„Jogger Hasenheide“

Zeit: 17.07.2015, 9h15
Ort: Amtsgericht Tiergarten, Kirchstraße 6, 10557 Berlin, Raum 1104

Anwesende Prozessbeteiligte:
R – Richterin (weiß)
StA – Staatsanwalt (weiß)
K – Angeklagter (Schwarz)
VK – Verteidigung von K (weiß)

Dolmetscherin (weiß)
M – Zeuge (weiß)
H – Zeuge, Polizist (weiß)
S – Zeuge, Polizist (weiß)
Ca. 10 Zuschauer_innen

Kurze Zusammenfassung des Vorfalls
aus: https://kop-berlin.de/files/93 (Aufruf 11.11.2015)

[K] geht regelmäßig morgens im Berliner Volkspark Hasenheide joggen. Dabei ist ihm gelegentlich ein Polizeiwagen aufgefallen, der dort Streife fuhr und aus dem er teilweise beobachtet wurde.

Am Morgen des 05.10.2014 fährt dieser Streifenwagen zunächst auf [K] zu, so dass dieser ausweichen muss, um nicht vom Wagen erwischt zu werden. Auf diese Gefährdung macht [K] die Polizisten mit einer Geste im Vorbeilaufen aufmerksam. Kurze Zeit später wird [K] von hinten angegriffen. Aufgrund seiner Kopfhörer hatte er die herannahende Person nicht hören können. Er kann sich befreien und sieht erstaunt, dass es sich um Polizisten handelt. [K] daraufhin seinen Weg fortsetzen will, rufen die Polizisten ihm etwas hinterher, was er nicht versteht. Einer der Beamten zieht seine Waffe.

Außerhalb des Parks wird [K] nun von mehreren Polizeiwagen eingekreist und gewaltsam festgenommen. [K] kann sich den Grund für die Festnahme und die Vorgehensweise der Polizei nicht erklären. Auf seine Bitte hin, die Handschellen etwas zu lockern, wird er ausgelacht. Er hat das Gefühl, dass ihm nicht geglaubt wird, dass er im Park nur zum Sporttreiben war, obwohl einige der Polizisten ihn dort in der Vergangenheit bereits gesehen hatten. Auf die Frage nach dem Grund für die Festnahme erhält er keine Antwort. [K] bezeichnet das Vorgehen der Polizei als Racial Profiling, da kein_e andere_r Läufer_in festgenommen wurde.

In der Polizeiwache wird er von einem Polizisten gewaltsam und unter lautstarken Beleidigungen in eine Zelle gebracht. [K]. schreit vor Schmerz und bittet abermals um die Lockerung der Handschellen. Als [K] in der Zelle nach seinem Rechtsbeistand fragt, erhält er als Antwort lediglich „Halt die Klappe“ und dass er schlafen solle, so wie die „anderen Schwarzen Männer“ auch. Ohne Belehrung über den Tatvorwurf und die ihm zustehenden Rechte wird [K] erkennungsdienstlich behandelt. Obwohl er dabei alle Anweisungen des Polizeibeamten befolgt, wird er angeschrien und besonders grob behandelt. Als [K] den Beamten auf diese unnötige Behandlung hinweist, entgegnet dieser ihm „Halt die Klappe, scheiß Affe!“. Auf Nachfrage [K]s bestätigt der Beamte die getätigte Aussage noch einmal. Die erkennungsdienstliche Behandlung wird durch den Polizisten gewaltvoll fortgesetzt, sodass [K] befürchtet, dass sein Handgelenk brechen könnte.

Als [K]. nach mehreren Stunden entlassen wird, bringt ihn der Beamte, der ihn zuvor auch erkennungsdienstlich behandelte, nach draußen. Dabei wird er von diesem geschubst und erneut als „Affe“ bezeichnet, was [K] als gezielte Provokation erkennt, darauf jedoch nicht eingeht.

Beginn der Verhandlung
Vor der Eröffnung der Hauptverhandlung nimmt die Dolmetscherin neben dem Verteidiger (VK) Platz, die Richterin (R) bittet sie, sich doch neben den Angeklagten (K) zu setzen, damit die Übersetzung problemlos ablaufen kann.

