Rassistischer Vorfall in der BVG – 1. Verhandlungstag

Amtsgericht Tiergarten 22.11.2017 11:00 Uhr

Anwesende:

  • Richter (weiß)
  • Staatsanwältin (weiß)
  • Angeklagte „Donna M.“(PoC)
  • Verteidigerin (weiß)
  • Protokollantin (weiß)
  • Zeugin „Busfahrerin“ (weiß)
  • Zeugin „Polizistin“ (weiß)
  • Person von der Presse (weiß)
  • 7-10 solidarische Prozessbeobachter*innen (mehrheitlich weiß)

Prozessverlauf:

Der Richter beginnt mit der Vernehmung der Angeklagten zu ihrer Person und fragt danach das Publikum, ob jemand darunter ist, der*die als Zeug*in in Betracht kommt.

Es folgt die Verlesung der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft:

Donna M. wird versuchte Beschaffung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils, durch Vorspieglung falscher Tatsachen (versuchter Betrug), Hausfriedensbruch und Beleidigung vorgeworfen. Donna M. soll am 4.4.2016 beim Einsteigen in einen Bus der BVG einen ungültigen Fahrschein (aus dem Jahr 2015) vorgelegt haben. Nachdem die Busfahrerin ihr gesagt habe, sie könne einen neuen Fahrschein erwerben, sie dies nicht getan habe und sie von der Busfahrerin aufgefordert worden war, den Bus zu verlassen soll sie diese mit Äußerungen wie „Rassistin“ und „Sie sind ja wie Adolf Hitler. Sie passen gut in ein KZ“ beleidigt haben. Donna M. habe sich außerdem geweigert, den Bus zu verlassen. Gegen Donna M. wurde Strafbefehl erlassen, gegen den sie Einspruch einlegte.

Der Richter belehrt die Angeklagte über ihre Rechte.

Es kommt eine Person herein. Auf Nachfrage des Richters gibt sie an von der Presse zu sein, sie bleibt jedoch nur für einen sehr kurzen Teil der Verhandlung.

Einlassung der Angeklagten:

Donna M. gibt an am fraglichen Tag einen Termin bei der Führerscheinstelle gehabt zu haben. Sie habe sich auf dem Hinweg am U-Bahnhof Kleistpark ein Ticket gekauft. Der Fahrschein habe 2,70 € gekostet [Anmerkung: Dies war zu dem Zeitpunkt der Preis für ein zwei Stunden lang gültiges Ticket.] Sie musste an dem Tag nur sehr kurz etwas erledigen. Ihrer Meinung nach habe der ganze Vorgang weniger als zwei Stunden gedauert. Sie sei danach zur fraglichen Bushaltestelle zu Fuß gelaufen. Sie sei vorne eingestiegen und habe den Fahrschein vorgezeigt, der ihrer Ansicht nach noch gültig war. Die Busfahrerin habe den Fahrschein ganz genau angeschaut und behauptet, der Fahrschein sei ungültig. Donna M. habe zwar entgegnet, dass der Fahrschein ihrer Meinung nach noch gültig sei, habe dann jedoch Geld hervorgeholt um einen neuen Fahrschein zu kaufen. Daraufhin habe die Busfahrerin entgegnet, sie solle mit ihrem Geld dort hingehen, wo sie herkomme und den Bus verlassen. Donna M. habe sich beschwert, dass von allen einsteigenden Fahrgästen nur ihr Fahrschein kontrolliert wurde und sich geweigert den Bus zu verlassen. Die Busfahrerin habe wiederholt, dass Donna M. „ihren“ Bus verlassen solle. Daraufhin habe die Busfahrerin gedroht die Polizei zu rufen. Donna M. sei damit einverstanden gewesen, weil sie sich falsch behandelt fühlte und den Vorfall der Polizei schildern wollte.

