Amtsgericht Tiergarten 11.12.2017 13:55 Uhr
Anwesende:
- Richter (weiß)
- Staatsanwältin (weiß)
- Angeklagte „Donna M.“(PoC)
- Verteidigerin (weiß)
- Protokollantin (weiß)
- Zeuge „Polizist“ (weiß)
- Zeugin K. (weiß)
- mehrere solidarische Prozessbeobachter*innen (mehrheitlich weiß)
Prozessverlauf:
Zu Beginn schauen sich Richter, Staatsanwältin, die Angeklagte und ihre Verteidigerin die Videoaufnahmen aus dem BVG-Bus auf dem Laptop an. Vom Bereich der Zuschauer*innen ist nichts zu erkennen. Es gibt keine zusammenfassende Beschreibung durch die Akteure des Gerichts. Die Verteidigerin sagt nach wenigen Minuten, dass es ihr genügt und sie glaubt, dass das Wesentliche gesehen wurde. Die Angeklagte sei zügig eingestiegen und an der Busfahrerin vorbei gelaufen. Sie sei nach vorne gewunken worden, habe kurz darauf einen Geldschein hervorgeholt. Der Richter sagt, ihm sei die zeitliche Abfolge sehr wichtig.
Die Zeugin K. wird aufgerufen. Der Richter fragt, warum sie zum letzten Verhandlungstag nicht erschienen sei. Sie antwortet, dass es in ihrer Familie einen Notfall gegeben habe und sie darum nicht habe kommen können. Der Richter überlegt, den Bußgeldbescheid einzustellen. Die Staatsanwältin sagt, man könne diesen auch verringern.
Daraufhin erfolgt die Personalienabfrage der Zeugin K.
Befragung der Zeugin K. durch den Richter
Der Richter fordert K. auf, ihre Version der Ereignisse darzustellen. Die Zeugin sagt, sie habe im Bus gesessen. Die Weiterfahrt habe sich verzögert und sie habe Stimmengewirr gehört. Sie habe nicht alles verstanden, aber dass es um einen abgelaufenen Fahrschein ging. Sie habe gedacht, die Person habe kein Geld, um einen neuen zu kaufen. Daraufhin sei sie nach unten gegangen. Dort habe sich jedoch die Busfahrerin geweigert einen neuen Fahrschein zu verkaufen bzw. weiterzufahren. Es habe einen Wortwechsel gegeben zwischen der Busfahrerin und der Angeklagten [und möglicherweise weiteren Fahrgästen, ungenau notiert]. Es sei um ein Ticket gegangen.
Der Richter fragt, ob laut rumgeschrien wurde. K. antwortet, dass es eine erregte Diskussion gewesen sei, aber nicht rumgeschrien wurde. Der Richter möchte wissen, ob K. Beleidigungen gehört habe. K. sagt, sie habe das Verhalten der Busfahrerin als beleidigend empfunden. Der Richter fragt, ob sie ein konkretes Wort verstanden habe. K. sagt, sie könne sich nicht erinnern, es sei mehr die Gesamtsituation gewesen. Der Richter fragt, ob die Angeklagte ihrem Unmut Luft gemacht habe. K. erwidert, sie sei vielmehr beeindruckt gewesen, wie sachlich die Angeklagte geblieben sei. Sie persönlich habe sich von außen schon sehr aufgeregt. Der Richter möchte wissen, wie es zur Eskalation kam und wer die Polizei gerufen habe. K. sagt, sie habe nicht verstanden, warum die Busfahrerin die Polizei gerufen habe. […]
Der Richter fragt K., ob sie bei der Angeklagten geblieben sei, als die anderen Fahrgäste gegangen waren. K. bejaht. Sie habe keine Aussage für die Polizei abgegeben. Sie wisse auch nicht, ob die Polizei ihre Daten aufgenommen habe. Der Richter möchte noch wissen, wo K. im Bus gesessen habe. K. sagt, sie habe vorne oben links gesessen. Der Richter fragt noch einmal nach, ob K. dann „als es los ging“ [es handelt sich um eine Formulierung der Busfahrerin, die der Richter übernimmt] einzelne Wortfetzen gehört habe. K. bejaht, sie habe nur grobe Wortfetzen gehört und sich dann den Rest zusammengereimt. […]
Das Fragerecht geht an die Staatsanwältin
