Stellungnahme zum Abschluss des Aktionszeitraums der Berliner Kampagne »Ban! Racial Profiling. Gefährliche Orte abschaffen«
Am 15. Juni 2017 starteten wir, ein Bündnis aus Berliner Organisationen und Initiativen, die sich gegen Rassismus, Diskriminierung und Verdrängung in der Stadt engagieren, die Kampagne »Ban! Racial Profiling. Gefährliche Orte abschaffen«. Seitdem setzen wir uns für das Ziel ein, dass die sogenannten »kriminalitätsbelasteten Orte«, besser bekannt als »gefährliche Orte«, abgeschafft werden. An diesen Orten dürfen Polizist*innen ohne Angabe von Gründen Menschen stoppen, kontrollieren und durchsuchen. An diesen Orten berichten Berliner*innen und Besucher*innen of Color verstärkt von rassistischer Profilbildung. So sind »gefährliche Orte« in der Tat eine Bedrohung: für Personen of Color.
Im Kontext eines rassistischen Diskurses in Politik und Gesellschaft werden solche diskriminierenden Maßnahmen akzeptiert und eingefordert. Wir erinnern die Berliner Regierung an das im Koalitionsvertrag formulierte Vorhaben, Maßnahmen gegen Racial Profiling zu ergreifen. Wir fordern sie auf, der Polizei ihre Befugnis zur verdachtsunabhängigen Kontrolle und Durchsuchung an »kriminalitätsbelasteten Orte« zu entziehen.
Es geht uns darum, den gesellschaftlichen Blick für das Problem Racial Profiling zu schärfen und zur praktischen Solidarität mit den Betroffenen rassistischer Kontrollen und Durchsuchungen aufzurufen. Wo Menschen rassistisch diskriminiert werden, wollen wir uns gemeinsam wehren.
Rückblick
Die Berliner Kampagne »Ban! Racial Profiling. Gefährliche Orte abschaffen« konzentrierte ihre Aktivitäten zwischen dem 15. Juni 2017 und dem 14. Juni 2018 auf verschiedene Ebenen: Unsere Kiezkampagne hat das Thema verstärkt in die Öffentlichkeit getragen und widerständige Praxen generiert. Unsere Social-Mediakampagne zeigte das tiefgreifende Ausmaß von Racial Profiling in Berlin, Deutschland und den Grenzregionen, weil Betroffene und Zeug*innen hier ihre Erfahrungen teilten. Unsere politische Kampagne adressierte Parlamentarier*innen in Gesprächsrunden und mit einer Postkartenaktion. Im Rahmen unserer juristischen Kampagne entstand ein Rechtsgutachten, das die polizeiliche Befugnis der verdachts- und anlasslosen Kontrolle an »gefährlichen Orten« fundamental in Frage stellt. Im Laufe des vergangenen Jahres haben sich bestehende Netzwerke gefestigt und neue Allianzen gebildet, auf deren Basis die Arbeit gegen diskriminierende Polizeipraktiken in all ihren Formen, lokal wie bundesweit, weitergeführt werden wird.
Kiezkampagne
Im Rahmen unserer Kiezkampagne waren wir auf zahlreichen Kiezfesten,Veranstaltungen und Demonstrationen präsent und sind dabei mit Nachbar*innen und Interessierten ins Gespräch gekommen. Wir diskutierten, welche Folgen Racial Profiling für Betroffene und das alltägliche Zusammenleben hat. Da »gefährliche Orte« für die meisten Menschen, die nicht in das Raster der Polizei fallen, unsichtbar sind, weil sie diese sorglos durchqueren können, war der Austausch wichtig.