Die Richterin eröffnet die Hauptverhandlung und der Staatsanwalt (StA) verliest die Anklageschrift. K habe einen Polizisten beleidigt, Widerstand geleistet und versucht, andere körperlich zu misshandeln.

R stellt die Rechtzeitigkeit des Einspruchs gegen den Strafbefehl fest, danach hat K das Wort.

K hat ein Statement vorbereitet, welches VK verliest. [Dabei war der Ablauf anscheinend zwischen K und VK nicht im Vorhinein abgesprochen worden, sodass VK erst davon ausging, dass K das Statement auf Englisch vorliest. Das Statement lag jedoch nur auf Deutsch vor, weshalb VK sich bereit erklärte, das Verlesen zu übernehmen.]

R fragt, ob sie die Einlassung des K schriftlich bekomme, was VK verneint, da in dem einzigen Exemplar, welcher er vorliegen habe, etwas drin stehe, was er nicht vorlesen werde. R schließt folgerichtig, dass sie sich also Notizen machen müsse. (Die Einlassung ist sehr nah an dem Text der PM: https://kop-berlin.de/veranstaltung/aufruf-zur-prozessbeobachtung-solidarisch-gegen-racial-profiling)

Da die Einlassung von der Dolmetscherin nicht übersetzt wurde, fragt R K, ob das seine Einlassung sei und ob er wisse, was da drin stehe, was K bejaht. Er habe sein Gedächtnisprotokoll zwei Tage nach dem Vorfall aufgeschrieben. Er fing bereits einen Tag nach dem Vorfall (06.10.2014) damit an, konnte aber wegen einer Verletzung am Finger nicht tippen.

R möchte wissen, ob die Polizist_innen, die zuletzt mit ihm zu tun hatten, auch bereits zu Beginn schon im Park gewesen seien. Dies verneint K. Der Polizist zum Schluss sei der gewesen, der K von der Zelle zur ED-Behandlung eskortiert habe. Dies habe er auf sehr brutale Weise gemacht. K habe zahlreiche Verletzungen vom Basketball (gebrochene Handgelenke, drei Brüche am Arm, ausgekugelter Arm) und könne daher eine solche Behandlung der Handgelenke nicht vertragen. Weiterhin möchte R wissen, was für eine Geste K im Park gemacht habe. K erklärt, dass er Rap-Musik höre, er habe Gesten zur Musik gemacht. Die Musik sei etwas aggressiv, deshalb seien seine Gesten auch so gewesen. Er habe seinen Finger gehoben, dies sei jedoch nicht auf die Polizisten bezogen gewesen. Er habe nicht gewusst, wie ihm geschehe, als er plötzlich eine Hand auf seinem Rücken gespürt habe. Er habe erst dann gesehen, dass einer der Polizisten eine Waffe gehabt habe. Daher habe er versucht, nach Hause zu rennen. R möchte, dass K diese Gesten vormacht. K tut dies und erklärt, dass sich diese Geste auf die Zeile „Fuck the world“ in einem Song bezogen habe. K habe Kopfhörer auf gehabt und daher nichts gehört, er habe die Gesten zufällig gemacht, als die Polizisten da gewesen seien. R hinterfragt, ob es wirklich zufällig gewesen sei, als er sich über die Polizisten geärgert habe. Daraufhin erklärt K, dass er sich nicht aufgeregt, sondern gewundert habe, weshalb er im Fokus der Polizisten gewesen sei. Er wisse ja nicht, wann die Polizisten die Gesten gesehen haben. Auf die Frage der R, wie lang K die Gesten gemacht habe, antwortet er, dass es um 2 Sekunden gehe, wenn im Lied „fuck the world“ gesagt werde, mache er dieses Zeichen. Wie oft er diese Gesten an diesem Tag gemacht habe, möchte R weiterhin wissen. K erklärt, dass er die Gesten mehrmals gemacht habe, da er Notorious B.I.G. gehört habe. Daraufhin fragt R, wie sie sich dies vorstellen solle, ob K ein Lied in Dauerschleife gehört habe. K antwortet, er habe „Life after death“ gehört, „wenn Sie das hören, wissen Sie, was ich meine.“ R möchte Präzisionen zur Situation und fragt, ob K ein bisschen deutsch könne. Er sei von den Polizisten nicht angesprochen wurden, sondern sei plötzlich von hinten berührt wurden und seine Kopfhörer seien ihm heruntergerissen wurden, wobei ihm das Handy aus der Tasche gefallen sei. Ein Polizist habe das Handy aufgehoben. Seine Kopfhörer seien dabei immer noch auf seinem Kopf gewesen und ein Polizist habe daran gezogen. In dieser Situation habe er auch die Pistole in der Hand von einem der Polizisten gesehen. Er verstehe ein wenig deutsch, hätte aber nichts hören können, bis er von acht Polizisten umringt gewesen sei.

