewohner*innen des Anker-Zentrums geht deutlich hervor: Es kam in der Nacht zum 11. Dezember 2018 zu massiver Gewalt gegen Geflüchtete durch den Wachdienst in Zusammenarbeit mit der Polizei, die eine Großrazzia mit mindestens 80 Beamt*innen und dem SEK durchführte. Doch dies wurde in der bisherigen Berichterstattung über den Prozess an keiner Stelle erwähnt.

Nach einer verbalen Auseinandersetzung wegen angeblich lauter Musik nach 22 Uhr sperrten die Wachmänner die Eritreer, von den einige unter Alkoholeinfluss standen, in deren Wohnung ein. Danach besprühten sie sie durch ein Loch in der Tür mit einem Feuerlöscher. Der Angeklagte E. wurde anschließend von den Securities schwer verletzt. Als er – stark aus dem Mund blutend – aus der Bewusstlosigkeit erwachte und versuchte, sich medizinische Hilfe zu holen, griff die Polizei ihn mit Pfefferspray an. Begleitet wurde er dabei von N., der ebenfalls im Anker-Zentrum Bamberg lebt. Er war an dem Streit zwischen den Wachleuten und Geflüchteten nicht beteiligt, sondern wurde wegen seiner Deutschkenntnisse als Übersetzer und Vermittler gerufen.

Als N. noch einmal versuchte, sich der Polizei zu nähern, um nach einem Notarzt zu fragen, wurde er selbst festgenommen. Vor Gericht betonte er in seiner Zeugenaussage, dass die Polizei sich nicht im Geringsten für sein Anliegen interessierte. Stattdessen wurde er gefesselt und später von den Securities in unmittelbarer Anwesenheit der Polizei schwer misshandelt. Als er bereits am Boden lag, traten die Wachmänner ihn mehrmals in den Rücken und Nacken. Trotz erlittener Verletzungen wurde er über Nacht von der Polizei festgehalten und konnte erst nach der Freilassung einen Arzt aufsuchen. Auch E. wurde nach seiner Festnahme erneut von Wachmännern ins Gesicht und in die Rippen geschlagen.

Das Gericht und der Staatsanwalt zeigten an diesen Schilderungen von massiver Gewalt kein Interesse und verzichteten auf Nachfragen. Stattdessen versuchte der Vorsitzende Richter, den Zeugen N. zu diskreditieren, indem er auf angebliche Widersprüche in seiner Aussage hinwies, die aber durch Übersetzungsfehler und eine verwirrende Befragungstechnik des Richters zustande kamen. Als N. aussagte, dass es durch Securities öfter zu Provokationen und Übergriffen gegen die Bewohner*innen des Anker-Zentrums kommt und sie sich gegenüber Schwarzen Geflüchteten besonders rassistisch verhalten, beendete der Richter kurzerhand die Befragung. Weitere Zeugen und Opfer der Security-Gewalt am 11. Dezember 2018 konnten im Prozess überhaupt nicht aussagen, weil sie zwischenzeitlich abgeschoben wurden oder das Gericht entschied, auf ihre Befragung zu verzichten.

Alle Ermittlungen gegen die Wachleute wegen der Vorfälle am 11. Dezember 2018 hat die Staatsanwaltschaft Bamberg bereits eingestellt. Den blutigen Angriff auf den Angeklagten E. und den Feuerlöschereinsatz gegen die Bewohner, die die Security zuvor eingesperrt hatte, bewertete sie als Notwehr. Bei Angriffen gegen weitere Eritreer sei es nicht möglich gewesen, die Täter zu ermitteln. Dies liegt nicht nur daran, dass wichtige Zeugen nicht mehr befragt werden konnten, weil sie bereits außer Landes geschafft wurden, sondern auch am offensichtlichen Unwillen, ernsthafte Ermittlungen durchzuführen.

Bei der Befragung der Security-Zeugen blendeten Gericht und Staatsanwaltschaft die seit Längerem öffentlich bekannte Vorgeschichte der systematischen Security-Gewalt im Anker-Zentrum Bamberg vollständig aus. Viele der am 11. Dezember 2018 eingesetzten Wachleute waren Teil des sogenannten „Flexteams” der Firma Fair Guards. Dabei handelt es sich um den Nachfolger des rassistischen und gewalttätigen „Sonderteams“, das 2017 für brutale Angriffe insbesondere gegen Schwarze Bewohner*innen des Lagers in Bamberg verantwortlich war. Auch in diesen Fällen hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Securities eingestellt und stattdessen geflüchtete Opfer kriminalisiert.

Die andauernde, systematische Wachdienst-Gewalt im Ankerzentrum Bamberg wird damit auch in diesem Prozess weiter vertuscht. Die Komplizenschaft zwischen gewalttätiger Security, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten setzt sich fort.

Wir rufen dazu auf, den Prozess auch am 7. November sowie an den möglichen Folgeterminen solidarisch zu beobachten!

Adresse des Landgerichts: Wilhelmsplatz 1, 96047 Bamberg

Kontakt:

Culture of Deportation & Justizwatch: info@cultureofdeportation.org

Weitere Infos: 

Aufruf zur Prozessbeobachtung ab 14.10.2019
Erklärung von Justizwatch & Culture of Deportation 18.12.2018
Erklärung von Justizwatch & Culture of Deportation 8.5.2018