21. Juni 2017. Wir beobachten die Berufungsverhandlung gegen Ibad Elsidi. Ihm wird vorgeworfen, Anfang 2016 in der Nähe des Görlitzer Parks eine geringe Menge Marihuana im Wert von ca. zehn Euro an Minderjährige verkauft zu haben. In der ersten Instanz wurde er dafür zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt; vor Beginn der Hauptverhandlung befand er sich mehrere Monate in U-Haft. Sowohl Elsidi, der die Tat bestreitet, als auch die Staatsanwaltschaft sind gegen das erstinstanzliche Urteil in Berufung gegangen.
In der Berufungsverhandlung stellt Elsidi seine Sicht des Geschehens dar: An besagtem Freitag habe er am Spreewaldplatz in Kreuzberg auf eine Verabredung gewartet. Er habe sich mit einer Frau treffen wollen, die er zuvor in einem Club kennengelernt habe. Plötzlich seien zwei aggressiv wirkende Männer – Zivilbeamte, wie sich später herausstellte – auf ihn zugekommen, hätten ihn niedergeschlagen, gefesselt, durchsucht und schließlich mit auf die Polizeiwache genommen. Keine*r der umstehenden Passant*innen habe eingegriffen oder sich mit ihm solidarisiert. Die Jugendlichen, an die er Drogen verkauft haben soll, habe er nie zuvor gesehen. Der Kontakt zu seiner Verabredung sei später abgerissen, weil er aufgrund der Festnahme nicht am verabredeten Treffpunkt gewesen sei.
Bei der Befragung des Angeklagten durch den vorsitzenden Richter und den Staatsanwalt wird schnell deutlich, dass diese sich nicht für die Umstände der brutalen Festnahme interessieren. Stattdessen muss Elsidi unzählige inquisitorische Fragen zu seinen Berlin-Besuchen beantworten: Er wird aufgefordert zu erklären, was der Grund seiner Aufenthalte in Berlin gewesen sei – sein Wohnort liege doch in Sachsen-Anhalt. Wo er übernachtet habe. Ob er die genaue Adresse seines Freundes und dessen Telefonnummer angeben könne. Als Elsidis Verteidiger interveniert, legt der Staatsanwalt offen, worauf seine Fragen abzielen: Es müsse nachgeforscht werden, ob Elsidi seine Aufenthalte für Drogenhandel genutzt habe und ob der Freund, bei dem er gewohnt habe, womöglich ebenfalls in den Handel involviert sei. Ein weiteres Thema der Befragung ist Elsidis Verabredung am Abend der Festnahme. Auch hierzu muss er sich viele zudringliche Fragen gefallen lassen – als wäre es nicht normal in dieser Gesellschaft, dass Menschen Dates vereinbaren.
Das Verfahren zeigt wieder einmal, wie vollkommen harmlose Verhaltensweisen Schwarzer Menschen durch Polizei und Strafjustiz kriminalisiert werden: Ibad Elsidi kommt gerne am Wochenende nach Berlin, um auszugehen, Freund*innen zu treffen und Frauen kennenzulernen. Mit diesem Interesse ist er nicht allein. Im Unterschied zu zahlungskräftigen Tourist*innen, die in Berlin gern gesehen sind, endet ein harmloser Besuch in Kreuzberg für ihn jedoch mit einer brutalen Festnahme, der Zerstörung sozialer Kontakte und einer Verurteilung im Strafverfahren. Das verstehen wir als Ausdruck von institutionellem Rassismus.
Da keine*r der geladenen Zeug*innen zum Prozess am Mittwoch erschienen ist, musste die Verhandlung ausgesetzt werden. Wir bleiben an dem Fall dran.