Nach dem Vorfall sei er dreimal im Krankenhaus gewesen. Er habe zudem Fotos von den Verletzungen, die ihm zugefügt wurden. Er möchte nicht durch die Polizei getötet werden, um danach Erklärungen für seinen Tod zu erhalten wie bei aus den USA bekannt gewordenen Fällen. Die Waffe, die auf ihn gerichtet wurde, sei eine 9 mm Style Gun/Glock gewesen. In dem Moment habe er nichts gehört oder hören können, da er zu traumatisiert gewesen sei. Er sei nur joggen gegangen und sei nicht darauf vorbereitet gewesen, dass sein Leben bedroht würde. Die R hakt nach, ob die Polizei etwas zu ihm gesagt habe. K könne sich nicht erinnern, was bei der Festnahme gesagt wurde. In der Zelle sei er etwas beruhigter gewesen. Er sei dort als etwas Niedrigeres als ein Mensch bezeichnet wurden sei, er sei als „Affe“ bezeichnet wurden, er betont: „als ein Tier“. K weint, während er dies erzählt. Er wolle keine „casualty“, kein Opfer darstellen und nicht in einer Zelle verbrennen, wie in einem anderen Fall in Deutschland, weshalb er gerannt sei. R fragt, ob er um sich geschlagen habe. K streitet dies ab. Er habe sich umgedreht, als er an der rechten Schulter angefasst wurde. Er habe beobachtet, nachdem er festgenommen wurde und in einem Polizeiauto saß, dass die Polizisten zusammen saßen, sich unterhielten und dabei gelacht hätten. R fragt, ob er die Polizisten geschubst hätte. K sagt, er habe niemanden berührt, er sei berührt worden. K bringt ein, dass in einem Bericht stehe, er habe im Park mit Drogen gedealt. Er wolle Beweise dafür sehen etwa Bilder, die dies belegen. Ansonsten müsse dies aus dem Bericht herausgenommen werden. R erkundigt sich, welchen Bericht K meine. VK wirft ein, während er nach der Stelle sucht, dass in einem Bericht der Polizei stehe, dass K als regelmäßiger Drogenkonsument aufgefallen sei.

StA fragt nach der Anzahl der Polizeibeamten bei der Festnahme. K gibt acht bis zwölf Polizisten an. Sechs davon hätten ihn angefasst und zwei Polizisten seien in zivil (in grün) gekleidet gewesen und seien sehr aggressiv aufgetreten,sie hätten den größten Schaden angerichtet. Im Park seien es zwei Polizisten gewesen, die gleichen Beamten, die ihn zwei Wochen vorher beobachtet haben, als er ebenfalls joggen gewesen sei. K hatte sie damals „What are you looking at?“gefragt.

VK fragt, ob K Panik hatte, als er die Waffe auf ihn gerichtet sah. K bejaht, er habe Angst und einen Schock empfunden und habe nur ans Wegrennen denken können. VK fragt weiter, mit wem K von der Gefangenensammelstelle aus telefoniert habe. Dies sei Prof. M gewesen, sein Mitbewohner. Er habe ihm erzählt, dass er im Gefängnis sei und er kommen und ihm helfen solle. M sei auch gekommen und er habe ihm sofort davon berichtet, was ihm vorgefallen sei.