Eigene Aktionen der Kampagne an »gefährlichen Orten« unterstützten den Prozess der Sichtbarmachung. Highlights waren etwa das Open Air Kino am 10.9.2017 auf dem Leopoldplatz in Kooperation mit dem Hände-weg-vom-Wedding-Bündnis, eine Kundgebung am 10.9.2017 im Görlitzer Park gegen Racial Profiling in Kooperation mit der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, die Flyer-Aktion am 17.10.2018 am U-Bhf. Osloer Straße in Kooperation mit dem BdB e.V. oder die Wandtapete der Kampagne an der Hauswand Oranienstr. 1/Manteuffelstr. 42 im Februar 2018.
Auch Nachbar*innen wurden im Aktionszeitraum aktiv und markierten »gefährliche Orte« in Wedding, Mitte, Neukölln und Kreuzberg mit Plakaten, auf denen Betroffene von ihren Erfahrungen mit Racial Profiling berichten. Den Austausch über »gefährliche Orte« vertieften wir im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe »Gegen die Kriminalisierung unserer Nachbarschaft« am 15.3.2018 in Kooperation mit dem MRB e.V. in Kreuzberg und am 27.4.2018 in Kooperation mit EOTO e.V. in Wedding. Deutlich wurden hier die Parallelen zwischen der rassistischen Verdrängung von Personen of Color und der klassistischen Verdrängung von Armen und Wohnungslosen in der Stadt: In den vergangenen Monaten hatte die Polizei in diesem Zusammenhang hochtechnisierte Verfahren erprobt. Intersektionale Allianzen mit Initiativen gegen Armut und die Zusammenarbeit mit Gruppen, die die Technisierung von Sicherheitspolitik im Blick haben, sind vor diesem Hintergrund wegweisend.
Social-Mediakampagne
Unsere Social-Mediakampagne, insbesondere auf Facebook und YouTube!, generierte erhöhte Aufmerksamkeit für das Problem Racial Profiling an »gefährlichen Orten« in Berlin und vernetzte Betroffene, Zeug*innen, Aktivist*innen und Interessierte. Im Laufe des Aktionszeitraums stieg die Reichweite der Seite https://www.facebook.com/gefaehrlicheorteabschaffen/ stark an. Sie wurde zu einer zentralen Adresse, wo Betroffene von Racial Profiling und Zeug*innen Vorfälle meldeten und Wege in die Berliner Beratungs- und Unterstützungsstrukturen fanden. So erreichten uns Berichte von »gefährlichen Orten« in Berlin, aber auch aus anderen deutschen Städten, sowie bemerkenswerter Weise aus Wien, mit dem gleichen Problem.
Eine große Popularität erlangte unsere Videokampagne, bei der wir einerseits kurze Clips mit Erfahrungsberichten von Betroffenen und Zeug*innen von Racial Profiling in Berlin verbreiteten. Andererseits stießen auch unsere Clips, in denen über Rechte gegenüber der Polizei bei Kontrollen in deutscher und englischer Sprache sowie in Romanes informiert wird, und die zum Teil in Kooperation mit Amnesty International entstanden, auf großen Zuspruch, der maßgeblich von den betroffenen Communities getragen wurde. Der Clip in Romanes löste sogar Debatten in Österreich aus. Die Resonanz auf unsere Social-Mediakampagne belegt die Relevanz des Themas in Berlin und darüber hinaus und erhöht den Druck auf die politisch Verantwortlichen, Racial Profiling endlich effektiv zu unterbinden. Website: http://www.polizei-gewalt.com/category/ban-racial-profiling/ Facebook: https://www.facebook.com/gefaehrlicheorteabschaffen YouTube: https://www.youtube.com/channel/UCNQfeqhTIJTvVfyrMnFsffA
Politische Kampagne
Resonanz ließ sich auch außerhalb der Sozialen Medien verzeichnen. So wurde das Bündnis lokal und bundesweit zum wichtigen Ansprechpartner: Die Kampagne wurde von Presse und Rundfunk zum Thema befragt und von Abgeordneten, Projekten und antirassistischen Initiativen zu Konferenzen, Fachgesprächen, Panels und Workshops eingeladen. Der Horizont der Kampagne hat sich in diesem Zuge erheblich erweitert: Anfragen kamen neben Berlin auch aus Leipzig, Dresden, Halle, Hamburg, Bamberg und Freiburg. Die Berliner Kampagne »Ban! Racial Profiling. Gefährliche Orte abschaffen« ist so zum Anknüpfungspunkt bundesweiter, ähnlicher Bemühungen zur Abschaffung rassistisch diskriminierender Landespolizeibefugnisse geworden. Das im Laufe unseres Aktionszeitraums erarbeitete Material, wie Informationsflyer, Logos, Layouts, Analysen und Redebeiträge, stellen wir frei zur Verfügung für diejenigen, die zum Thema arbeiten. Unser Ziel ist es, das es weitere Verwendung findet in überregionalen Initiativen.
