Am 31. Mai protestierten Berufsschüler_innen in Nürnberg gegen die Abschiebung eines Mitschülers nach Afghanistan. Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen, weil die Polizei mit massiver Gewalt gegen die Protestierenden vorging. Während Bayerns Innenminister den Polizeieinsatz verteidigte, übten linke Gruppen, Gewerkschaften und Flüchtlingsräte Kritik an der polizeilichen Eskalation. Ausnahmsweise stellten sich auch bürgerliche Zeitungen auf die Seite der Demonstrant_innen, lobten deren „Zivilcourage“ und kritisierten die geplante Abschiebung als „Akt der Barbarei“.
Eine ganz andere Stimmung herrschte Ende Oktober im Amtsgericht Nürnberg im ersten Prozess gegen einen Aktivisten, der sich am Protest gegen die Abschiebung beteiligt hatte. Das Gericht verurteilte ihn zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und 450 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Zuvor befand er sich fünf Monate in Untersuchungshaft. Offenbar soll hier – ähnlich wie in den G20-Prozessen in Hamburg – ein Exempel statuiert werden, um Aktivist_innen einzuschüchtern und entschlossenen Protest künftig zu verhindern. Die völlig überzogene Strafe ist auch darauf zurückzuführen, dass im Prozess der neue § 114 StGB angewendet wurde. Der Ausgang des Verfahrens gibt Kritiker_innen des umstrittenen „Schubser-Paragraphen“ recht: Dieser erhöht die ohnehin schon kaum zu überschätzende Definitionsmacht der Polizei, erleichtert die Kriminalisierung von legitimem Protest und stellt damit eine Gefahr für das Demonstrationsrecht dar.
Nicht nur das Urteil, sondern auch der Verlauf der Verhandlung und die Äußerungen des Richters sind kritikwürdig. Während die von der Polizei ausgehende Eskalation wie so oft kein Thema war, bot der Prozess im Gegenzug den Polizeibeamt_innen die Gelegenheit, sich als bemitleidenswerte Opfer von angeblich gewaltbereiten Abschiebegegner_innen zu inszenieren. Auch die Fragwürdigkeit des Auftrags, einen Schüler in das Bürgerkriegsland Afghanistan abzuschieben, wurde in der Verhandlung mit keinem Wort benannt. Stattdessen flüchtete sich der Richter in leere Phrasen, um die Ereignisse vom 31. Mai zu umschreiben: Die „Situation“ sei „aufgeladen“ gewesen, das spreche immerhin für den Angeklagten.
Dem Angeklagten gab der Richter schließlich den Rat, seine Überzeugungen in Zukunft friedlich auszudrücken. Denn er stehe nicht vor Gericht, weil er gegen Abschiebungen sei oder in seinen Grundwerten umerzogen werden solle. Der Richter ließ allerdings offen, wie der Angeklagte seiner politischen Überzeugung Ausdruck verleihen kann, ohne dabei mit der Polizei in Konflikt zu geraten. Einer Polizei, die Abschiebungen – wie in Nürnberg geschehen – im Zweifelsfall mit brutaler Gewalt durchsetzt. Hier zeigt sich die Absurdität eines Strafverfahrens, in dem politischer Widerstand gegen rassistische Verhältnisse aufs äußerste kriminalisiert wird.
Nach Angaben des Bündnisses „Widerstand Mai 31 – Solidarität ist kein Verbrechen“ laufen derzeit gegen 19 weitere Teilnehmer_innen der Demo Ermittlungsverfahren. Mehr Infos über die Kampagne und Möglichkeiten der Unterstützung unter: https://de-de.facebook.com/NuernbergIstUeberall