Die Diskussion sei eine Weile hin und her gegangen. Die Busfahrerin habe darauf bestanden, dass Donna M. aussteigen solle, Donna M. habe sich geweigert, weil sie ja bereit war für ein neues Ticket zu bezahlen. Es sei immer lauter geworden, andere Fahrgäste hätten angefangen sich zu beschweren. Die Busfahrerin habe durch ihren Lautsprecher durchgesagt, dass sie nicht fahren werde, bis sie, Donna M., aussteige. Ein anderer schwarzer Mann habe sich eingemischt und die Busfahrerin aufgefordert, Donna M. ein Ticket zu verkaufen, notfalls würde er dafür auch bezahlen. Donna M. habe ihm erläutert, dass sie sehr wohl Geld habe, die Busfahrerin sich aber weigere, ihr ein Ticket zu verkaufen. Dann sei noch eine weitere Person dazugekommen und habe angeboten, für sie zu bezahlen. Donna M. habe zu den Fahrgästen gesprochen und sie um Hilfe gebeten. Viele hätten ihre Unterstützung angeboten, manche wollten sich als Zeug*innen zur Verfügung stellen, andere fingen an, sich mit der Busfahrerin zu streiten. In diesen Auseinandersetzungen seien von allen Seiten Beschimpfungen gefallen. Da der Bus nicht weiter fuhr, seien viele Fahrgäste ausgestiegen. Zunächst seien 10-12 Fahrgäste bei Donna M. geblieben, um als Zeug*innen bei der Polizei auszusagen. Die Polizei sei aber sehr lange Zeit nicht gekommen und so seien die potentiellen Zeug*innen nach und nach gegangen, bis am Schluss nur noch zwei anwesend waren. Donna M. schließt ihren Bericht mit der Feststellung: Sie habe nicht aussteigen, sondern auf die Polizei warten wollen, damit diese den Fall aufnehme.

Der Richter fragt, wann der Termin bei der Führerschein-Stelle gewesen sei. Donna M. sagt, sie wisse es nicht genau, wohl gegen 13 Uhr, sie habe aber eine Quittung von dem Termin. Der Richter fragt nach der genauen Position der fraglichen Bushaltestelle, Donna M. beschreibt sie ihm. Der Richter weist darauf hin, dass Donna M. ja vorgeworfen werde, einen Fahrschein von 2015 [Anm.: also einen Fahrschein, der ein knappes halbes Jahr abgelaufen war] vorgelegt zu haben. Die Angeklagte entgegnet, das sei nicht möglich: Sie gebe jeden Monat ihre Fahrkarten beim Steuerberater ab.

Der Richter fragt, wie lange die ganze Situation bis zum Eintreffen der Polizei gedauert habe. Die Angeklagte gibt an, dass es mindestens eine Stunde gedauert habe. Der Richter fragt, ob Donna M. Im Bus gewartete habe. Sie antwortet, dass sie zuerst den Bus nicht habe verlassen wollen. Die Türen seien offen gewesen und andere Fahrgäste hätten draußen gewartet. Diese hätten sich von dort aus mit der Busfahrerin gestritten.

Sie habe mit einer kürzeren Wartezeit gerechnet, weil die Polizeistation ja ganz in der Nähe liege, aber die Polizei sei einfach sehr lange Zeit nicht gekommen. Die Angeklagte gibt an, in der Situation emotional überlastet gewesen zu sein. Andere Fahrgäste hätten sie aber unterstützt, sie heraus gebeten und ihr Wasser zu trinken gegeben. Der Richter fragt, ob das Streitgespräch die ganze Zeit angedauert habe, Donna M. erwidert, dass sie selbst kaum mit der Busfahrerin gesprochen habe, das seien eher die anderen Fahrgäste gewesen.

Der Richter fragt Donna M., ob sie die Busfahrerin beleidigt habe. Donna M. gibt an, sie habe gesagt, dass die Handlung der Busfahrerin rassistisch sei. Denn die anderen Fahrgäste seien nicht kontrolliert worden. Ihr gegenüber hätten mehrere Fahrgäste zugegebenen, dass sie mit ungültigen Fahrscheinen zugestiegen seien, ohne dass die Busfahrerin irgendetwas gesagt habe. Die Busfahrerin habe behauptet, dass es ihr Bus sei und sie allein entscheide, wer mitfahren dürfe.

Der Richter fragt, in welche Richtung der Bus gefahren sei. Donna M. sagt, sie habe Richtung Platz der Luftbrücke fahren wollen, dort habe sie einen Termin gehabt. Die Entfernung sei nicht groß, sie laufe die Strecke oft. Hätte sie also keinen Fahrschein gehabt, hätte sie aus dem Bus aussteigen und zu Fuß zu ihrem Termin gehen können. Nach der Äußerung der Busfahrerin – sie solle mit ihrem Geld dahin gehen wo sie herkomme – habe sie aber nicht aussteigen wollen. Ohne Erklärung seien Anschuldigungen gegen sie erhoben worden. Das habe sie nicht auf sich sitzen lassen wollen. Die Busfahrerin habe behauptet, sie könne in ihrem Bus machen, was sie wolle. Da es ihr Bus sei, könne sie Hausverbote erteilen.