Beweisaufnahme
Vernehmung Zeuge M; Mitbewohner von K, Unternehmensberater, Honorarprofessor, weiß
M berichtet, dass er von der Polizei an dem Tag des Vorfalls gegen Mittag zwischen 11 und 12h30 angerufen wurde, die ihm mitteilte, dass er K abholen könne. Er habe warten müssen, als er ankam. Als K kam, sei er von mehreren Polizisten geführt worden. K sei sehr aufgebracht gewesen. Ihm wurde von der Polizei erzählt, dass K im Park aufgegriffen wurde und sich zur Wehr gesetzt habe. Der Bericht der Polizisten schien ihm stark vereinfacht und unglaubwürdig. Die Polizisten hätten sich gegenseitig angelächelt und die Art des Erzählens (Zuzwinkern, Lächeln, Nicken) erschien ihm, als sei die Geschichte vorher abgesprochen worden. Ihm sei nicht erzählt worden, dass eine Waffe auf K gerichtet wurde sowie dass er von acht Polizisten nieder gerungen wurde. M erläutert, dass K öfter solche Erfahrungen mit der Polizei gemacht habe. Er nehme solche Geschichten ernst, da K oft in Situationen komme, in denen er diskriminiert werde. Die Geschichte erklärte sich für ihn nicht, sodass er die Polizisten gefragt habe. Da wurde ihm erklärt: „Menschen wie er müssen damit rechnen, in der Hasenheide aufgegriffen zu werden.“ Er halte dies für eine rassistische Auffassung. Auf Nachfrage R zum Erleben von K, gibt M an, dass dieser vor allem Unverständnis gegenüber dem Verhalten von der Polizei aufbringe, aber auch irgendwann anfinge, sich darüber zu ärgern. VK fragt, wie oft K laufen ginge. Dies sei drei Mal die Woche, gibt M an. Ob bereits Ereignisse ähnlicher Art vorgefallen sind, fragt VK. Vor sechs bis acht Wochen vor dem verhandelten Vorfall sei er (M) ebenfalls von der Polizei angerufen wurden und ihm sei mitgeteilt wurden, dass K wegen einer Beleidigung aufgegriffen wurde. Es handelte sich wieder um einen Vorfall, indem K laufen war und beim Musikhören gestikuliert hat. Bei dem Gespräch mit der Polizei habe er versucht zu erklären, wie es ist, täglich aufgrund körperlicher Merkmale diskriminiert zu werden und was dies für K bedeutet. Nach seinem Kenntnisstand habe es sich um die selben Beamten gehandelt wie bei dem verhandelten Vorfall. M habe den Eindruck, dass K bei einem weiteren Vorfall gestellt werden sollte.

Vernehmung Zeuge H; Polizeibeamter (36 J.), weiß
H gibt an, er hatte zum Moment des verhandelten Vorfalls Dienst in der Hasenheide in Berlin, welcher einen kriminalitätsbelasteten Ort darstelle. Er fuhr Streife auf dem Schotterweg, als ihm ein Jogger (K) entgegen kam und ihm den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt habe. Zwei oder drei Tage vorher habe K ihn während seines Diensts bereits mit einem „What the fuck are you looking at me?“ angesprochen. Er habe K allerdings laufen lassen, da „schönes Wetter“ war.

H erklärt, er sei aus dem Auto gestiegen, habe zu K gesagt, er solle stehen bleiben und sei K hinterher gelaufen. Dieser habe sich umgedreht, habe den Mittelfinger gezeigt und sei rückwärts so weitergelaufen. Bevor er ihn anfassen konnte, sei K vollkommen ausrastet. K habe „vor Wut geschäumt“, sodass er Unterstützung angefordert habe. R fragt, wie lange die Geste gedauert habe. H gibt an, dass sie lange angehalten habe, K habe in dem Moment keine Laufbewegungen gemacht. Als K im (Polizei)-Auto saß, habe er das Gespräch mit ihm gesucht, da er wissen wollte, was los gewesen sei. K habe gesagt, „that’s freedom of speech“. H sagt aus, er „habe [s]ich beleidigt gefühlt“ wegen der Geste.

