Protokoll der Verhandlung vom 24.07.2014, 10.15 h
Amtsgericht Tiergarten
Vorfall
Angeklagt sind K, A und S. K. wird vorgeworfen am Abend des 03.04.2014 am Görlitzer Bahnhof gemeinsam mit einer weiteren Person, A, der aber als „Intensivtäter gesondert verfolgt“ wird, dem Geschädigten G. die Geldbörse gestohlen zu haben. K. wird weiterhin Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchte gefährliche Körperverletzung und versuchte Gefangenenbefreiung vorgeworfen. S. wird an manchen Stellen in der Anklageschrift als Angeklagter mit aufgezählt, was ihm aber konkret vorgeworfen wird, ist dieser nicht zu entnehmen.
Verlauf der Verhandlung
Die Verhandlung wird um 10.15 Uhr eröffnet. Zu Beginn werden die Personalien des Angeklagten K. erfragt. K. sitzt seit dem Tattag in Untersuchungshaft in der JVA Moabit. Er ist libyscher Staatsbürger. K. macht freiwillige Angaben zu seiner finanziellen Situation, er habe 2.500 Euro von der Botschaft monatlich zu Verfügung. Er ist seit März 2013 in Deutschland wegen einer Behandlung einer Kriegsverletzung, insgesamt seien ihm 90.000 Euro für diese von der Botschaft zugesagt worden. Auf die Nachfrage des Staatsanwalts antwortet K., dass es noch keinen Ausreisetermin gebe wegen der aktuellen schwierigen Lage im Herkunftsland. Des Weiteren versichert der Staatsanwalt sich noch einmal der von K. genannten Geldsumme, ob das monatliche „Taschengeld“ in den 90.000 Euro bereits enthalten sei, K. bejaht dies. Der Richter wirkt fast empört (mindestens aber ungläubig) darüber, dass K. so viel Geld von der libyschen Botschaft erhält. Es scheint, als halte er das nicht für angemessen. K. wurde eine Dolmetscherin für arabisch – deutsch beigeordnet.
Darauffolgend werden die Personalien des zweiten Angeklagten S. abgefragt. S. ist deutscher Staatsbürger, was den Richter zu einer Nachfrage veranlasst, schließlich stehe in der Anklageschrift, S. habe die marokkanische Staatsbürgerschaft. S. erklärt, er verstehe auch nicht, woher diese Annahme komme, sie sei schlicht nicht richtig. Auch S. gibt freiwillig Auskunft über seine finanzielle Situation. Er erhalte momentan ALG II, wohne bei seiner Familie und gehöre deshalb zu der Bedarfsgemeinschaft. S. plane jedoch eine Ausbildung zum Friseur zu beginnen. Der Staatsanwalt wirkt ungeduldig, er möchte wissen, wie viel Geld S. nun im Monat zur Verfügung habe (wörtlich: „Wieviel bekommen Sie denn real?“), was S. mit 100-150 Euro beantwortet, dies bekomme er von seinen Eltern.
Die Staatsanwaltschaft beginnt mit dem Verlesen der Anklageschrift. Dem Angeklagten K. werde vorgeworfen am Abend des 03.04.2014 am Görlitzer Bahnhof mit einem anderen, A., welcher aber als „Intensivtäter gesondert verfolgt“ werde, dem Geschädigten G. die Geldbörse gestohlen zu haben. K. werde weiterhin Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchte gefährliche Körperverletzung und versuchte Gefangenenbefreiung vorgeworfen. S. wird an manchen Stellen in der Anklageschrift als Angeklagter mit aufgezählt, was ihm aber konkret vorgeworfen wird, ist dieser nicht zu entnehmen.