Um unser Anliegen in Berlin zu stärken und die zahlreichen Stimmen hörbar zu machen, die sich für die Abschaffung der polizeilichen Sonderbefugnisse an »gefährlichen Orten« in der Stadt und darüber hinaus einsetzen, starteten wir eine Postkartenaktion. Wir forderten Berliner*innen und andere Aktive dazu auf, mit ihrer Unterschrift die Berliner Landesregierung an ihr Vorhaben zu erinnern, effektive Maßnahmen gegen Racial Profiling zu ergreifen. Jede unterschriebene Postkarte geht zurück auf ein Gespräch, das wir mit den Unterzeichnenden im Rahmen unserer Kiez- und politischen Kampagne führten. Im Aktionszeitraum brachten über 1200 Personen mit Ihrer Unterschrift ihre Position gegen Racial Profiling in Berlin zum Ausdruck. Wir werden die Postkarten nach der Sommerpause an die Abgeordneten des Innenausschusses weiterleiten.
Juristische Kampagne
Mit finanzieller Unterstützung von »LUSH. Charity Pot« haben wir ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das die polizeiliche Befugnis nach § 21 ASOG hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit überprüfen soll. Die Verfasser*innen des Rechtsgutachtens, Dr. Maren Burkhardt und Dr. Cengiz Barskanmaz, diskutieren in ihrem Rechtsgutachten erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm des § 21 ASOG. Ihr umfangreiches Rechtsgutachten werden wir in den kommenden Wochen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ihre Argumentation werden Dr. Maren Burkhardt und Dr. Cengiz Barskanmaz der Landesregierung in geeigneter Weise vortragen. Das Rechtsgutachten kann der Landesregierung als Argumentationsbaustein dienen, die Legalität der gesetzlichen Grundlage der anlass- und verdachtsunabhängigen Kontrolle an »gefährlichen Orten« zu prüfen und zurückzunehmen.
Ausblick
Jetzt sind die verantwortlichen Berliner Abgeordneten des Innensenats am Zuge, die Diskussion einer Gesetzesinitiative zum Verbot von Racial Profiling auf die Tagesordnung zu setzen und das Landespolizeigesetz dahingehend zu ändern, rassistische Diskriminierung durch polizeiliches Handeln an »gefährlichen Orten« zu unterbinden. Unsere Kampagne endet erst, wenn die Landespolitik der Polizei die Befugnis zur anlass- und verdachtsunabhängigen Kontrolle und Durchsuchung an »kriminalitätsbelasteten Orten« entzogen hat. Heute beenden wir, die Berliner Kampagne »Ban! Racial Profiling. Gefährliche Orte abschaffen« vorerst unseren Aktionszeitraum. Doch wir bleiben aufmerksam, solange es »gefährlichen Orte« in der Stadt gibt. Wir danken Allen, die dazu beigetragen haben, die Kampagne zu beleben und nach vorne zu bringen. Wir danken allen, die mit uns diskutiert haben, die ihre Erfahrungen geteilt haben, die sich eingemischt haben, die uns zum Nachdenken und Handeln ermuntert haben und die aktiv geworden sind. Berliner
Kampagne »Ban! Racial Profiling. Gefährliche Orte abschaffen« │ Berlin │ 14. Juni 2018