Nachdem er (zu Beginn des Vorfalls) aus dem Auto gestiegen ist, habe er gerufen und K habe sich auch umgedreht. K müsse also etwas gehört haben. Dann sei K rückwärts circa 10 Meter mit ausgestreckten Mittelfingern gelaufen. Bevor er und sein Kollege ihn berührt hätten, sei K ausgerastet und habe mit den Armen herumgefuchtelt. H habe ausweichen müssen, um nicht am Kopf getroffen zu werden. K habe dabei einen „irren Eindruck“ auf ihn und seinen Kollegen gemacht. H betont, dass er K nicht berührt habe. R fragt, ob K der Grund der Intervention der Polizei erklärt wurde. H verneint, „dazu kam es nicht“. H und sein Kollege seien K dann nicht hinterher gelaufen. Sie hätten sich aus taktischen Gründen zurückgezogen und waren an den weiteren Maßnahmen nicht beteiligt. Die Unterstützungskräfte hätten auch die Personalien von K aufgenommen. R fragt, wann das Handy von K aus dessen Tasche gefallen sei. Dies sei durch das „Herumgefuchtele“ von K heraus gefallen. R: „Wurden zwei Tage zuvor ebenfalls die Personalien von K angefragt?“ H: „Ne.“ R spricht den von Zeuge M vorgebrachten Vorfall an, bei dem H und sein Kollege ebenfalls beteiligt gewesen sein sollen. H gibt an, K nur bei den zwei von ihm beschriebenen Fällen gesehen zu haben. R führt aus, dass K und M angegeben haben, dass sich K unangemessen beobachtet gefühlt habe und beide dies auf die Hautfarbe von K zurückführen. H gibt an, nichts dazu sagen zu können. In der Hasenheide liefen aufgrund der Drogenproblematik ständig Maßnahmen. Zu der Geste von K sagt H, er sei auch ein großer Fan von Notorious BIG, er kenne aber kein Lied, bei dem man sich so bewegen müsse. R fragt, ob die Geste auch hätte verwechselt werden können. H wird leicht aufbrausend: „Sehr geehrte Frau Vorsitzende, der Herr hat mir beide Mittelfinger gezeigt.“ Er möchte sich nicht auf die Diskussion einlassen, ob das als Reaktion auf die Musik geschehen sei.

Die Verteidigung kommt auf die Waffe zurück, die von K beschrieben wurde. H verneint, dass sein Kollege ihm vom Gebrauch einer Waffe berichtet hätte. Er stellt in Frage, dass dies zum Sachverhalt gehöre. VK fragt, ob sein Kollege ihm im Nachhinein davon berichtet hätte, wenn er die Waffe gezogen hätte. Dies komme auf die Situation an, antwortet H, aber eher nicht. VK fragt weiter, wie häufig H seine Waffe auf der Streife gebrauche. Dies sei sehr unterschiedlich nach H., in letzter Zeit weniger. VK hält aus der Akte vor, dass K in der Vergangenheit mit Drogenkonsum aufgefallen sein soll und fragt, woher die Information komme. H gibt an, dies müsse im Zuge der Maßnahme bekannt geworden sein. Er wollte eine Blutentnahme bei der StA anregen, Betäubungsmittel (BTM)-Gebrauch hätte für K entlastend wirken können. Sie (die Polizei) hätten ja nicht nur be- sondern auch entlastend zu ermitteln. Auf Nachfrage gibt H an, an dem Tag des Vorfalls eine Dienstwaffe und ein Pfefferspray an sich getragen zu haben sowie dass ein Stock neben dem Autositz eingeklemmt war.

