Prozessbericht aus Ellwangen

Ellwangen, 8. August 2018. An diesem Morgen stehen vier Justizbeamt_innen vor dem Eingang des Amtsgerichts. Sie rauchen, aber gleichzeitig sieht es so aus, als würden sie vor dem Gebäude Wache halten. Wenige Minuten später beginnt ein Prozess gegen den Geflüchteten Nansadi K. Er soll während des Großeinsatzes der Polizei in der Landeserstaufnahmestelle am 3. Mai 2018 Polizeibeamt_innen tätlich angegriffen haben. Deswegen hat er gut drei Monate in U-Haft verbracht. K. kann die Vorwürfe gegen ihn nicht nachvollziehen. Was in den frühen Morgenstunden des 3. Mai passiert ist, hat er in ganz anderer Erinnerung: Seine vier Zimmergenossen und er seien durch „Polizei, Polizei“-Rufe aus dem Schlaf gerissen worden. Dann hätten maskierte und behelmte Polizeibeamt_innen das Zimmer gestürmt. Ein Beamter habe sich sofort an ihn gewandt und ihn mehrfach gegen die Brust geschlagen. In Panik habe er versucht zu fliehen, jedoch hätten weitere Einsatzkräfte ihn an der Tür gepackt und zu Boden geworfen. Danach habe er überall Schläge gespürt. Trotzdem muss er sich nun vor Gericht verantworten – und nicht die Beamt_innen, die den Einsatz zu verantworten haben.

In der Verhandlung rudern die Belastungzeug_innen etwas zurück. Während ein Polizeibeamter in seiner zeugenschaftlichen Äußerung von „Tritten in Richtung seines Kopfes“ berichtet hatte, ist vor Gericht lediglich von „Strampeln“ und „sich Sperren“ die Rede. K. wird am Ende wegen Widerstands zu 90 Tagessätzen à 5 Euro verurteilt. Der Haftbefehl gegen ihn wird aufgehoben. Er freut sich über die wieder gewonnene Freiheit, betont aber auch die Ungerechtigkeit des Verfahrens: „Ich wurde verurteilt. Dabei bin ich ein Opfer der Polizei. Ich hätte entschädigt werden müssen.“ Doch die Rechtmäßigkeit des brutalen Polizeieinsatzes, der zu einer Vielzahl willkürlicher Festnahmen führte, wird im Prozess an keiner Stelle hinterfragt. Insgesamt durchzieht die Gerichtsverhandlung ein staatstragender und rassistischer Konsens. Die Staatsanwältin fordert eine Haftstrafe ohne Bewährung – wegen des noch laufenden Asylverfahrens könne sie keine positive Sozialprognose stellen. Geht es nach ihr, sind verurteilte Geflüchtete ohne sicheren Aufenthalt wohl am besten im Gefängnis aufgehoben. Der Richter betont in der Urteilsverkündung, der Angeklagte sei zwar bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er halte sich aber auch erst seit Januar in Deutschland auf. Für den Richter ist es also nur eine Frage der Zeit, bis Geflüchtete gegen das Gesetz verstoßen. Und der Verteidiger bescheinigt der Staatsanwaltschaft, dass sie mit der Anklage nach § 114 und der Untersuchungshaft nichts falsch gemacht habe – denn nach Aktenlage habe sich die Situation eben so dargestellt.

K. ist einer von über zwanzig Personen, gegen die die Polizei nach der Razzia am 3. Mai Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Einer seiner Zimmergenossen wurde bereits am 31. Juli verurteilt – zu einer Haftstrafe ohne Bewährung. Einige Geflüchtete haben in der Zwischenzeit Strafbefehle erhalten, doch es werden auch noch weitere Verhandlungen vor dem AG Ellwangen stattfinden. Wir rufen dazu auf, die Prozesse solidarisch zu beobachten. Die willkürliche und rassistische Kriminalisierung der Geflüchteten aus Ellwangen darf nicht abseits der Öffentlichkeit passieren und sie darf vor allem nicht unwidersprochen bleiben!

Ein ausführliches Protoll der Verhandlung ist hier einsehbar: https://justizwatch.noblogs.org/prozessprotokolle/polizeigewalt-gegen-gefluechtete-in-ellwangen/