Der Angeklagte K. äußert sich selbst nicht, sein Verteidiger gibt eine Erklärung zu den Vorwürfen ab. Der (erste) Vorwurf des Raubs treffe nicht zu, K. kenne den A. nicht. K. habe A. nur am Boden unter einer anderen Person (Z) liegen sehen, er wusste nicht, dass die andere Person ein Zivilpolizist war und wollte A. deshalb helfen. Aus diesem Grund habe er die Schere aus seiner Jacke genommen und die auf A. sitzende Person damit bedroht. Eine andere Person habe ihn wiederum darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um einen Zivilpolizisten handelte, K. meint, dass dies S. gewesen sein könnte.
Die Verteidigerin des S. gibt ebenfalls eine Erklärung ab. S. habe nichts mit dem Raub zu tun gehabt. Er habe helfen wollen, als er sah, dass eine Person (A) von einer anderen (Z) auf den Boden gedrückt wurde. Er habe dann aber bemerkt, dass Z. ein Polizist ist und dies an K. weitergegeben. Auf die Frage des Richters, ob S. vor Ort noch mit anderen Personen gesprochen habe, antwortet S., dass er den Geschädigten G. versucht habe zu beruhigen. Dann habe A. ihn auf Arabisch angesprochen und ihm gesagt, dass die Geldbörse ein paar Meter weiter unter einem Auto liegen würde und dass er dies für G. übersetzen solle, was S. dann auch getan habe. Weiterhin habe er K. weggeschubst und ihm ebenfalls auf Arabisch gesagt, dass er den Polizisten Z. in Ruhe lassen solle. Der Richter erfragt daraufhin noch einmal, ob S. A. und K. kannte, was S. verneint. Er habe des Weiteren das Geschehnis vorher nicht gesehen, weil er mit den anderen auch nicht zusammen am Görlitzer Bahnhof stand. Der Richter liest aus einem polizeilichen Vernehmungsprotokoll vor, wonach S. folgendes gesagt haben solle: „Wenn Sie die Polizei raushalten, dann bekommen Sie die Geldbörse wieder!“ S. erklärt, dass er dies nicht gesagt habe.
Der Staatsanwalt beginnt mit seiner Befragung. Woher S. wusste, wo die Geldbörse sich befand, möchte er wissen. S. erklärt daraufhin erneut, dass der am Boden liegende A. unter Tränen ihn um Hilfe gebeten und ihm gesagt hätte, wo das Portemonnaie sich befand. Weiterhin interessiert sich der Staatsanwalt für den Zustand des K. währenddessen. S. beschreibt diesen als „sehr schlecht, zugedröhnt“. Näher erläuter S., dass K. irgendwas Unverständliches rumgebrüllt hätte, woraufhin er ihm folgendes gesagt habe: „Geh deinen Weg, du machst Fehler, das ist ein Polizist.“ Abschließend möchte der Staatsanwalt noch wissen, woher S. wusste, dass es sich bei Z. um einen Polizisten handelte. S. erklärt, dass er Z. vom Sehen kenne.
Zeugin Frau Kr. (Polizeibeamtin)
Kr. habe von dem Vorfall am Bahnhof nicht viel mitbekommen, sie sei zu dem Zeitpunkt an einem anderen Ort gewesen. Sie sei über Funk von dem Kollegen Z. informiert worden, auch darüber, dass eine Schere im Einsatz sei. Als sie dort ankam, sei K. in einem Gerangel gewesen, Kr. Habe dann zusammen mit Z. den K. zu Boden gebracht und festgenommen. Auf die Nachfrage des Richters, was Kr. Mit „Gerangel“ meine, antwortet sie, dass ihr Kollege Z. den Arm des K. genommen und K. diesen immer wieder nach vorne gezogen hätte. Zu anderen Festgenommenen könne sie nichts sagen. Später habe ihr der Geschädigte G. erzählt, dass man ihm das Angebot gemacht hätte, dass er seine Geldbörse wiederbekomme, wenn er die Polizei raushalte. Der Staatsanwalt erkundigt sich, ob Kr. Den S. erkenne. Kr. Erklärt, sein Gesicht würde ihr etwas sagen, sie wisse aber nicht in welchem Zusammenhang. Des Weiteren wird Kr. Gefragt, ob und wie sie sich als Polizistin zu erkennen gegeben habe. Kr. Erläuter, dass sie ihren Dienstausweis, welcher an einem Band um ihren Hals hängt, gezeigt habe, diesen schon bereithielt, als sie noch zum gegenständlichen Ort hinlief. Ihr Kollege Z. habe dort ebenfalls seinen Dienstausweis gezeigt.