Pause

Vernehmung Zeuge S; Polizist (28 J.), weiß
S sagt „Hallo“ beim Eintreten, tritt sehr korrekt und freundlich auf. Er habe am besagten Tag gerade mit seinem Kollegen H den Columbiadamm bestreift und aus dem Fenster geschaut, da habe H ihn darauf aufmerksam gemacht, dass ihm ein „Farbiger“ entgegengekommen sei und den Mittelfinger gezeigt habe. Er sei ausgestiegen und habe „Halt, Polizei“ gerufen. K sei dann rückwärts gejoggt und habe den linken und rechten Mittelfinger gestreckt. Dabei habe K mit den Armen gerudert. H konnte dem „Armgeruder“ ausweichen, sei aber dadurch von K geschubst worden. Hierbei sei das Handy von K mit Glasbruch zu Boden gefallen. Er sei zum Wagen zurück gegangen und habe Verstärkung angefordert. S gibt an, dass er auf die erste Beleidigung nicht selber aufmerksam geworden sei, da K an der Fahrerseite vorbeigelaufen ist. Bei seinem Rufen habe sich K umgedreht und die Finger in ihre Richtung gezeigt. S macht die Fingerbewegung vor: Er bewegt die Mittelfinger abwechselnd hoch und runter. R sagt, dass K habe angegeben, Notorious B.I.G. gehört und dabei gestikuliert zu haben, und fragt, ob die Gesten zu verwechseln seien. S: „Interessant. Ich glaube nicht.“ Er habe ja auch erst angefangen, als er sich umgedreht hat. S habe erst im Nachgang gemerkt, dass K Kopfhörer aufhatte. H habe zu K gesagt, dass er seinen Personalausweis sehen möchte. Dann wirkte es wie eine Explosion, K war noch aufgebrachter als vorher schon und fuchtelte plötzlich mit den Händen. S habe in dem Handgemenge kurz sein Pfefferspray gezückt, sich dann allerdings dagegen entschieden. R fragt, wie er das Pfefferspray gehalten habe und ob man es mit einer 9 mm Waffe verwechseln könnte. S vereint dies. Nach seiner Ansicht sei keine Verwechslung mit einer Pistole möglich, er würde diese auch anders halten. Sie hätten K dann durchsucht und ihm sei aufgefallen, dass „er Schaum vor dem Mund hatte“. R fragt nach anderen Vorfällen mit K. H habe ihm von dem Vorfall zwei, drei Tage zuvor berichtet. Er selber habe keine vorhergehenden Vorfälle mit K erlebt. Es sei eine reine Präsenzstreife gewesen. R möchte wissen, ob sie sich an dem Tag K in den Weg gestellt hätten. S verneint. Es habe keine Gelegenheit gegeben, den Wagen quer zu stellen. R fragt, ob K von ihnen festgehalten wurde. S antwortet, dass K durch H mit einer Armlänge Abstand kurz festgehalten wurde. Beim Herumgestikulieren habe sich K losgerissen, dies sei das beschriebene Wegschubsen gewesen. R fragt bezüglich der situativen Ansprache und der Frage nach den Personalien, ob K dies verstanden habe. S sagt, er könne dies nicht beurteilen. VK fragt nach dem Wortlaut, mit dem die Verstärkung gerufen wurde. S verweist auf die Akte. VK kontert: „Ich frage Sie hier etwas.“ S gibt an, sich nicht zu erinnern. VK erkundigt sich nach dem Einsatz des Pfeffersprays und der Häufigkeit des Einsatzes durch S. S sagt, er habe sich aufgrund der Verhältnismäßigkeit und der Unüberschaubarkeit der Situation gegen den Einsatz entschieden. Über den Gebrauch führe S kein Tagebuch, in der Hand halten würde er es ein oder zwei Mal die Woche, bisher habe es jedoch nur einmal eingesetzt. VK fragt, ob er H vom Ziehen des Pfeffersprays berichtet habe. S antwortet, dass er es natürlich erzählt habe. Der Einsatz von Zwangsmitteln müsse zudem immer verschriftlicht werden. VK fragt nach dem Typ der getragenen Waffe. Diese gibt S als G 6, 9 mm an. S schmunzelt dabei.

R liest einen Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 01.07.2008 vor. K sei wegen Nötigung und Körperverletzung sein Führerschein entzogen worden sowie habe eine Haftstrafe von zwei Jahre auf Bewährung erhalten.

VK hat die Fotos von den Verletzungen von K nur auf seinem Tablet.

R fragt K nach zusätzlich Angaben, wie lange er in Deutschland sei sowie zu seinem Beruf und seinen Einkommensverhältnissen. K weint. Er möchte nur in Freiheit leben. Er gehe seitdem nicht mehr raus, er sei Strafgefangener seines eigenen Hauses. Er habe schon so lange mit Rassismus zu kämpfen. Er sei seit 14 Jahren in Deutschland und habe für die Gesellschaft viel gemacht, er habe einen Verbrecher zur Polizei gebracht. Er möchte sich nicht zu Hause einschließen müssen wegen den Erfahrungen mit seiner Hautfarbe. „Ich kann das nicht länger hinnehmen. Ich kann das nicht länger…“ K bedankt sich für die Zeit, in der er angehört wurde.

