Auch in Hamburg wird Protest gegen rassistische Polizeipraxis kriminalisiert

In Hamburg begann am 17.10.18 der Prozess gegen eine Aktivistin, der vorgeworfen wird, ein Foto eines Polizeibeamten auf Twitter hochgeladen zu haben. Das Bild entstand im Zuge einer Protestaktion gegen den Belagerungszustand und die rassistischen Kontrollen durch die Polizei rund um die Balduintreppe. Die Aktivistin hat zum ersten Prozesstag eine Prozesserklärung abgegeben, die wir im Folgenden veröffentlichen.

Der Prozess ist derzeit ausgesetzt und wird voraussichtlich im Januar 2019 fortgesetzt. Mehr Infos gibt es bei Copwatch HH.

„Am 12.04.2018 wurden an der Balduintreppe verschiedene Fotos aufgenommen. Auf einem dieser Fotos, ist ein Pappschild in Form einer Sprechblase zu sehen, in der zu lesen ist: „Hartmut Dudde, olé olé“. Unter dem Schild steht der Polizeibeamte K., der sich nun aufgrund einer Veröffentlichung des besagten Fotos, die mir hier heute vorgeworfen wird, in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt.

Das Foto entstand im Rahmen einer politischen Kunstaktion, die zum Ziel hatte die permanente Präsenz der Polizei im Stadtteil St. Pauli zu karikieren und eine Öffentlichkeit dafür zu genieren, dass es an diesem Ort regelmäßig zu unverhältnismäßigen, sowie willkürlichen polizeilichen Maßnahmen kommt. Die Aktion war Teil einer Reihe verschiedenster Aktionen von Copwatch mit der einige Nachbar*innen im Stadtteil, sowie andere solidarische Menschen, eine Aktionsform gefunden haben, ihren Protest gegen das oben genannte auszudrücken.

In den letzten Jahren, insbesondere seit 2016, als die sogenannte „Task Force Drogen“ ins Leben gerufen wurde, die im März diesen Jahres noch einmal aufgestockt wurde, habe ich eine zunehmende Militarisierung des Stadtteils erlebt. Tagtäglich und nahezu 24/7 patrouillieren bewaffnete Polizist*innen in Uniform und in Zivil durch die Straßen St. Paulis. Sie kontrollieren auf Basis von Sonderbefugnissen, die durch die Konstruktion des „gefährlichen Ortes“ ermöglicht werden, regelmäßig verdachtsunabhängig Anwohner*innen und Besucher*innen des Stadtteils.

Diese Kontrollen passieren immer wieder anhand äußerer Merkmale wie der Hautfarbe und das, obwohl dieses Vorgehen von mehreren Verwaltungsgerichten als rechtswidrig eingestuft wurde. Schwarze Menschen können sich in St. Pauli nicht mehr frei im öffentlichen Raum bewegen, ohne Gefahr zu laufen einer entwürdigenden Kontrolle durch die Polizei unterzogen zu werden. Wiederholte Male wurde ich Zeugin davon, dass Schwarze Personen im Zuge ei-ner dieser Kontrollen – z.B. mit den Worten „Für dich ist heute Feierabend!“ – grundlos einen Platzverweis erhielten.

Es drängt sich mir daher zunehmend der Verdacht auf, dass die Sonderbefugnisse der Polizei an diesem Ort Tür und Tor für polizeiliche Willkür und rassistische und klassistische Diskriminierungen eröffnen.

Die Polizei gibt vor an diesem Ort „die öffentlich wahrnehmbare Drogenkriminalität zu bekämpfen“, was sie jedoch de facto tut, ist eine Kriminalisierung, Unsichtbarmachung und Entfernung von prekarisierten Subjekten aus dem öffentlichen Raum, die durch ihre Anwesenheit gesellschaftliche soziale Missstände offenbaren.

Dieser Umstand ist für mich nicht hinnehmbar.

Polizeiliche Repression kann und darf meiner Meinung nach nicht das Mittel gegen diese Missstände sein. Es braucht andere Akteur*innen als einen repressiven Polizeiapparat und darüber hinaus die Dekonstruktion von Metakonstrukten, die Logiken der Unsichtbarmachung erst benötigen für ihre Aufrechterhaltung. Sozialer Ausschluss und Armut finden keinesfalls zufällig statt, sondern sind zentrales und funktionales Element kapitalistischer Gesellschaften.