Zeuge Hr. L. (Projektmanager aus Mannheim, Begleiter des G.)
L. sei am Tatabend mit dem Geschädigten G. in der Markthalle zum Essen gewesen. Danach hätten sie sich im Görlitzer Bahnhof unten ein Bier gekauft. Bei den Treppen hoch zu der U-Bahn sei G. von einem Mann (A.) angesprochen worden, ob er nicht Drogen kaufen wolle, was G. verneint habe. Sie seien weiter die Treppe hochgegangen, L. vor G. Der Mann habe aber nicht sofort locker gelassen und G. hätte mehrfach seine Ablehnung äußern müssen. Dann sei es plötzlich still gewesen, G. hätte dann gemerkt, dass sein Geldbeutel weg gewesen sei. G. sei daraufhin der Person hinterher gerannt quer über die Straße. L. sei auch hinterher, allerdings erst einmal an der Fußgängerampel stehengeblieben, da diese rot war. Später habe er dann gesehen, dass eine Person den Mann bereits in einem Hauseingang fixiert hatte. L. habe dann die Polizei gerufen. Es sei alles sehr unübersichtlich gewesen, viele Menschen und dann auch Polizeibeamte. Hinter L. habe eine Person gesagt, dass sie die Geldbörse wiederbekämen, wenn sie die Polizei raushalten würden. Rechts von ihm habe es ein Gerangel mit einer Zivilpolizeibeamtin gegeben, wobei L. irgendwas von einem Messer hörte, weshalb er dann etwas zurückgetreten sei. Wie der Mann, der G. am Bahnhof angesprochen hatte, aussah, könne L. nicht mehr genau sagen. Er wisse nur noch, dass dieser einen weißen Pulli an hatte, er könne den Mann jetzt aber nicht mehr identifizieren.
Auf mehrfache Nachfrage des Richters, ob L. noch weitere Personen, die zu A gehörten, während des Geschehnisses wahrgenommen habe, erklärt L., dass er nicht das Gefühl hatte, dass noch weitere Personen zu A. gehörten. Des Weiteren möchte der Richter wissen, ob L. eine Person mit einem Fahrrad (K. ist hier gemeint, den polizeilichen Vernehmungsprotokollen nach hatte er ein Fahrrad dabei) wahrgenommen habe. L. erklärt, dass eine Person mit einem Fahrrad während der Festnahme des A. schräg hinter L. gestanden habe, davor sei ihm die Person allerdings nicht aufgefallen. Ob er sich an die Aussage „Wenn ihr die Polizei raushaltet, kriegt ihr das Portemonnaie wieder“ erinnere und wer dies gesagt habe, möchte der Richter weiterhin wissen. L. beschreibt, dass die Person, die dies gesagt habe, links hinter ihm gestanden habe, es sei aber nicht die Person mit dem Fahrrad gewesen. Woher diese Person diese Information hatte, wisse L. allerdings nicht. Er habe nur mitbekommen, dass die beiden Personen hinter ihm, sich auf einer ihm unbekannten Sprache unterhalten, also abgesprochen haben. Darauf habe er auch den Zivilpolizisten aufmerksam gemacht. Danach habe er dann die zuvor angesprochene Aussage gehört.
