J, ein Schwarzer Mann, ist Mitglied bei einem Fitness-Studio in Berlin. In der Sauna kommt es zu einem Konflikt mit einem anderen Mitglied, einem weißen Mann, der ihm auf unbegründet feindselige Weise verbietet, sein Buch in der Sauna zu lesen. Der weiße Mann beschwert sich bei dem Fitnesscenter-Management und wirft J Beleidigung vor: Dieser habe ihn u.a. als Rassisten, Nazi-Schwein und Idioten beleidigt. Zum angegebenen Zeitpunkt der Beleidigung hat sich J jedoch nachweislich nicht in Deutschland aufgehalten. Anstatt den Konflikt weiter zu prüfen und auf faire Weise aufzuarbeiten, z.B. indem die Perspektiven beider Mitglieder eingeholt werden, verweist das Management auf die Hausordnung und gibt an, J sei diesbezüglich belehrt worden. Auch diese Angabe ist fraglich, da J zum angegebenen Zeitpunkt nicht im Fitnessstudio war (nachweisbar durch die Einlog-Daten der Mitglieder). Das Management erteilt J Hausverbot. Gleichzeitig wird von ihm verlangt, den gesamten monatlichen Mitgliedbeitrag zu zahlen.
J sieht sich diskriminiert, zum einen durch das Mitglied, zum anderen durch das Management des Fitnesscenters, das ihm – in Kombination mit Kommentaren über seine nicht-deutsche Herkunft – mit unverhältnismäßiger Strenge begegnet.
J geht mit zivilrechtlichen Mitteln gegen das Hausverbot vor.
Bemerkenswert an dieser Verhandlung ist, dass der Kläger zwar erreicht, dass das Hausverbot aufgehoben wird. Die rassistische Dimension der Ereigniskette, auf die zum Beispiel die Thematisierung von Js Herkunft, die diskriminierende Umgang mit J oder letztlich auch Js Benennung des weißen Mannes als „Rassisten“ hinweisen, verbleiben jedoch unterhalb der Oberfläche. Ein rassistisch diskriminierter Mensch kommt zu seinem Recht, jedoch ohne dass rassistische Diskriminierung als solche benannt wird.
Prozessprotokoll vom 07.10.2019 – AG Schöneberg
Anwesende:
Der Kläger
Richterin – R
Protokollantin
Referendarin der Richterin (sitzt vorne neben der Richterin)
Anwalt der Beklagten – B
Anwalt des Klägers – K
Beobachter*innen:
Justizwatch
Each One (EOTO e.V.)
Die Richterin eröffnet die Sitzung um kurz nach 11 Uhr. Zunächst erläutert sie den Sachverhalt. Die Beklagte habe die Fitnessstudio-Mitgliedschaft des Klägers gekündigt und ihm ein Hausverbot in sämtlichen Filialen erteilt. Als Grund gebe sie an, dass der Kläger bei einem Besuch des Fitnessstudios ein Buch mit in die Saunakabine genommen habe. Ein anderes Mitglied, Herr Müller, habe sich dadurch gestört gefühlt und den Kläger aufgefordert, die Saunakabine zu verlassen. Wegen der Hitze entstehe ein „unangenehmer Geruch“, außerdem würden sich „giftige Gase“ entwickeln. Daraufhin habe der Kläger Herrn Müller als „Idiot“ und „Rassistenschwein“ beschimpft. Der Kläger habe weiterhin die Weisung eines Mitarbeiters, keine Bücher mit in die Saunakabine zu nehmen, missachtet.
Der Kläger wolle die Rücknahme der Kündigung seiner Fitnessstudio-Mitgliedschaft und die Aufhebung seines Hausverbots in den Filialen des Fitnessstudios erreichen. Er bestreite die Beleidung gegenüber Herrn Müller. Herr Müller sei ihm gegenüber maßregelnd aufgetreten. Er habe ihn daraufhin lediglich gebeten, dieses Verhalten zu unterlassen, von Beleidigungen könne keine Rede sein. Außerdem mache er geltend, dass immer wieder Menschen in der Saunakabine lesen würden, es gebe auch in der Hausordnung kein diesbezügliches Verbot.
Die Richterin fragt nach Einigungsmöglichkeiten.