Die Staatsanwältin möchte wissen, wie viel Zeit vergangen sei, seit das Stimmengewirr losgegangen war, bis die Zeugin K. runter ging. K. sagt, sie könne das schlecht einschätzen. Vielleicht seien es fünf Minuten gewesen. Die Staatsanwältin möchte wissen, was die Angeklagte gerade getan habe, als K. runter gegangen sei. K. sagt, die Angeklagte habe einen Fahrschein bezahlen wollen. Die Staatsanwältin fragt, ob die Angeklagte mit einem Schein gewunken habe. K. hat daran keine Erinnerung. Die Staatsanwältin fragt, ob auch andere Personen involviert gewesen seien. K. antwortet, dass alle Fahrgäste aufgebracht gewesen seien, weil es nicht weiterging. Die Staatsanwältin bittet K. das Verhalten der Busfahrerin zu beschreiben. K. sagt, diese sei aggressiv gewesen, besonders in der Art sich auszudrücken. Die Staatsanwältin fragt, ob K. den Eindruck gehabt habe, dass die Angeklagte die Konfrontation gesucht habe. K. erwidert, die Angeklagte habe mit dem Bus befördert werden wollen. Die Staatsanwältin fragt, ob K. sich an Gesten erinnere. K. sagt, die Busfahrerin habe die Angeklagte und möglicherweise auch andere Fahrgäste [ungenau notiert] aufgefordert rauszugehen. Die Staatsanwältin fragt, wie es dann weitergegangen sei. K. antwortet, dass draußen dann nichts mehr passiert sei. Die anderen Leute seien weggegangen und bald sei die Polizei gekommen. Die Staatsanwältin möchte wissen, was die Busfahrerin in der Zeit gemacht habe. K. erwidert, diese habe zum größten Teil in ihrem ‚Häuschen‘ gesessen.
Das Fragerecht geht an die Verteidigerin
Die Verteidigerin erklärt, dass die Busfahrerin ausgesagt habe, dass sie beleidigt worden sei. Sie fragt, ob K. dazu etwas zu sagen habe. K. antwortet, dass die Busfahrerin gesagt habe, dass sie sich von der Angeklagten nicht als Rassistin beschimpfen lasse. Die Verteidigerin fragt, ob weitere Personen die Busfahrerin als Rassistin beschimpft hätten. K. sagt, die weiteren Personen seien gespalten gewesen. […] Sie habe nicht gehört, dass die Angeklagte die Busfahrerin als Rassistin beschimpft habe. Die Busfahrerin sei laut geworden, dass sie sich nicht als Rassistin bezeichnen lasse. Die Verteidigerin sagt, dass die Busfahrerin das Wort „Nazi“ in den Raum gestellt habe. Ob K. dazu etwas sagen könne. K. erwidert, sie wisse nicht mehr genau, ob es „Nazi“ oder „Rassistin“ geheißen habe. Die Verteidigerin fragt, ob die Busfahrerin den Bus verlassen habe. K. sagt, dass alle auf die Polizei gewartet hätten. Die Verteidigerin sagt, dass die Busfahrerin mehrmals gesagt habe, dass sie die Angeklagte nicht befördern würde, sie dies aber nicht begründet habe. K. sagt, das sei richtig, zuerst sei es angeblich um das Ticket gegangen, dann sei die Fahrerin nur noch empört gewesen, dass sie aus dem Bus heraus als Rassistin bezeichnet worden war.
Der Richter hat noch Nachfragen. Er möchte wissen, ob neben der Worten „Nazi“ oder „Rassistin“ auch das Wort „KZ“ oder so etwas gefallen sei. K. hat daran keine Erinnerung. Der Richter sagt, er werde den Ordnungsgeldbeschluss aufheben. Er belehrt die Zeugin über ihre Pflicht, im Gericht als Zeugin aufzutreten.
Der nächste Zeuge wird aufgerufen. Es ist der Polizeibeamte, der auch am Tatort erschienen ist. Er wird aufgefordert, seine Version der Ereignisse zu schildern. […] Er berichtet unter anderem, die Angeklagte sei sehr aufgebracht gewesen, sie habe sich ungerecht behandelt gefühlt. Seine Kollegin und er hätten die Personen befragt und die Aussagen aufgenommen. Der Fahrschein der Angeklagten sei abgelaufen gewesen. Daraufhin habe diese einen neuen kaufen wollen, was ihr die Busfahrerin nicht erlaubt habe. Die Busfahrerin habe die Angeklagte aus dem Bus verwiesen, als sie als Nazi beleidigt worden sei. Die Angeklagte habe ihm jedoch gesagt, dass sie so eine Äußerung nicht getroffen habe. Es seien noch ein paar Leute vor Ort gewesen, allerdings konnten sie nicht den genauen Wortlaut wiedergeben, was gesagt worden war. Es sei relativ ruhig gewesen und insgesamt seien noch ca. fünf Personen anwesend gewesen. Die Stimmung sei eher auf Seiten der Angeklagten gewesen, die sich aufgrund ihrer Hautfarbe ungerecht behandelt gefühlt habe. Die Leute hätten sich „auf ihre Seit geschlagen“.