Die verräumlichte Kriminalitätskartierung, die auf St. Pauli vorgenommen wurde, macht meine Nachbarschaft in raumfetischistischer Manier zu einem angeblich „gefährlichen Ort“. Wenn wir darüber sprechen würden, dass dieser Ort für Schwarze Menschen aufgrund rassistischer Maßnahmen durch die Polizei gefährlich ist, kann ich da bedenkenlos mitgehen. Anderenfalls keineswegs, denn es sollte wohl klar sein, dass die Konstruktion selbst und das was sie erlaubt, nämlich ständige Kontrollen und Überprüfungen, automatisch erst dazu führt, dass mehr sogenannte Kriminalitätsdelikte aufgenommen werden, als an Orten, die nicht als „gefährlich“ gelabelt werden.

Diese Praxis ist also nichts weiter als eine selbsterfüllende Prophezeiung, die genauso gut in der Hafencity oder anderswo funktionieren würde. Perfide ist sie, weil sie sich auf dieser Basis stetig selbst legitimiert.

Kriminalpolitisch liegen sogenannte „gefährliche Orte“ und das was in ihnen passiert zwar im aktuellen kriminalpolitischen Trend, empirisch ist das aber keineswegs haltbar. Es ist daher völlig inakzeptabel, dass die Außerkraftsetzung wesentlicher Persönlichkeitsrechte, die im sogenannten „gefährlichen Ort“ von statten geht, auf Basis populärwissenschaftlicher Kriminalpolitiken passiert.

Die kriminalpolitische Zuwendung, die an so genannten „gefährlichen Orten“ praktiziert wird, suggeriert, dass es um vermeintlich kriminelle Individuen geht, um eine Wiederherstellung von verloren geglaubter Sicherheit und auch wenn das das ist, was die Polizei uns Anwohner*innen an Orten wie diesen weiß machen will, so gehe ich mit dieser Konstruktion keinesfalls d‘accord. Warum Menschen deviant werden, oder richtiger: als diese gelabelt werden, ist keine individuelle Frage, sondern eine die in erster Linie in den Strukturen der Gesamtgesellschaft zu verorten ist.

Und hier möchte ich inhaltlich einen Bogen zur Migrationspolitik schlagen, denn de facto wird hier im sogenannten „gefährlichen Ort“ die sogenannte „Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität“ ein argumentativer Platzhalter für die Kriminalisierung illegalisierter Personen. Unter diesem Deckmantel findet ein Großteil der Kontrollen eben nicht aufgrund von illegalisiertem Drogenhandel statt, sondern wird aufenthaltsrechtlich verhandelt.

Es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass in dieser Stadt, die sich selber als „Tor zur Welt“ deklariert, Geflüchtete zu Gejagten werden, dass Migrant*innen, die ihr Glück an einem anderen Ort suchen, weil sie nicht wie die weiße deutsche Dominanzgesellschaft durch ihre Geburt geopolitisch privilegiert wurden, ihnen Zugänge zu Arbeit und anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen politisch verwehrt werden, dass sie deshalb einem Geschäft unter widrigsten Umständen nachgehen müssen, in welchem keinerlei Arbeitsrechte existieren. Ein Geschäft, für das es seit je her einen Bedarf gibt, ein Geschäft, welches wie andere den ökonomischen Grundprinzipien von Angebot und Nachfrage folgt, eines welches de facto ein opferloses Delikt darstellt, da Anzeigen durch Dritte keine Rolle spielen.

Beschäftigt man sich mit der Genealogie der weltweiten Drogenpolitik wird deutlich, wie diese seit jeher eng mit rassistischen und klassistischen Diskriminierungen verwoben ist. Dass bestimmte Menschen im Straßenhandel mit Drogen tätig sind, ist ebenso wenig ein Zufall, wie die Härte und Massivität mit der ganz gezielt gegen diese Menschen vorgegangen wird.

Diese Form der Kriminalpolitik ist vorsätzlich diskriminierend und konstruiert ein rassistisch verzerrtes Menschenbild.

Und wenn ich schon dabei bin darüber zu sprechen, was uns hier weiß gemacht werden soll, so möchte ich über „Sicherheit im öffentlichen Raum“ reden, denn das ist schließlich immer noch das zentrale Argument, wenn es um die Rechtfertigung der polizeilichen Maßnahmen geht. Die vermeintliche oder reale Angst vor Kriminalität wird hier und anderswo immer wieder zum Maßstab für polizeiliches Handeln.

Es muss meiner Meinung nach daher dringend darüber gesprochen werden, warum sich weiße Personen von der Präsenz Schwarzer Menschen im öffentlichen Raum bedroht fühlen. Denn wessen Sicherheitsgefühl wird hier eigentlich ernst genommen und wessen nicht? Das meines Schwarzen Nachbarn und Freundes, der bereits mehrfach Opfer von rassistischen Kontrollen wurde, jedenfalls nicht.