B lehnt dies zunächst ab. K bemerkt, dass eine Kündigung gegenüber seinem Mandanten gar nicht ausgesprochen worden sei.
R bringt eine Wohlverhaltenserklärung ins Spiel. Der Kläger könne sich verpflichten, künftig keine Bücher mehr mit in die Sauna zu bringen und keine anderen Mitglieder mehr zu beleidigen.
Es gibt eine längere Diskussion zwischen B und K.
K erklärt, sein Mandant wäre bereit, den Punkt mit den Büchern hinzunehmen, aber nicht den Punkt mit der Beleidigung.
Um 11:10 wird die Sitzung für einige Minuten unterbrochen.
Der Kläger und sein Anwalt gehen raus, um sich zu besprechen. Zwischen der Richterin und dem Anwalt der Beklagten entwickelt sich eine Plauderei. Sie sprechen über den Wintereinbruch. B schüttelt seine Hände aus und erklärt, seine Finger seien kalt, da er mit dem Fahrrad gekommen sei. R bietet B an, seine Finger an der Heizung zu wärmen.
B sagt, er „hoffe, das hat sich jetzt auch erledigt“.
R: „Ja, das hoffe ich auch.“
11:15 Fortsetzung der Sitzung
Der Kläger und sein Anwalt kommen zurück in den Gerichtssaal.
K erklärt, dass der Kläger grundsätzlich zu einem Vergleich bereit sei. Es komme dann auf die Bedingungen an. Beleidigungen seien ohnehin ein außerordentlicher Kündigungsgrund, dies sei unstrittig. Auch das Mitnehmen von Büchern in die Saunakabine könne als außerordentlicher Kündigungsgrund festgehalten werden.
Es folgt eine Diskussion zwischen B und K über die Ausgestaltung des Vergleichs.
R: (Beginnt, den Text für den Vergleich zu diktieren) Parteien sind sich einig, dass der Mitgliedsvertrag vom 7.8.2017 bisher nicht beendet wurde. Die Beklagte verpflichtet sich, das Hausverbot aufzuheben und die Mitgliedskarte zu entsperren.
Es folgt eine kurze Abstimmung zwischen R und B über das späteste Datum der Entsperrung, dies wird auf den 22. Oktober 2019 festgelegt.
R: Die Parteien sind ich einig, dass in Zukunft, sollte der Kläger ein Buch in die Saunakabine mitnehmen, oder ein anderes Mitglied beleidigen, ein außerordentliches Kündigungsrecht besteht.
Nun erfolgt der Versuch des Anwalts des Klägers, die Diskriminierung zur Sprache zu bringen und den ursprünglichen Vorfall, der diskriminierende Motive anmuten lässt, ins Spiel zu bringen. Auch J ergreift in diesem Zusammenhang das Wort und verweist auf sein Bedürfnis nach Schutz vor diskriminierenden Vorfällen und fairer Behandlung, unabhängig von seiner Herkunft. Wie sich zeigen wird, geht ihr Versuch ins Leere: Ein offizielles Zugeständnis zum Schutz vor Diskriminierung wird von der Beklagten aus juristischen Gründen kategorisch abgelehnt – was auch bei der Richterin auf Verständnis stößt. Sich den Fitness-Raum ggf. mit diskriminierenden Mitgliedern zu teilen, scheint ihr zufolge zu den Dingen zu gehören, mit denen sich Menschen arrangieren müssen. Wie der Verlauf der Dinge nach dem Urteil zeigt, ist es mit der diskriminierenden Behandlung nicht zu Ende und mit keiner schützenden Haltung seitens des Managements zu rechnen.
K: Merkt an dieser Stelle an, dass es ein Problem sei, dass Herr Müller den Kläger zurechtgewiesen habe. Die Beklagte solle sich ebenfalls verpflichten, seinen Kläger vor solchen Angriffen zu schützen. Es habe nämlich keiner etwas zu diesem Vorfall gesagt.
Sichtbare Ablehnung (mimisch) der Richterin und des B.
R: Die Richterin entgegnet, dass man in den Vergleich keine Verpflichtung für Herrn Müller aufnehmen könne. Sie fragt K, was er konkret zu dieser Frage in den Vergleich reinschreiben möchte.