Es gibt keine weiteren Fragen an den Zeugen.
Der Richter sagt, es hätte ihn interessiert, wie viele Zeug*innen sich in die Diskussion eingemischt haben. Die Verteidigerin sagt, sie interessiere ganz besonders der Wortlaut der Diskussion. Da es keine Möglichkeit gibt weitere Zeug*innen zu laden, da keine Daten in den Polizeibericht aufgenommen wurden, schlägt der Richter vor die Beweisaufnahme zu schließen.
Der Richter verliest nun den Auszug aus dem Bundeszentralregister der Angeklagten. Hier werden Fälle von Betrug, Urkundenfälschung und Beleidigung genannt. [1]
Plädoyer der Staatsanwältin
Eingangs beschriebt die Staatsanwältin noch einmal die vorgeworfenen Taten (versuchter Betrug, Beleidigung und Hausfriedensbruch) und stellt fest, dass die Vorwürfe sich in der Hauptverhandlung nicht bestätigt hätten. Die Angeklagte habe das Geschehen wie folgt beschrieben: Sie sei in den Bus eingestiegen und habe einen Fahrschein vorgezeigt. Die Busfahrerin habe sie angesprochen und gesagt, der Fahrschein sei abgelaufen. Die Angeklagte sei schockiert gewesen über das Verhalten der Busfahrerin und habe dann einen neuen Fahrschein kaufen wollen, was die Busfahrerin allerdings verweigert habe. Sie habe sich daraufhin ungerecht behandelt gefühlt. Weitere Fahrgäste hätten die Angeklagte unterstützt, die Busfahrerin habe sie allerdings des Busses verwiesen.
Die Busfahrerin habe eine andere Version des Vorfalls geschildert: Sie überprüfe jeden Fahrschein genau. Als die Angeklagte einen abgelaufenen Fahrschein vorgezeigt habe, habe sie scherzhaft gesagt, es gebe zwei Optionen. Die Angeklagte könne einen neuen Fahrschein kaufen oder müsse wieder aussteigen. Sie sei dann von der Angeklagten beleidigt worden (sie solle zurück ins KZ gehen, sie sei eine Rassistin). Daraufhin habe die Busfahrerin die Angeklagte des Busses verwiesen.
Die Staatsanwältin stellt fest, dass die beiden Aussagen gegeneinander stünden und es für den Vorfall keine Zeugen gebe. Jedoch sei am heutigen Verhandlungstag ein Video der BVG vorgeführt worden, auf dem die Situation klar zu sehen sei. Auf dem Video sei zu erkennen, wie die Angeklagte als 2. Fahrgast den Bus betrete und eine Fahrkarte hochhalte. Dann winke die Busfahrerin nur die Angeklagte nochmal heran. Auf dem Video sei zu sehen, dass die Angeklagte „bewusst rausgepickt“ wurde, was die Busfahrerin allerdings bestritten habe. Die Angeklagte habe sehr schnell einen Schein in der Hand gehalten. Die hitzige Diskussion, von der die Busfahrerin gesprochen habe, sei auf dem Video ebenfalls nicht zu sehen. Das Video vermittele den Eindruck, dass die Busfahrerin die Angeklagte „einfach nicht im Bus haben wollte“.
Da der mutmaßlich abgelaufene Fahrschein nicht auffindbar sei, sei der Angeklagten kein versuchter Betrug nachzuweisen. Auch die Beleidigung und der Hausfriedensbruch seien nicht nachweisbar. Daher gelte der Grundsatz in dubio pro reo [Im Zweifel für den*die Angeklagte*n]. Es sei das gute Recht von Donna M. gewesen, darauf zu bestehen einen Fahrschein zu erwerben und befördert zu werden. Die Staatsanwältin beantragt daher einen Freispruch aus tatsächlichen Gründen. Die Landeskasse solle die Kosten des Verfahrens tragen.