Nun beginnt die Staatsanwaltschaft Fragen an L. zu stellen. Auf die Frage, ob die Person mit dem „Messer“ (K.) von einer anderen Person (S.) zurückgehalten wurde, antwortet L., dass der Zivilpolizist doch die Person fixiert habe. Der Staatsanwalt konkretisiert seine Frage noch einmal und fragt diesmal, ob die Person von einer anderen Person mit Migrationshintergrund zurückgehalten wurde. Das habe L. nicht gesehen, da das alles halb rechts von ihm stattfand und links das mit dem Fahrrad. Der Staatsanwalt versichert sich, ob es sich um zwei verschiedene Personen handele, die mit dem Fahrrad und die mit dem Messer. L. bestätigt dies. Des Weiteren interessiert sich der Staatsanwalt dafür, wie viel Zeit ungefähr zwischen dem Raub am Bahnhof und der Ankunft an dem Hauseingang lag. L. erklärt, dass es sich da vielleicht um 30-40 Sekunden handele. Neben dem Hauseingang befinde sich ein Ecklokal, zu dem L. gegangen sei, als er gesehen habe, dass die eine Person (A.) am Boden fixiert worden sei, von dort habe er dann die Polizei gerufen.
Die Verteidigung des K. hakt an diesem Punkt ein und fragt, weshalb L. die Polizei gerufen habe, wenn A. von einem Zivilpolizisten fixiert wurde. L. erklärt daraufhin, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass es sich um einen Zivilpolizisten handelte. Das habe er erst gemerkt, als dieser seine Reizgasflasche rausgeholt habe, um die umstehenden Menschen zurückzudrängen. Und erst danach habe er die Dienstmarke des Polizisten gesehen.
Die Verteidigung des S. fragt L. nun nach einer Beleidigungssituation, ob er so etwas wie „Halt die Fresse, du Bastard!“ am Ort gehört habe? L. verneint dies. Des Weiteren möchte die Verteidigerin wissen, ob L. gesehen habe, dass S. einen Schlag ins Gesicht abbekommen habe. Auch dies verneint L. Auch habe L. nicht gesehen, dass der Zivilpolizist Z. sich noch um weitere Personen kümmerte, erklärt L. auf Nachfrage, Z. sei nur bei A. gewesen.
Zeugin Frau Pa. (Polizeibeamtin)
Pa. Erzählt, dass sie mit ihren Kolleg_innen am besagten Tag einen Schwerpunkteinsatz in dem Gebiet um den Görlitzer Bahnhof gehabt habe. Diese Art von Einsatz sei erforderlich, weil dort am Tag mindestens ein Raub verzeichnet werde. Sie habe während dieses Einsatzes eine Personengruppe beobachtet. Pa. Erklärt, sie habe A. und K. bei dem Raub beobachtet. Bei S. hätte man nicht genau sagen können, ob er zur Gruppe gehöre oder nicht, „weil sich da alles tummelt“, so Pa. Der Richter verlangt eine genauere Beschreibung des von Pa. Beobachteten. Pa. Beschreibt, dass sie gesehen habe, wie A. und K. mit dem Geschädigten G. Kontakt aufgenommen hätten. Ob das für beide oder nur einen der beiden zutreffe, könne sie nicht sagen. Weiterhin schildert der Richter nach seinen bisherigen Erkenntnissen, dass K. zuerst mit seinem Fahrrad nicht so nah an dem Geschädigten G. gewesen sei und dass sich dann der Raub ereignet habe und fragt Pa. Damit, ob sich dies so zugetragen habe. Pa. Erklärt, dass K. mit seinem Fahrrad den Geschädigten G daran gehindert habe, seinen Weg zu gehen, indem er sich immer mit dem Fahrrad vor ihn gestellt habe. K. habe also den gesamten Verkehr aufgehalten, fragt der Richter nach. „Naja,…ja.