Das Fragerecht geht an die Staatsanwaltschaft:

Die Staatsanwältin fragt, ob Donna M. der Busfahrerin zuvor schon begegnet sei. Donna M. verneint. Die Staatsanwältin fragt nach der genauen Gemütslage von Donna M. in der Situation, sie habe ja soeben in ihrer Aussage gesagt, dass sie emotional überlastet gewesen sei. Donna M. sagt, sie habe unter Schock gestanden. Sie erlebe zwar täglich Rassismus, aber in dieser Form und so öffentlich – das sei nicht alltäglich für sie. Die Staatsanwältin hakt nach: ob Donna M. auch aufgebracht gewesen sei? Donna M. sagt, sie sei eher schockiert gewesen, ihr würden zwar täglich unangenehme Dinge passieren, aber dieser Vorfall sei schlimmer gewesen.

Die Staatsanwältin hakt erneut nach: Ob der Schock bei Donna M. bewirkt habe, dass sie ruhig geworden sei oder ob sie sich zu Beleidigungen habe verleiten lassen? Die Verteidigung interveniert: Diese Frage sei schon beantwortet worden. Die Angeklagte habe das Verhalten der Busfahrerin als rassistisch bezeichnet. Die Staatsanwältin fragt nach: Ob die Angeklagte die Handlungsweise als rassistisch bezeichnet habe oder die Busfahrerin als Rassistin? Die Verteidigerin bittet Donna M. ihre Aussage noch einmal zu wiederholen. Donna M. wiederholt, dass sie definitiv die Handlungsweise kritisiert habe.

Die Staatsanwältin fragt, warum die Angeklagte im Bus geblieben sei. Ob sie die Situation mit der Busfahrerin habe klären wollen. Die Verteidigerin interveniert erneut. Donna M. sagt, sie sei im Bus geblieben, weil sich das Verhalten der Busfahrerin nicht gehört habe und weil es rassistisch gewesen sei.

[…]

Die Staatsanwältin fragt daraufhin, ob Donna M. zuvor schon einmal rassistische Äußerungen im Bus erlebt habe. Donna M. bejaht das. Beispielsweise komme es vor, dass sie sich hinsetzen wolle, eine Person aber schnell eine Tasche auf den Sitz lege, sodass kein Platz für sie sei. Eine weitere klassische Situation sei z.B. in der U-Bahn, wenn da Kontrolleure kämen, würden diese immer gleich auf sie [Anm.: als einzig schwarze Person] zu laufen. Die Staatsanwältin kommentiert: das klinge ja so als werde die Angeklagte auf Grund ihrer Hautfarbe häufig für Kontrollen „herausgepickt“. Sie fragt, ob das auch in der fraglichen Situation so gewesen sei. Donna M.: das sei definitiv so gewesen. Andere seien zusammen mit ihr eingestiegen und hätten einen ungültigen Fahrschein gehabt, die seien aber nicht aufgehalten worden.

Das Fragerecht geht an die Verteidigung:

Die Verteidigung fragt, ob in der Situation alle Bustüren geöffnet worden seien, ob hinten auch Leute eingestiegen seien und ob Donna M. theoretisch auch hinten hätte einsteigen können. Donna M. bejaht alles.

Die Verteidigerin fragt, ob es sich um eine berufliche Fahrt gehandelt habe. Donna M. bejaht. Die Fahrt sei wie andere Fahrten steuerlich abrechenbar gewesen. Auf Nachfrage der Verteidigerin gibt Donna M. an, der Bus sei sehr voll gewesen. Mit ihr hätten ca. 7 andere Personen eine Weile gewartet, weil der Bus zu spät gewesen sei.

Die Verteidigung fragt, ob aus der Entfernung, aus der die Busfahrerin auf ihr Ticket geschaut habe, erkennbar gewesen sein könne, was auf dem Ticket gestempelt war. Donna M. antwortet, dass sie das bezweifele. Die Busfahrerin habe sie mit den Worten „Nee, Moment, ihren Fahrschein bitte!“ aufgehalten und erst dann ihren Fahrschein genau geprüft.

Die Verteidigung fragt, wo der Fahrschein jetzt sei. Donna M. sagt, sie gehe davon aus, dass er bei der Polizei sei, schließlich handele es sich um ein Beweismittel. Hier hakt die Verteidigerin mehrfach nach. Donna M. gibt an sie sei sich sicher, dass die Busfahrerin ihr den Fahrschein nicht zurück gegeben habe und dass sie davon ausgehe, diese habe ihn der Polizei übergeben. In dem Gespräch mit der Polizei sei es aber dann gar nicht mehr um den Fahrschein gegangen. Die Polizei habe gesagt, die Busfahrerin habe jederzeit das Recht, Fahrgäste des Busses zu verweisen. Die Verteidigerin fragt, wer die Polizei gerufen habe. Donna M. sagt sie habe die meiste Zeit neben dem Bus gestanden und in der Zeit sogar mehrmals die Polizei gerufen.