Plädoyers
Die Staatsanwaltschaft sieht die Beleidigung als erwiesen an, welche eine Ehrverletzung der Polizeibeamten darstelle. K hat H und S den Mittelfinger gezeigt, dies sei willentlich geschehen. Nach der Einlassung sei die Geste eine Reaktion auf den Genuss von Rapmusik gewesen, dies sei durch die Zeugen H und S widerlegt wurden. Zum Teil sei widerlegt, dass K die Polizisten nicht verstanden habe. Beide seien als Polizisten erkennbar gewesen. Der Einsatz der Schutzwaffe sei nicht erwiesen. K habe sich der Beleidigung schuldig gemacht. Die Körperverletzung sei nicht erwiesen, daher fordere er hierfür Freispruch. Der Eintrag von 2008 ist lange her. K sei ein „wohl integrierter Bestandteil der Gemeinde“ und habe an dem Tag wenig kriminelle Energie gezeigt. Er lege ihm zu lasten, dass er nichts gestanden habe. Die StA plädiert für eine Strafe von 40 Tagessätzen à 50 €.

Der Verteidiger beginnt damit, dass er erzählt, er wisse aus einer Erfahrung aus einem Praktikum, dass man gegen zwei Polizeiaussagen keine Chance habe. Er führt fort, die Zeugen hätten sich in einigen Punkten widersprochen. Ein Polizist würde sich aber natürlich nicht hinstellen und sagen, dass er die Waffe aus einer Überreaktion heraus gezogen habe. Bezüglich des Vorhalts der StA, dass K nicht geständig sei, sagt VK, K habe die erste Geste zugegeben, jedoch in einem anderen Kontext. Dies stelle eine subjektive Bewertung dar. Die zweite Geste habe es nicht gegeben. K habe in dem Moment nicht realisiert, dass es sich um eine Polizeimaßnahme handele. Zudem sollten die Auswirkungen dieser Tat berücksichtigt werden und von einer Strafe abgesehen werden.

K gibt an, dieses Verbrechens nicht schuldig zu sein. Wenn er später als gewöhnlich in der Hasenheide laufen gehe, passieren ihm anscheinend diese Dinge.

Urteil
Die Richterin verkündet das Urteil direkt nach dem Ende der Plädoyers, ohne sich zur Entscheidung zurückzuziehen. K wird wegen Beleidigung und Körperverletzung zu 40 Tagen je 30 € verurteilt. Das Urteil bedeute nicht, dass sie die besondere Situation von K nicht anerkannt habe. Nach der Beweisaufnahme sei erwiesen, dass er den Mittelfinger gezeigt habe. Die Personalaufnahme sei rechtmäßig gewesen. Mit seinen Armbewegungen habe K billigend das Treffen eines Polizisten in Kauf genommen. Die emotionale Beteiligung Ks an dieser Situation durch das Verhalten im Gericht ist deutlich geworden und auch die Aussage Ms habe dies gezeigt. Es sei nicht glaubwürdig, dass die Geste zufällig zur Musik gemacht wurde. Das Ziehen der Waffe durch einen Polizisten wurde nicht glaubwürdig, es gab nur ein Pfefferspray in der Hand eines Polizisten. Seine Erinnerung und Wahrnehmung war nicht überzeugend, weil K außerdem sagte, dass er nur noch weg wollte. Sie ist überzeugt, dass der Vorfall wie von den Polizisten geschildert geschehen sei. Aufgrund von erlebten Vorurteilen und der persönlichen Biographie könne sie natürlich verstehen, dass sich jemand beleidigt fühle. R wird durch „Rassismus!“-Einsprüche aus dem Publikum unterbrochen. R führt etwas irritiert fort, K sei damals aufgebracht gewesen. Eine Einsicht für seine Handlungen hätte ersichtlich werden müssen.

Die Verhandlung wird geschlossen.