Prozessbericht vom 24.11.2020 [English]
“Beweislage nicht klar”: Amtsgericht Augsburg stellt das Verfahren gegen Ebrima D. wegen Landfriedensbruchs in Donauwörth ein
Fast drei Jahre ist es her, dass die Polizei brutal die Geflüchteten in der Erstaufnahmeeinrichtung Donauwörth (Bayern) überfiel. Nun äußerte eine neue Richterin am Amtsgericht Augsburg erstmals Zweifel an der Vorgehensweise der Polizei. Am 24.11.2020 stellte sie das Verfahren wegen Landfriedensbruchs gegen Ebrima D. ein, weil die “Beweislage nicht klar” sei. Dabei nahm Sie Bezug auf die völlig willkürliche “Identifizierung” von 30 Gambiern, die am 14. März, 2018 von der Polizei festgenommen wurden, weil sie sich in der Nacht zuvor „zusammengerottet“ hätten. Obwohl es kaum konkrete Hinweise für eine “Zusammenrottung” gab, mussten die 30 festgenommenen zwei Monate in Untersuchungshaft bleiben, anschließend wurden alle durch das Amtsgericht Augsburg für schuldig befunden. In mehreren Fällen legten Betroffene gegen diese Entscheidung Widerspruch ein, doch die Urteile wurden immer bestätigt. Auch Ebrima D. wurde in der Verhandlung am 24.11. wegen des zweiten Anklagepunkts – Widerstand gegen Polizeibeamte – während der Razzia am 14. März 2018 zu 60 Tagessätzen verurteilt.
Während des Polizeiangriffs am Nachmittags des 14. März 2018 wurde Ebrima D. als eine der ersten Personen festgenommen. Er wurde von der Polizei daran gehindert, ein Gebäude zu betreten, mit Pfefferspray besprüht und danach festgenommen. Später „identifizierte“ eine Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes ihn als angeblichen Teilnehmer der nächtlichen “Randale”. Die Identifikation ist allerdings äußerst zweifelhaft abgelaufen –darauf wies D.s Verteidiger im Rechtsgespräch während der Gerichtsverhandlung hin. In der Ermittlungsakte gibt es Hinweise, dass willkürlich 30 Personen festgenommen, abfotografiert wurden, und aus diesen Fotos durch Mitarbeiter*innen es Sicherheitsdienstes als angebliche Täter identifiziert wurden ohne alternative Bilder vorzulegen. Diese Vorgehensweise wurde in bisherigen Verfahren vom AG Augsburg nicht in Frage gestellt und somit legitimiert.
Auf die Ausführungen des Verteidigers reagierte die Richterin mit der Feststellung, dass die “Beweislage nicht klar war” und dass um den Sachverhalt und die Schuldfrage zu klären, “ein umfangreiche Beweisaufnahme, mit offenen Ausgang” durchgeführt werden müsse. Sie hatte schon drei Wochen vor der Verhandlung eine Einstellung des gesamten Verfahrens vorgeschlagen. Die Staatsanwaltschaft lehnte dies jedoch ab, was einmal mehr ihren starken Willen zur Kriminalisierung der gambischen Community zeigt. Andererseits hat auch die neue Richterin den status quo aufrechterhalten, indem sie vor einer offenen Kritik an dem gesamten Polizeieinsatz zurückgeschreckt ist und D. dennoch verurteilt hat.
Während des Prozesses gab es die bereits bekannten Probleme mit der Übersetzung, da das Gericht wieder denselben Dolmetscher geladen hatte, der kein gambisches Mandinka spricht, und den vorherige Angeklagte im Donauwörth-Prozess schon mehrmals abgelehnt hatten. Der aufgrund der Corona-Maßnahmen stark eingeschränkte Zuschauerbereich war durch fünf solidarischen Beobachter*innen und eine Journalistin fast voll besetzt. Darunter waren drei Mitglieder der gambischen Community.
Die Entscheidung vom 24.11.2020 ist ein Schritt nach vorne für die gambische Community, die seit dem Polizeiangriff gegen die gerichtliche Legitimierung diesen Akts der Polizeigewalt kämpft und das Narrativ eines “aggressiven” Schwarzen Mobs sowie die willkürliche “Identifizierung” und Kriminalisierung von 30 seiner Mitglieder ablehnt. Trotzdem ist die Augsburger Justiz noch weit davon entfernt, ihrer Verantwortung nachzukommen, den Einsatz eindeutig zu verurteilen. Wir sind gespannt, wie sich diese Entscheidung auf die weiteren Verfahren auswirkt und ob sie insbesondere im Berufungsverfahren gegen Sam D. am 25. März 2021 Berücksichtigung finden wird. Die Beweislage ist in seinem Fall genauso “unklar” wie bei Ebrima D.
Nachwie vor fordert die gambische Community die Einstellung noch nicht abgeschlossener Verfahren, die Rehabilitierung von bereits Verurteilten und somit ein Ende der Kriminalisierung, eine gründliche Untersuchung des polizeilichen Vorgehens und ein Ende der rechtswidrigen Polizeieinsätze in bayerischen Lagern. Sie fordert außerdem die Schließung aller Lager, einen Stopp der Abschiebungen und Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Ausbildungen für alle Geflüchtete.