Die Verteidigerin fragt, ob Donna M. die Situation jederzeit hätte verlassen können, Donna M. bejaht. Die Verteidigung fragt nach Beschimpfungen durch andere Fahrgäste. Donna M. gibt an, die Fahrgäste und die Busfahrerin hätten sich gegenseitig beschimpft.

Der Richter hat noch eine Frage zur steuerlichen Berücksichtigung der Fahrscheine. Die Verteidigerin erläutert: Da es sich bei dem Termin bei der Führerscheinstelle um einen dienstlichen Termin gehandelt habe, habe es sich bei der fraglichen Busfahrt um eine Berufsfahrt gehandelt. Die Fahrtkosten wären der Angeklagten also ohnehin erstattet worden, wenn sie das Ticket an ihre Steuerberaterin abgegeben hätte. Der Richter fragt, ob Donna M. von ihrem damaligen Beruf gut habe leben können. Donna M. sagt, sie sei selbstständig in der Modebranche tätig gewesen, habe aber mit Leistungen vom Jobcenter aufstocken müssen.

Der Richter fragt, welche Beleidigungen genau zwischen Busfahrerin und den Fahrgästen gefallen seien. Donna M. kann sich nicht mehr genau erinnern. Die Busfahrerin sei wohl als Rassistin bezeichnet worden, ansonsten seien Pöbeleien von beiden Seiten gefallen. Der Richter fragt, was genau die Fahrerin gesagt habe. Donna M. sagt, sie selbst habe sich aber aus der Situation raus gezogen und zusammen mit den anderen Gästen draußen gewartet. Die eine Person, die letztlich als Zeugin geblieben sei, habe sie unterstützt, bis die Polizei gekommen sei.

Der Richter bohrt noch einmal nach, welche Worte konkret gefallen seien, aber Donna M. sagt, es seien viele Beleidigungen gewesen, sie könne sich aber an nichts Konkretes erinnern. Sie verweist auf das Überwachungsvideo der BVG. Das habe zwar keinen Ton, aber aus den Bildern müsse hervorgehen, dass sie sich komplett zurückgezogen habe.

Befragung der ersten Zeugin (Busfahrerin, 49 Jahre)

Die Zeugin kommt in Begleitung eines Mannes, der sich in den Zuschauer*innen-Raum setzt. Es herrscht kurz Verwirrung, ob die Zeugin, die als Fahrgast Donna M. Unterstützung angeboten hat, erschienen ist, deshalb werden alle Zeug*innen in den Saal gerufen. Nur die Busfahrerin und die Polizistin, die zum Tatort kam sind als Zeuginnen erschienen. Die Fahrgastzeugin ist unentschuldigt ferngeblieben, der Kollege der Polizistin hat Urlaub.

Der Richter belehrt die zwei anwesenden Zeuginnen. Zunächst wird die Polizeibeamtin wieder rausgeschickt dann fragt der Richter Personalien der Busfahrerin ab. Sie lebt in Berlin und arbeitet für die BVG. Der Richter fordert die Zeugin [im Folgenden: „Busfahrerin“] auf, die Situation aus ihrer Perspektive zu schildern.

Busfahrerin: Sie sei an die fragliche Haltestelle gefahren, es seien sehr viele Personen eingestiegen. Die Angeklagte sei die letzte oder vorletzte gewesen. Sie habe einen Fahrschein gezeigt und dabei länger hochgehalten als üblich. Die Busfahrerin habe auf dem Stempel gesehen, dass es sich um die 47. Kalenderwoche des Vorjahres gehandelt habe. Sie habe scherzhaft darauf hingewiesen, dass der Fahrschein ja schon etwas länger abgelaufen sei. Die Angeklagte habe erwidert, sie hätte mehrere Fahrscheine bei sich. Die Busfahrerin habe gesagt, sie könne schauen, ob sie noch einen anderen Fahrausweis habe. Dies sei nicht passiert. Sie, die Busfahrerin, habe daraufhin gesagt es gebe nun zwei Optionen: Entweder die heute Angeklagte kaufe einen Fahrschein oder sie gehe. Dann sei es „losgegangen“. Die Angeklagte sei sehr dominant, sehr präsent aufgetreten, sie sei sehr dicht an den Kassentresen getreten und habe gesagt, die Busfahrerin solle zurück in ihr KZ gehen und dass sie eine Rassistin sei. Sie habe daraufhin gefragt, ob die Angeklagte sie mit Hitler auf eine Stufe stelle und die Angeklagte habe das bejaht, da gehöre sie hin. . Die Angeklagte habe sich an die Fahrgäste gewendet und habe komischerweise mit einem Fünf- und später einem Zehn-Euro-Schein in der Hand „herumgefuchtelt“. Sie habe gerufen: „Die Busfahrerin möchte mir keinen Fahrschein verkaufen weil ich schwarz bin“. Die Busfahrerin sagt, sie habe sich bedroht gefühlt. Die Frau sei sehr „präsent“ gewesen, sie sei nahe an den Tresen gekommen, sodass sie, die Busfahrerin, Angst gehabt habe, von der Frau geschlagen zu werden. Vorne habe ein junger Mann mit einer Betreuerin gesessen. Dieser habe zu der Angeklagten gesagt, dass sie aussteigen solle, wo sie doch keinen Fahrschein habe. Die anderen Fahrgäste jedoch hätten sich beschwert und sich als Zeug*innen gemeldet. Sie hätten aber im Gegensatz zu dem jungen Mann von der Ausgangssituation gar nichts mitbekommen. [Die Busfahrerin sagt im Folgenden noch mehrfach, dass die Angeklagte „sehr präsent“ gewesen sei.] Die Polizei habe die Angeklagte zuerst vernommen, dann habe diese sie gefragt, was passiert sei.