“, erwidert Pa. Weiterhin erklärt Pa. Habe A. den Geschädigten G. dann angesprochen, ob A. und K. zusammen gewirkt haben, könne sie nicht sagen, es habe sich aber zu dem Zeitpunkt für sie so dargestellt. Aufgrund welcher Umstände Pa. Zu dieser Annahme gekommen sei und ob es eine direkte Tathandlung des K. bezüglich des Raubs gegeben habe, hakt der Richter nach. Pa. Kann nur die zweite Frage beantworten, „Nein“. In Bezug auf S. könne sie nur sagen, dass dieser auch anwesend war, ob er aber etwas mit dem Raub zu tun hatte, habe sie erstmal nicht gesehen. Im weiteren Verlauf sei sie aber davon ausgegangen, weil er mit den anderen geredet habe. Dies sei auch der Grund für die Personalienaufnahme gewesen. Hierzu erklärt sie: „So ist ja der Modus Operandi, die machen das in Gruppen.“ Eine weitere Nachfrage des Richters bezüglich Pa.s Position, als A. vom Bahnhof aus losrannte, dürfe Pa. nicht beantworten wegen künftiger Aufklärung. Sie könne nur sagen, dass sie sich „woanders“, auf der anderen Seite befand, für genauere Auskünfte habe sie keine Genehmigung. Der Richter reagiert mit Unverständnis. Des Weiteren erzählt Pa., dass sich A. bei der Festnahme gewehrt hätte, der Kollege habe deshalb über Funk Hilfe angefordert, A. sei dann gefesselt und auf eine Treppe gesetzt worden. K. und S. hätten mit dem Rücken zu ihr gestanden, sie hätte aber beobachten können, dass die beiden auf den Zivilbeamten eingeredet hätten. Dass K. eine Schere hatte, mit der er Z. bedroht habe, habe Pa. nicht sehen können, das wisse sie nur durch Erzählungen ihrer Kolleg_innen (dies räumt sie erst ein, nachdem der Richter sie durch Nachfragen und Erinnerung an ihre Standposition darauf aufmerksam macht). K. sei dann durch Z. entwaffnet worden, es sei „ein einziger Tumult“ gewesen. Da Pa. Auf der anderen Straßenseite gewesen sei, hätte sie nicht verstehen können, was gesprochen wurde, sie wisse aber, dass es arabisch und deutsch gewesen sei. Danach habe S. gesagt, dass er den Polizeibeamt_innen nur helfen wollte wegen der Schere und dass er übersetzt habe, dass der Geschädigte G. den Geldbeutel zurückbekommen könne, wenn er die Polizei raus lasse. An dieser Stelle hakt der Richter noch einmal ein und fragt, ob S. das tatsächlich gesagt hätte. Pa. Erinnert sich, dass die Äußerung mit der Polizei von dem Geschädigten selbst und nicht von S. gekommen sei.
Einige Fragen werden durch den Schöffen gestellt. Der Schöffe könne sich vorstellen, dass Polizeibeamt_innen bei solch einem Einsatz einen besonders geschulten Blick auf die Klientel hätten. Ihn würde interessieren, ob Pa. Irgendeine Form von Absprachen gesehen habe. Pa. Erläutert, dass dies zum Tatzeitpunkt nicht der Fall gewesen sei, dass die Angeklagten aber zuvor zusammen gestanden hätten. A. und K. und eine dritte unbekannte Person hätten zuvor schon miteinander gesprochen, ansonsten geraucht an einem Geländer gelehnt. Das sei vielleicht eine halbe Stunde vor der Tat gewesen. K. habe den Ort mehrmals verlassen und sei nach einiger Zeit immer wieder gekommen.