Für mich stellt sich daher zunehmend die Frage, wie an einem sogenannten „gefährlichem Ort“ wie diesem gewährleistet werden kann, dass die Polizei nicht willkürlich und rechtswidrig agiert?

Da bis heute keine unabhängige Polizeikontrollbehörde existiert und Betroffene von Kontrollen und rechtswidriger Polizeiarbeit kaum Möglichkeiten haben, sich juristisch zu wehren, haben kritische Nachbar*innen und weitere solidarische Menschen die Aktionsform Copwatch ins Leben gerufen. Das Engagement besteht aus der kritischen Begleitung polizeilicher Kontrollen, einer kreativen Bespielung des öffentlichen Raumes und einer Sichtbarmachung polizeilichen Fehlverhaltens wie z.B. rassistischer Polizeigewalt in Form von Racist Profiling. Copwatch möchte die polizeilichen Maßnahmen, die hier tagtäglich durchgeführt werden, dokumentieren und zugänglich machen für eine breite Öffentlichkeit z.B. auch durch Video- und Bildmaterial.

Das Anfertigen und Veröffentlichen von Bildern von Polizeieinsätzen, sowie es auch am 12.04.18 durch die Presse und verschiedene Privatpersonen geschah, kann ich daher grundsätzlich nur begrüßen. Eine kritische öffentliche Darstellung dessen, was hier tagtäglich passiert, ist meinem Empfinden nach durchaus legitim.

Seit damit begonnen wurde, die fragwürdige Polizeiarbeit auf St. Pauli kritisch zu begleiten, versucht die Polizei dieses legitime Mittel der Zivilcourage zu verunglimpfen und zu kriminalisieren. Es kommt daher der Verdacht auf, wenn u.a. wiederholt Zeug*innen von rassistischen Kontrollen durch das Erteilen von Platzverweisen von Tatorten entfernt werden, dass eine kritische Öffentlichkeit unerwünscht ist und rechtswidrige polizeiliche Maßnahmen unsichtbar bleiben sollen.

Dass ich hier heute vor Gericht stehe, verstehe ich daher als eine weitere Absicht der Delegitimierung und Kriminalisierung des kreativen, vielfältigen und entschiedenen nachbarschaftlichen Protests.

Um aufzuzeigen mit welchen kruden Methoden die Polizei an diesem Ort gegen kritische Nachbar*innen vorgeht, möchte ich mich abschließend zu meiner Identitätsfeststellung in diesem Verfahren äußern:

In dem Bericht von Herr K., zum hier heute verhandelten Tatvorwurf ist zu lesen, dass meine Identität durch einen vorherigen Einsatz festgestellt wurde. Hier verschweigt Herr K. offensichtlich ganz bewusst, dass die Feststellung meiner Identität auf einem rechtswidrigen Weg erfolgte.
Am 14.04.18 verfolgte mich ein Zivilbeamter bis in einen Supermarkt auf der Reeperbahn, um mir dort vor den Augen der Öffentlichkeit zu eröffnen, dass gegen mich der Vorwurf einer Straftat vorläge und er daher eine Identitätsfeststellung durchführen würde. Als ich ihn dazu aufforderte mir seine Dienstnummer auszuhändigen, verweigerte er dies.

Maßnahmen wie diese stellen im so genannten „gefährlichen Ort“ kein singuläres Ereignis dar, sondern reihen sich ein, in eine schier endlose Liste polizeilicher Schikane, Einschüchterung und rechtswidrigem Verhaltens.

Dass Herr K. hier nun als vermeintlich Geschädigter hinsichtlich der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte auftritt, mutet meiner Meinung nach doch sehr zynisch an, im Anbetracht der Tatsache, dass hier im sogenannten „gefährlichen Ort“ seit Jahren tagtäglich durch die Instanz der Polizei – für die eben der selbe Herr K. tätig ist – ein Angriff auf die Persönlichkeitsrechte, die Privatsphäre, die physische Unversehrtheit usw. einer Vielzahl an Nachbar*innen und Besucher*innen zutage tritt.

Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens, steht für mich außer Frage, dass ich mich durch polizeiliche Methoden wie diese und den Vorwurf, der mir hier heute gemacht wurde, nicht einschüchtern lasse und die polizeilichen Maßnahmen auf St. Pauli weiterhin kritisch begleiten und kommentieren werde, solange die polizeiliche Willkür und die rassistischen Kontrollen vor meiner Haustür nicht aufhören.“