[…]

Richter fragt genauer nach, woran die Busfahrerin gemerkt habe, dass der Fahrschein nicht mehr gültig sei. Die Busfahrerin sagt, sie habe das anhand des Stempels auf dem Einzelfahrausweis erkannt. Der Richter bemerkt, dass der Stempel ja nicht sehr groß sei, wie sie das habe erkennen können. Die Busfahrerin antwortet, sie würden dafür in der BVG-Ausbildung geschult.

Der Richter fragt, was mit dem Fahrschein passiert sei. Die Busfahrerin gibt an, dass sie sich nicht erinnern könne und dass sie diesen nicht eingesteckt habe.Der Richter geht darauf ein, dass der Bus ja sehr voll gewesen sei und fragt, wie die Busfahrerin die anderen Fahrgäste kontrolliert habe. Die Busfahrerin sagt, dies habe sie „ganz normal“ gemacht. Sie würde jeden Fahrgast gleich behandeln. Sie sagt wörtlich: „Ich fertige jeden Fahrgast gleich ab.“. Der Richter sagt, dass er es aus eigener Erfahrung so kenne, dass er ganz oft einfach nur „durchgewunken“ werde. Die Busfahrerin insistiert, sie winke niemanden durch, sie sei da ganz normal. Der Stempel auf dem Fahrschein der Angeklagten sei so eindeutig gewesen. Sie habe es ja nicht böse gemeint, als sie auf das abgelaufene Ticket hingewiesen habe.

Der Richter fragt, wann genau die Busfahrerin die Angeklagte gebeten habe auszusteigen. Die Busfahrerin antwortet, das sei nach der Äußerung mit dem KZ gewesen und nachdem sie als eine Rassistin bezeichnet worden sei. Sie habe dann nicht mehr für die Sicherheit der anderen Fahrgäste garantieren können. Der Richter fragt, ob die Busfahrerin die Polizei gerufen habe, was diese bejaht. Der Richter fragt, ob die anderen Fahrgäste sie auch beleidigt hätten. Busfahrerin: diese hätten sie nicht wirklich beleidigt, es sei eher die Art gewesen, wie diese mit ihr gesprochen hätten.

[…]

Der Richter fragt, wie die Busfahrerin reagiert habe, als die Situation „hitziger“ geworden sei. Busfahrerin: sie habe die Angeklagte „mit keiner Silbe beleidigt“. Der Vorfall sei das schlimmste gewesen, was ihr je passiert sei. Sie habe drei Wochen nicht arbeiten können. Zwei Wochen habe sie nur geweint, sie sei in Therapie gewesen und habe ein Anti-Aggressions-Training bekommen [Anm.: die Zeugin fängt an zu weinen].

Der Richter fragt, ob sie der Vorfall immer noch beschäftige. Die Zeugin erwidert, das Ganze sei anderthalb Jahre her, würde sie aber die ganze Zeit und auch heute noch beschäftigen. Auch ihre Zeugenaussage heute sei für sie „die reinste Hölle“. Der Rassismus sei ja allgegenwärtig, auf der ganzen Welt; es passiere ja ständig, wenn man eine andere Hautfarbe habe, dass man „in eine andere Schiene“ gesteckt werde. Aber sie als Busfahrerin werde ja auch „in eine bestimmte Schiene gepackt“. Das habe sie so fertig gemacht.