Die Staatsanwaltschaft möchte von Pa. Wissen, wann der Angeklagte S. das erste Mal im Geschehen aufgetaucht sei. Laut Pa. ist er in Erscheinung getreten, als „die Treppe runtergerannt wurde“ (gemeint sind A. und G. nach Raub), hätte S. am Kiosk unter dem Viadukt gestanden. Der Staatsanwalt hingegen zitiert aus dem polizeilichen Protokoll, dass S. sich im Hintergrund aufgehalten habe und ob er dazugehören würde, sei nicht bekannt. Die Erkenntnislage habe sich später nicht verbessert oder, fragt er Pa. Ob es möglich sei, dass S. auch einfach später dazu gekommen sei, möchte der Staatsanwalt schließlich wissen. Pa. Bejaht dies. Es seien immer mehr gekommen (wörtlich: „Es sind ja Menschen, die sind immer wieder an diesen Orten. Da mischen sich Kriminelle mit Touristen“). Daraufhin ergänzt der Staatsanwalt etwas abfällig, dass es da (gemeint ist Görlitzer Bahnhof/Park) ja auch üblich sei, dass immer die ganzen Anwohner dazu kommen müssten. Pa. Stimmt zu und fügt hinzu, dass es so auch am Tattag war, allerdings sei nur kommentiert worden, aggressiv sei es nicht gewesen und sie habe auch nicht den Eindruck gehabt, dass S. dem linken Spektrum zuzuordnen gewesen sei. S. sei aber sehr bestürzt gewesen, dass er zu den Tatverdächtigen gezählt wurde, er hätte das Kriminelle hinter sich gelassen. Des Weiteren sei S. verletzt gewesen, er habe eine blutige Nase gehabt, er habe sich jedoch nicht behandeln lassen wollen vor Ort.
Zeuge Hr. G. (Geschädigter G., wissenschaftlicher Mitarbeiter Uni Potsdam)
G. schildert das Geschehnis vom Tattag. Er sei mit L., seinem Freund, von der Markthalle 9 gekommen, als er am Görlitzer Bahnhof von einem Mann angesprochen worden sei, der Mann habe wissen wollen, ob G. Drogen kaufen wolle. G. habe dies verneint und sei die Treppe zu den Bahngleisen weiter hochgegangen. Währenddessen sei ihm das Portemonnaie geklaut worden. Er habe sich kurz orientieren müssen und sei dann hinter dem Täter (A.) hergelaufen. Den habe er schnell wiedererkennen können aufgrund seiner weißen Jacke. G. sei dann über die Straße hinter ihm und einem weiteren Mann, den G. zu der Zeit nicht zuordnen konnte, hergelaufen. Später habe er dann erfahren, dass es sich bei dem Mann um einen Zivilpolizisten (Z.) handelte. Das Ganze habe dann in einem Hauseingang gestoppt.
Der Mann, der ihn an der Treppe angesprochen habe, habe sich zuvor mit einer anderen Person mit einem Fahrrad kurzgeschlossen (2-3 Meter Abstand hätte zwischen ihnen gelegen, erklärt G. auf Nachfrage des Richters), das habe G. beobachtet, als er vom „Späti“ in Richtung U-Bahnaufgang losgegangen sei. Zwischen dem Späti und der Treppe, die zur U-Bahn führt, sei er dann selbst von dem Mann angesprochen. Auf dem Treppenabsatz sei G. dann von dem Mann angerempelt worden, wobei dieser ihm das Portemonnaie gestohlen habe. Er sei aus dem Gleichgewicht gekommen, habe sich abstützen müssen, hätte aber keine Verletzungen davon getragen. Die Person mit dem Fahrrad habe er dabei nicht gesehen, sie sei wohl nicht auf der Treppe gewesen. Im Hauseingang habe G. den „Täter“ dann auf den Boden gedrückt, von einer Schere habe er nichts mitbekommen, das habe sich hinter seinem Rücken abgespielt. Der Zivilpolizist habe seine Marke, die um den Hals hing, erst gezeigt, als „der Täter“ schon gestellt gewesen sei. Auf die Frage des Richters, ob G. von irgendjemandem angesprochen worden sei, erzählt G., dass „der Täter“ zu ihm gesagt habe, dass er die Geldbörse wiederbekomme, wenn er die Polizei raushalte. Des Weiteren möchte der Richter wissen, ob G. die zweite Person (mit dem Fahrrad) bei der Festnahme auch gesehen hätte. G. erklärt, dass ihm drei Personen später im Polizeiwagen gezeigt worden seien, die hätten aber seines Wissens nichts mit der Sache zu tun gehabt. Drei Tage später habe eine Anwohnerin sich bei ihm gemeldet, die seine Geldbörse auf einem Parkplatz gefunden hatte, es sei alles noch drin gewesen.