K: Eine Pflicht zum Schutz vor Beleidigungen sollte in den Vergleich aufgenommen werden. Die Beklagte muss beide Seiten anhören und Beweise vorlegen.
B: Lehnt dies ab mit dem Hinweis, dass das im Vergleich niedergelegte ja auch vollstreckbar sein müsse.
K: Will die Pflicht zum Schutz als Absichtserklärung aufnehmen.
B: Sagt, er könne die Problematik seiner Mandantin gesondert mitteilen. Eine rechtliche Pflicht sei aber schwierig, da die beteiligten Personen keine Juristen seien, daher sei etwa eine Beweisaufnahme zu viel verlangt.
K: Bemerkt, dass die Beklagte zumindest beide Seiten anhören müsse.
R: (zu B) „Machen Sie das so, dass Sie das Ihrer Mandantin mitteilen.“
B: Stimmt zu, verweist aber darauf, dass dies im Vergleich nicht möglich sei, da auf keinen Fall Präjudiz für künftige Vorfälle geschaffen werden dürfe.
R: (darauf eingehend) „Also ein Verfahren“
B: Verweist darauf, dass Konflikte in den Studios der Beklagten tagtäglichen vorkämen.
K: Nachfrage, ob es auch täglich Kündigungen gebe.
B: Bejaht dies.
R: Verweist darauf, dass man dies auch machen könne, ohne neue Vertragspflichten zu schaffen. Empfiehlt dem Kläger, bei künftigen Vorfällen aktiv, aber „natürlich vorsichtig“ auf die Studiomanager zuzugehen, „wie man das halt, wenn es gut läuft, macht.“
Der Kläger sagt, er habe keine Möglichkeit gehabt, seine Sicht der Dinge zu erklären. Er habe einfach ein Schreiben erhalten.
K: Sagt, dass aus ihrer Sicht kein faires Verfahren vonseiten der Beklagten bereit gestanden habe.
B: Sagt, dass er dies ungern in den Vergleich aufnehmen würde, aus Angst, es nicht „durchzukriegen“
Der Kläger erklärt, es sei ihm schwer vorstellbar, dass Herr Müller rausgeworfen worden wäre, wenn er, der Kläger, sich beschwert hätte, dass Herr Müller ihn rassistisch beleidigt habe.
R: „Das verstehe ich, aber das geht in den Vergleich nicht rein. Sie sind ja im Studio, gehen Sie bei einem Vorfall sofort hin und schildern Sie Ihre Sicht der Dinge.“
K: Merkt an, dass Kläger außerdem keinen Mitgliedsbeitrag zahlen will für die Zeit, in der die Karte gesperrt war.
B: Antwortet, dies sei kein Problem.
R: Stellt fest, dass B auf die Mitgliedsbeiträge verzichtet (diktiert dies noch einmal fürs Protokoll).
Der Kläger fragt, was er tun solle, wenn er Herrn Müller erneut begegnet.
R: „Gehen Sie dem einfach aus dem Weg, wie das manchmal im Leben so ist.“
Die Richterin stellt abschließend fest, dass die Kosten gegeneinander aufgehoben werden [das bedeutet, dass jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst und die Gerichtskosten je zur Hälfte trägt] und nimmt auf, dass innerhalb von zwei Wochen ein Widerruf der Beklagten möglich ist.
Die Protokollantin liest den Inhalt des Vergleichs zur Kontrolle noch einmal vor. Es gibt keine Einwände. Die Sitzung endet um 11:30 Uhr.
Epilog
Am 31. Oktober, nachdem die Widerrufsfrist für die Beklagte angelaufen ist und das Urteil rechtswirksam wird, besucht J das Fitnessstudio. Er wird jedoch nicht hineingelassen, weil im Computer weiterhin Hausverbot vermerkt ist. Auch das gerichtliche Urteil verhilft nicht dazu, den Mitarbeiter zu überzeugen, dass das Hausverbot aufgehoben ist. J warnt, die Polizei zu rufen. Die dann vom Studio-Mitarbeiter herbeigerufenen Polizeibeamt*innen fordern J auf, zu gehen, da sie nicht wüssten, wie ein gerichtliches Dokument aussehe.
J erhält Zugang zum Fitnesscenter, nachdem sein Anwalt, den er mittlerweile eingeschaltet hat, mit einer Vollstreckung droht.