Sie habe das eigentlich nicht erzählen wollen, aber ihre Tochter sei auch schwarz. Sie habe den Rassismus deshalb selbst täglich mit erlebt und den ganzen „Schwarz-Weiß-Konflikt“. Die Vorwürfe der Angeklagten hätten sie deshalb innerlich aufgefressen. Auch ihre Tochter habe gesagt, man hätte in der Situation ruhig bleiben können. Und einen Fahrschein kaufen können

Das Fragerecht geht an die Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwältin fragt, ob die Busfahrerin die Angeklagte kenne. Diese verneint. Die Staatsanwaltschaft fragt daraufhin, wie weit der Fahrschein von ihr entfernt gewesen sei. Die Busfahrerin gibt die Entfernung mit 40 cm an. Auf Nachfrage des Richters zeigt sie die Entfernung mit Gesten an. Auf Nachfrage der Staatsanwältin bekräftigt sie, man könne auf diese Entfernung einen ungültigen Fahrschein sofort erkennen. Die Staatsanwältin fragt, ob sie die Fahrgäste davor genauso behandelt habe wie die Angeklagte. Die Busfahrerin bestätigt das.

Die Staatsanwältin fragt, ob die Busfahrerin der Angeklagten sofort gesagt habe, dass der Fahrschein ungültig gewesen sei oder sie erst zurückgerufen habe. Die Busfahrerin sagt, sie habe die Angeklagte sofort daraufhin gewiesen. Die Staatsanwältin geht auf den Satz ein, die Angeklagte habe mit Geldscheinen gewedelt. Sie will wissen, warum die Busfahrerin das Geld nicht genommen und der Angeklagten einen Fahrschein ausgestellt habe. Busfahrerin: Weil die Angeklagte sie vorher beleidigt habe. Sie habe dann nicht mehr mit ihr fahren wollen.

Die Staatsanwältin fragt, wie viel Zeit dazwischen vergangen sei, die Busfahrerin meint eine ganze Weile, kann sich aber nicht genau erinnern.

Fragerecht geht an die Verteidigung

Die Verteidigerin fragt, welche Türen offen standen. [Anm.: die Zeugin stottert hier, ist anscheinend etwas aus dem Konzept gebracht]: Die vordere Tür sei definitiv offen gewesen, daran, ob hinten eine Tür offen gewesen sei, könne sie sich nicht mehr erinnern. Die Verteidigerin fragt, wie es denn normalerweise sei. Die Busfahrerin meint, dass sie normalerweise nur vorne aufmache, aber bei größeren Knotenpunkten seien alle Türen geöffnet. Sie wisse nicht, ob an der entsprechenden Station jemand hinten eingestiegen sei.

Die Verteidigung fragt, ob – wenn Leute hinten einstiegen – sie diese nach vorne rufen würde. Die Busfahrerin verneint, dafür sei keine Zeit. Die Verteidigung konfrontiert die Busfahrerin mit der Aussage, dass auch andere Fahrgäste ungültige Fahrscheine gehabt hätten, diese jedoch einfach durch gewunken worden seien.

Die Busfahrerin antwortet, sie „winke niemanden durch“. Die Verteidigerin hakt nach: Die Busfahrerin habe also alle kontrolliert? Die Busfahrerin gibt an, sie habe die anderen Fahrscheine so kontrolliert, wie sie es habe sehen können. Bei der Angeklagten habe sie es eben gesehen. Sie wolle aber niemanden anprangern. Die Verteidigerin hakt erneut nach. Die Busfahrerin gibt daraufhin zu, sie gehe mal davon aus, dass sie nicht jeden Tag, jeden ungültigen Fahrschein erkennen könne.

Die Verteidigerin fragt, ob sie der Angeklagten den Fahrschein aus der Hand genommen habe. Die Busfahrerin antwortet, dass könne sein. Sie wisse es nicht mehr. Die Verteidigerin fragt, ob es sein könne, dass sie den Fahrschein nur ganz kurz gesehen habe. Die Busfahrerin antwortet, sie habe den Schein auf jeden Fall gesehen, sie habe den Druck gesehen. Die Angeklagte habe den Schein länger hochgehalten als normal. Die Verteidigerin hält vor, dass ungültige Fahrscheine nach den allgemeinen Beförderungsbedingungen eingezogen werden müssten. Die Busfahrerin antwortet, dies würde sie grundsätzlich nicht machen, denn der Fahrschein gehöre dem Fahrgast […]

Die Verteidigerin fragt, ob die Busfahrerin bestimmte Kriterien habe, nach denen sie kontrolliere. Die Busfahrerin verneint dies. Das sei ja das Thema. Sie mache keine Unterschiede zwischen den Fahrgästen. Die Verteidigerin fragt, ob der Fahrschein noch einmal kontrolliert wurde, als die Polizei kam. Die Busfahrerin verneint dies. […]

Die Verteidigerin fragt nach dem Anti-Aggressions-Training. Die Busfahrerin erklärt, wenn etwas passiere, bekomme man von der BVG Hilfe angeboten. Das einzige Angebot, das sie bekommen habe, sei ein Gespräch mit einer Psychologin und eben dieses Anti-Aggressions-Training gewesen. Dies sei nur ein Angebot, keine Verpflichtung gewesen.