Die Staatsanwaltschaft beginnt mit der Befragung des Zeugen G. G. wird gefragt, ob die Person mit dem Fahrrad schon am Hauseingang gewesen sei, als sich die Menschentraube gebildet hatte. G. erklärt noch einmal, dass er das nicht wisse, da es sich hinter seinem Rücken abspielte. G. habe den Zivilbeamten Z. immer im Blick gehabt, dieser habe die eine Hand beim „Täter“ und mit der anderen mit Pfefferspray versucht, die umstehenden Menschen zurückzuhalten. Als dann die uniformierten Polizeibeamt_innen eingetroffen seien, sei es für G. nicht mehr nötig gewesen „den Täter“ festzuhalten. Dann sei er an den Rand gegangen.
Die Verteidigung des K. fragt G. nach einer Beschreibung des „Täters“. G. erinnert sich an eine weiße Jacke mit schwarzen Streifen. Die Person mit dem Fahrrad könne er nicht identifizieren und er könne auch nicht sagen, ob die Person dann später auch unter den Festgenommenen gewesen sei.
Der Zeuge G. wird entlassen.
Zeuge Ka. (Zivilbeamter Z.)
Der Zeuge Z. kann nicht zur Verhandlung erscheinen (Urlaub). Es wird eine zeugenschaftliche Äußerung (vom 04.04.2014) durch den Richter verlesen. […]
„…unbekannte Person südländischen Phänotyps…“
„Da A. bei roter Ampel zwischen Fahrzeuge rannte, erhärtete sich für mich der Verdacht einer begangenen Straftat.“
Die Verteidigung des S. merkt an, dass Z. fälschlicher Weise nicht vermerkt habe, dass S. noch vor Ort entlassen wurde, genauso wie nirgends erwähnt werde, dass S. eine Verletzung durch Polizeibeamt_innen davon getragen habe.
Die Beweisaufnahme wird geschlossen.
Abschlussplädoyer der Staatsanwaltschaft
Der Staatsanwalt beginnt sein Plädoyer mit der Erkenntnis, dass selbst die Polizei manchmal nicht auseinanderhalten könne, was sie selbst gesehen habe und was ihr nur durch andere erzählt worden sei.
Der A. sei ja bereits letzte Woche schuldig gesprochen worden.
S. habe dummerweise die Idee gehabt, nochmal hinterherzulaufen und zu gucken, habe aber ansonsten wohl nichts weiter mit der Tat und der Planung zu tun gehabt. Weiterhin führt er aus, dass nicht jeder, der in Kreuzberg mit jemandem rede, gleich mit diesem bekannt sei und vor allem nicht so gut, dass er mit ihm kriminelle Handlungen absprechen würde. Dass S. dann noch auf K. eingewirkt habe, ließen für die Staatsanwaltschaft keine Zweifel mehr daran, dass S. nichts mit der Tat zu tun habe.
K. habe ja die Tat mit der Schere bereits zugegeben. In Bezug auf die erste, ihm vorgeworfene Tat, den Raub, seien die Schilderungen der Polizeibeamt_innen sehr schwammig gewesen. A. werde als Intensivtäter geführt, er bedürfe nicht zwingend einer Verabredung, um eine kriminelle Tat zu begehen. Des Weiteren sei es nicht sicher, dass K. das Fahrrad als Hindernis gedacht habe. Wenn jeder, der im Weg stehe, dadurch als Verdächtiger gelte, dann würde man schon an Verfolgungswahn leiden. Außerdem sei es „in diesem Kulturkreis nicht unüblich, das Leben auf der Straße zu verbringen“. Es sei jedoch anzumerken, dass die Tat mit der Schere „sehr bemerkenswert und erschreckend“ sei und dass dies passiert sei, obwohl der Polizeibeamte sich als solcher zu erkennen gegeben habe. K. habe die Tat weitergeführt, obwohl S. interveniert habe. Man möge sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn S. nicht dazwischen gegangen wäre. Die Staatsanwaltschaft fordert für dieses Vergehen mind. sechs Monate, für jemanden, der aus einem Bürgerkriegsgebiet komme, aber äußerst komfortabel (2500€) leben könne. Das Vorgehen des K. gegen die Polizei ließe sich nicht erklären, auch nicht mit einem andersartigen kulturellen Hintergrund. Schließlich fordert der Staatsanwalt ein Jahr und vier Monate auf Bewährung und ergänzt, dass K. sich dann auf das konzentrieren solle, was angeblich der Grund für seinen Aufenthalt sei.