Plädoyer der Verteidigerin
Die Verteidigerin sagt eingangs, die Staatsanwältin habe die wesentlichen Punkte bereits genannt. Sie schließe sich an und wolle nur ein paar Punkte aus ihrer Sicht ergänzen. Die Busfahrerin hätte den (mutmaßlich abgelaufenen) Fahrschein einziehen müssen, habe das aber nicht getan. Daher sei der Angeklagten kein versuchter Betrug nachzuweisen. Einen Betrugsvorsatz habe es aber ohnehin nicht gegeben: Die Angeklagte habe sich auf einer beruflichen Fahrt befunden und könne die Fahrkarten von der Steuer absetzen, sie sei auch nicht durch die hintere Tür sondern vorne eingestiegen. Außerdem gehe sie grundsätzlich davon aus, kontrolliert zu werden, weil es ihr öfter passiere, dass sie „rausgepickt“ werde. Es habe aus ihrer Sicht also keinen Grund gegeben, einen ungültigen Fahrschein vorzuzeigen. Vielleicht habe sie versehentlich den falschen Fahrschein vorgezeigt.
Zur Beleidigung: Da die Aussage der Busfahrerin die einzige bezüglich der Beleidigung sei, sei diese besonders zu prüfen. Sowohl das Video als auch die Aussage der Zeugin K. würden der Version der Busfahrerin widersprechen. Besonders die Eingangssituation sei relevant. Auch wenn es nicht die Absicht der Busfahrerin sei, zeige das Video deutlich, dass die Busfahrerin eine Auswahl treffe, da sie nicht alle kontrolliere. Für eine solche Auswahl müssten nachvollziehbare Kriterien gewählt werden (jede_r wird kontrolliert, jede_r Dritte usw.), das sei hier aber nicht der Fall. Auch die angebliche Aggressivität der Angeklagten, von der die Busfahrerin gesprochen habe, sei auf dem Video nicht zu erkennen. Die Zeugin K. habe die Angeklagte als äußerst sachlich beschrieben, sie habe keine Beleidigungen seitens der Angeklagten gehört.
Zum Hausfriedensbruch: Auch dieser sei nicht nachweisbar. Die BVG müsse Fahrgäste befördern, wenn kein sachlicher Grund dagegen spreche, und einen solchen habe es nicht gegeben. Die Busfahrerin habe von Anfang an gesagt, dass sie die Angeklagte nicht befördern wolle.
Die Verteidigerin beantragt ebenfalls Freispruch. Die Angeklagte sagt, sie schließe sich der Verteidigerin an.
Urteil
Die Angeklagte werde freigesprochen, die Landeskasse trage die Ausgaben. Der Richter stellt fest, es sei schon alles gesagt worden, er wolle die Geschehnisse aber nochmal aus seiner Sicht zusammenfassen. Ursprünglich habe er die Aussage der Busfahrerin für sehr glaubhaft gehalten, das Video habe aber erhebliche Zweifel daran hervorgerufen. Selbst ohne Ton sei auf dem Video deutlich zu erkennen, dass die Einstiegssituation anders gewesen sei als in der Darstellung der Busfahrerin. Der Richter sagt, er würde nicht so weit gehen, dass eine rassistische Motivation ausschlaggebend war. Aber man sehe, dass die Angeklagte rausgepickt wurde. Es werde auch schnell klar, dass die Angeklagte bezahlen wollte, das hätte die Busfahrerin ihr gewähren müssen. Einen falschen Fahrschein zu zeigen, das könne jedem mal passieren. Hier werde es auffällig, wenn die Busfahrerin sich weigere, einen Fahrschein zu verkaufen. Das Verhalten der Busfahrerin sei nicht nachvollziehbar, es könne eventuell rassistisch gewesen sein (das sei jedoch nicht erweisen). Es bestünden Zweifel an Beleidigungen seitens der Angeklagten gegenüber der Busfahrerin. Die Busfahrerin habe kein Recht gehabt, der Angeklagten den Zutritt zu verwehren. Sie hätte der Angeklagten ein Ticket verkaufen müssen.
Ende der Verhandlung um 14:45
[1] Wir haben darüber diskutiert, ob wir diesen Teil des Prozesses zu Anonymisierungszwecken aus dem Protokoll kürzen sollen. Wir haben uns letzten Endes dagegen entschieden, da der BZR-Auszug unseres Erachtens eine Geschichte der rassistischen Kriminalisierung sichtbar macht, von der Donna M. betroffen ist und zudem möglicherweise die Anklage und den Verlauf des Prozesses beeinflusst hat.