[…]

Die Verteidigerin fragt die Busfahrerin nach dem genauen Ablauf der Beleidigungen. Die Busfahrerin macht folgende Angaben: Nachdem sie die Angeklagte darauf hingewiesen habe, dass das Ticket ungültig sei, habe diese sie gefragt, was sie jetzt machen wolle. Der Bus gehöre ja nicht ihr. Sie sei ein Nichts. Die Busfahrerin sagt erneut, die Angeklagte sei „so präsent“ gewesen. Sie, die Busfahrerin, habe der Angeklagten dann zwei Optionen genannt. Sie könne ein neues Ticket kaufen oder den Bus verlassen. Die Angeklagte habe erwidert: Sie, die Busfahrerin, sei eine Rassistin, weil sie ihr keinen Fahrschein verkaufen wolle. Sie gehöre ins KZ. Die Verteidigerin fragt, wie die Busfahrerin sich erkläre, dass die Angeklagte das gesagt habe – unmittelbar nachdem die Busfahrerin ihr angeboten habe, ein Ticket zu kaufen. Die Busfahrerin räumt daraufhin ein, dass sie sich an den genauen Ablauf nicht erinnere. Sie fügt hinzu, sie habe doch einfach nur Busfahren wollen.

Die Verteidigerin fragt, welche Routinen die BVG für die Kontrolle angebe. Die Busfahrerin antwortet, dass sie jeden Fahrschein kontrollieren solle. Aber die Zeit habe man ja nicht. Man kriege ja immer nur alles ab.

Vernehmung der Polizei-Zeugin

Die Busfahrer-Zeugin wird um 12:05 Uhr entlassen. Sie nimmt neben ihrem Begleiter im Publikum Platz. Die nächste Zeugin, die Polizeibeamtin, die zum Tatort kam, wird hereingerufen. Ihre Personalien werden aufgenommen.

Der Richter beginnt mit seiner Befragung: Er möchte wissen, ob die Polizeibeamt*innen den Fahrschein gesehen haben. Die Polizeibeamtin sagt, die Angeklagte habe mehrere gehabt. Der Richter fragt, ob sie den Schein eingezogen hätten. Die Polizeibeamtin erinnert sich nicht. Der Richter möchte wissen, was genau „das Problem gewesen sei“. Die Polizeibeamtin weiß nur noch, dass es sich um einen ungültigen Fahrschein gehandelt habe. Der Richter fragt, zu welchem Zeitpunkt das Hausverbot an die Angeklagte erteilt worden sei. Die Polizeibeamtin sagt, das sei beim Einsteigen passiert, da sie keinen gültigen Fahrschein gehabt habe.

Der Richter sagt, dass die Angeklagte sich ja auch an die Polizei gewendet habe, weil es eine wechselseitige Beleidigung gegeben habe. Die Polizeibeamtin erklärt, es sei wohl auch von der Angeklagten aus in eine „rassistische Richtung“ gegangen. Sie habe die Busfahrerin als „Nazi“ beleidigt. Der Richter fragt, ob die Polizeibeamtin wisse, wann die Beleidigung gefallen sei. Die Polizeibeamtin antwortet, dass sei geschehen, nachdem die Busfahrerin ihr die Fahrt verweigert habe. Der Richter fragt, woher sie das wisse. Die Polizeibeamtin sagt, das seien ihre Erinnerungen. Sie wisse nicht mehr wer das so gesagt habe.

Der Richter fragt, was für Zeug*innen vor Ort gewesen seien. Die Polizeibeamtin antwortet, dass alle die befragt worden seien nichts zur Ausgangssituation hätten sagen können. Der Richter möchte wissen wie viele es ungefähr gewesen seien. Die Polizeizeugin ist sehr unsicher und sagt 2 oder 3. Der Richter fragt, ob die Personalien von den Zeug*innen aufgenommen worden seien. Die Polizeibeamtin erwidert, wenn diese nicht im Verlauf stünden, dann nein. Der Richter fragt, ob die beiden Polizeibeamt*innen die Zeug*innen einzeln oder gemeinsam befragt hätten. Die Zeugin antwortet, sie hätten mit der Angeklagten und der Busfahrerin jeweils zu zweit gesprochen.