Die Verteidigerin des S. hält ihr Abschlussplädoyer kurz, fordert für ihren Mandanten Freispruch und schließt sich damit der Staatsanwaltschaft an, wobei sie noch darauf hinweist, dass das eigentlich nie vorkomme.
Die Verteidigung des K. (VK) geht in ihrem Abschlussplädoyer auf die Einkommenssituation des K. ein, welche gegen eine Mittäterschaft spreche. Des Weiteren sei K. von dem Geschädigten nicht identifiziert worden. Zu dem zweiten Tatvorwurf geht der Verteidiger auf die Forderung des Staatsanwalts ein und merkt an, dass diese so hoch angesetzt sei, weil der Staatsanwalt sonst für „Intensivtäter“ zuständig sei. Man müsse hier jedoch berücksichtigen, dass K. geständig und nicht vorbestraft sei. VK kritisiert außerdem, dass der Staatsanwalt die hohe Strafe damit begründet habe, dass K. ein gefährliches Werkzeug (nämlich die Schere) bei sich hatte. Allerdings sei das gefährliche Werkzeug selbst Tatbestandsmerkmal einer gefährlichen Körperverletzung (für die eine Mindeststrafe von sechs Monaten verhängt wird). Das gefährliche Werkzeug könne also nicht dann in einem zweiten Schritt noch einmal als Begründung für eine noch höhere Strafe angeführt werden. Die anderen Verfahren, die vom Staatsanwalt als „Vorstrafen“ berücksichtigt worden seien, seien noch nicht entschieden, es gebe bisher nur eine Anklage, deshalb gelte die Unschuldsvermutung. Zu dem Vorwurf der versuchten Gefangenenbefreiung erklärt VK, dass K. nicht wusste, dass es sich bei Z. um einen Polizisten handelte. K. habe einen „Landsmann“, arabisch sprechend, erkannt und wollte helfen. K. sei darüber hinaus erheblich psychisch beeinträchtigt gewesen, was seine Wahrnehmungsfähigkeit ebenfalls eingeschränkt habe. VK plädiert dafür, die Mindeststrafe von sechs Monaten nicht zu überschreiten.
Urteil
S. sei freizusprechen.
Der Richter betont, dass es für ihn erschreckend sei, dass sich immer, sobald es um Menschen mit Migrationshintergrund gehe, so viele andere, entweder aus einem „ähnlichen kulturellen Hintergrund“ oder aus dem linken Spektrum, einmischen würden und der Polizei das Leben schwer machen würden. S. wird direkt von dem Richter angesprochen mit den Worten: „Halten Sie sich davon fern, vor allem bei ihrer kriminellen Vergangenheit!“
K. sei wegen Widerstands zu 8 Monaten, 3 Jahre auf Bewährung zu verurteilen. Wegen des Tatvorwurfs der versuchten Gefangenenbefreiung werde K. nicht verurteilt, da A. nach Ansicht des Richters zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Gewahrsam war.
Anmerkung zum Abschlussplädoyer der Staatsanwaltschaft: Interessanterweise basiert die Entlastung des K. offenbar darauf, dass A. als sogenannter Intensivtäter geführt wird. Hinzukommen kulturalistische Stereotype (Aufhalten auf der Straße).
Eine Druckversion (pdf) des Protokolls gibt es hier.