Der Richter möchte wissen, welchen Eindruck sie von der Angeklagten gehabt hätten. Die Polizeibeamtin sagt, diese sei sehr aufgebracht gewesen, hätte gesagt, dass die Polizei ihr sowieso nicht glauben würde, da die Polizei voreingenommen sei. Sie habe sich nicht beruhigen lassen. Der Richter möchte auch wissen, in welcher Verfassung die Busfahrerin war. Die Polizeibeamtin sagt, diese sei aufgelöst gewesen, da sie verbal angegangen worden war. Sie habe Tränen in den Augen gehabt.

Das Fragerecht geht an die Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwältin möchte wissen, ob die Polizeibeamtin Zeug*innen grundsätzlich nicht in den Vorgang aufnehmen würde. Die Polizistin antwortet, wenn diese Zeug*innen keine Aussagen zur Ausgangssituation einer Auseinandersetzung machen könnten, dann nicht. Die Staatsanwältin fragt, ob es nicht weitere Zeug*innen gegeben habe, die schon gegangen waren, als die Polizei eintraf. Die Polizistin antwortet, dies könne schon möglich sein. Die Staatsanwältin möchte genauer wissen, in welcher Gemütslage sich die Angeklagte und die Busfahrerin befunden hätten Die Polizeibeamtin sagt die Angeklagte sei ihrer Ansicht nach wütend und sauer aber nicht geschockt in dem Sinne gewesen. Die Busfahrerin hingegen schockiert.

Das Fragerecht geht an die Verteidigerin

Die Verteidigerin fragt die Polizeibeamtin, ob sie die Angeklagte und die Busfahrerin nach dem Fahrschein gefragt habe. Die Polizeibeamtin sagt, der Fahrschein solle bei der Angeklagten gewesen sein. Die Verteidigerin fragt, wer das behauptet habe. Die Polizeibeamtin weiß es nicht. Sie habe zwar Fahrscheine gesehen, aber nicht gewusst, um welchen es sich gehandelt habe.

Die Verteidigerin macht der Busfahrerin einen Vorhalt aus dem Protokoll der Polizeibeamt*innen. Sie möchte wissen, woher die Angaben gekommen seien: „Die Busfahrerin stellte fest, dass der Fahrschein alt war. Sie verwies die Angeklagte aus dem Bus.“ Ihrer Ansicht nach klinge es nämlich so, als sei hier nur die Sicht der Busfahrerin aufgenommen worden. [Anm.: Antwort der Polizeibeamtin leider nicht mitgeschrieben]

[…]

Die Verteidigerin fragt, ob die beiden Polizeibeamt*innen bei allen Gespräche zu zweit gewesen seien. [Anm.: Hier lacht der Richter auffällig, grinst und schüttelt den Kopf. Er scheint sich zu ärgern oder irritiert zu sein.]

Die Verteidigerin möchte wissen, ob die Angeklagte gegenüber den Polizeibeamt*innen Beleidigungen genannt habe. Die Polizeibeamtin sagt, sie habe vor Ort Beleidigungen gehört, allerdings selbst die Bewertung vorgenommen, dass es sich um keine Beleidigungen im juristischen Sinne gehandelt habe und diese darum nicht in den Bericht mit aufgenommen. Die Verteidigerin möchte wissen, wie lange sie die Zeug*innen befragt hätten. Die Polizeibeamtin weiß es nicht. Die Verteidigerin möchte wissen, wer die Polizei gerufen habe. Die Polizeibeamtin weiß nicht, ob es sich um einen Notruf gehandelt oder die BVG angerufen habe. Die Angeklagte sei ihnen auf dem Gehweg entgegengekommen, als sie zum Tatort kamen.

Der Richter fragt noch einmal nach, ob die Polizeibeamtin sich nicht an konkrete beleidigende Worte erinnert. Sie sagt sie erinnere sich an etwas wie „Wir sind hier ja nicht mehr im zweiten Weltkrieg. Du bist wie Adolf Hitler“. Dies sei gefallen, nachdem die Busfahrerin der Angeklagten verweigert habe einen Fahrschein zu kaufen. Der Richter macht zuletzt noch einen Vorhalt aus dem polizeilichen Bericht und fragt danach von welcher Zeug*in welche Information stamme. Die Polizeibeamtin gibt zu, dass sie lediglich ein zusammengefasstes Bild der Situation geschrieben habe. Einzelne Aussagen seien schwer in einen Sachverhalt zu bringen. Der Richter stellt fest: die Aussagen seien folglich nicht mehr einzelnen Personen zuzuordnen.

Die Zeugin wird um ca. 12:40 entlassen, die Verhandlung unterbrochen. Sie wird am 11.12.2017 um 13:30 Uhr fortgesetzt.