17.02.17
Beginn: 9:00 Uhr
Saal: Z16 Amtsgericht Lingen
Presse: Lingener Tagespost, NDR (allerdings nur zur Urteilsverkündigung)
weitere Anwesende: Person von der Gruppe Grenzfrei Lingen, Pressesprecher des Amtsgerichts Lingen (ebenfalls Richter), Sicherheitsbeamter aus Münster, 2 Praktikant*innen, wir (2 Prozessbeobachter*innen aus Münster) alle weiß
- Zeuge F. (Polizist aus Lingen, weiß)
Zeuge F. wird in den Saal gerufen. F. ist Polizeibeamter.
F gibt an, mit einem Kollegem an dem besagten Abend in die Unterkunft gerufen worden zu sein. Es habe einen Vorfall gegeben, bei dem das Handy eines Geflüchteten aus Afghanistan (heute 15 Jahre) gestohlen wurde, der Jugendliche soll stark alkoholisiert gewesen sein. F. stockt bei den Namen der Geschädigten. Der Richter sagt, Namen spielten keine Rolle, F. könne die Personen einfach pauschal benennen. F. nennt sie daraufhin „die Flüchtlinge“.
Die Befragung der Menschen vor Ort sei aufgrund von Sprachschwierigkeiten unmöglich gewesen. Die Anwesenden seien gemeinsam befragt worden. Es wurden Alkoholtests durchgeführt. F. kann die Promille der einzelnen Personen genaustens angeben. (Er hat zuvor noch einmal den Polizeibericht gelesen). Es sei immer wieder über das Handy gesprochen worden und auch sei die Rede von einem Streit, möglicherweise einer körperlichen Auseinandersetzung, zwischen einem der Pakistanis und dem Afghanen gewesen. Diese soll sich am Vortag ereignet haben. F. gibt an, die drei Geschädigten nach dem Handy durchsucht zu haben und auch die Zimmer der drei sowie des Jugendlichen seien durchsucht worden. Das Handy sei nicht aufzufinden gewesen. Der Sachverhalt erschien F. sehr unklar. Eine polizeiliche Ingewahrsamnahme sei zu keinem Zeitpunkt in Betracht gezogen worden. Vielmehr sollen die vermeintlichen Verantwortlichen gesagt haben, dass sich das DRK um die Rücküberführung der drei Geschädigten in die Unterkunft nach Bramsche kümmere. Diese Rücküberführung sei noch für den selben Abend geplant gewesen.
Fragen/ Antworten:
L stellt sich vor, bevor er beginnt, Fragen zu stellen.
Auf Nachfrage nach der Stimmung vor Ort gibt F. an, dass M. (war im Dienst in der Unterkunft) sehr besorgt gewesen sei, insbesondere habe er sich Sorgen um den Jugendlichen gemacht. Der Jugendliche habe die ganze Zeit geweint. Nach den Gründen hätten die anwesenden Beamten nicht gefragt. Die drei Männer aus Pakistan seien nicht auffällig und auch nicht aggressiv gewesen. Für die Vernehmung habe er sich nicht um einen weiteren Sprachmittler bemüht, da er darauf vertraut habe, was der M. übersetzte.
Die Frage, ob F. die Beziehung der vier Männer (3 Geschädigte und der afghanische Jugendliche) einschätzen könne, verneint er.
Zu dem weiteren Verlauf kann P. wenige Angaben machen. Er wisse nur, dass es später eine Anzeige wegen Körperverletzung und Raub gegeben habe, die Ermittlungen danach aber eingestellt worden seien. P. gehe davon aus, dass das Handy im Zuge der Trunkenheit verloren gegangen sei.
P wird von R. aus dem Zeugenstand entlassen.
- Zeuge S. (Angestellter des DRK, weiß)
S wird als Zeuge in den Saal gerufen.
Die Befragung durch den R. und anschließend Verteidiger L. stellt sich als sehr schwierig heraus, da S. angibt, erhebliche Gedächtnislücken zu haben. Er selbst erklärt sich dies damit, dass der Tag, um den es geht, weit zurück liegt (Dez. 2015). Außerdem habe es häufig (gewaltsame) Auseinandersetzungen in der Unterkunft gegeben.
Er erklärt, dass er zu dem antscheidenden Zeitraum mit der Verwaltung der Unterkunft betraut gewesen sei. Allerdings könne er nicht mehr genau sagen, ob er an dem besagten Tag schon Feierabend gemacht hatte oder noch im Dienst war. Er vermutet, dass er an diesem Tag um 16 Uhr Feierabend gemacht habe. Dann habe er einen Anruf erhalten. Es habe einen Streit zwischen den drei Geschädigten und dem Jugendlichen gegeben. Deswegen sei entschieden worden, die Pakistanis „außerhalb zu lagern“, in den Kabinen, die als Quarantäne oder „Iso-Station“ bezeichnet würden. Dort sei auch „eine Flüchtlingsdame“ untergebracht gewesen, weshalb die Securities dazu angehalten worden seien, ein Auge auf die Pakistanis zu halten. Später habe er dann gehört, dass die drei eine Prügelei untereinander gehabt hätten. Einige Tage später sei dann der Sicherheitsdienst beschuldigt worden.
Fragen/Antworten:
S habe versucht die Verteilerstelle in Bramsche anzurufen. Der Plan sei eigentlich gewesen, die drei Männer zu separieren und in die Unterkünfte in Lingen, Bramsche und Solingen zu bringen. Dieser Plan sei gescheitert, da sein Anruf in Bramsche nicht entegegen genommen worden sei. Es habe auch keine Rückmeldung hinsichtlich der Kapazitäten gegeben. Daher sei gemeinsam mit der Polizei entschieden worden, die drei Männer in der Sporthalle unterzubringen. Die Security sei dazu angewiesen worden sein, regelmäßig nach ihnen zu gucken. Eine klarere Anweisung habe es nicht gegeben.
Auf die Frage, ob er die Anweisung erteilt habe, die drei Männer aus Pakistan in die Sporthalle zu verbringen zeigt er sich zunächst unsicher. Ob beschlossen wurde, dass die drei Geschädigten einzuschließen seien, wisse er nicht mehr. Später sagt er aus, dass er die Anweisung erteilt habe. „Die in eine andere Hälfte der Turnhalle zu packen“ sei unmöglich gewesen.
Da er der Sprache der Geflüchteten nicht mächtig sei, habe er sich bezüglich des Berichts über die vermeintliche Prügelei auf die Aussagen des Sicherheitsdienstes verlassen.
Auf die Nachfrage, ob die drei Männer eingeschlossen worden seien, antwortet S., dass von Einschließen keine Rede gewese sei. Er könne sich aber auch nicht mehr genau erinnern.
Verteidiger L. fragt mehrmals nach, ob S. denn gar nicht mehr erinnern könne, wie genau die Anweisung gelautet habe. Nachdem S. einige Male wiederholt, dass er sich an keine Details mehr erinnern könne, gibt L. zu bedenken, dass die Aussagen des S. sehr unglaubwürdig seien.
Für L. stellt es sich als Widerspruch dar, dass S. keine klaren Angaben zu der Situation vor Ort machen könne, es keine Anweisung hinsichtlich des Einsperrens gegeben haben soll und die Security regelmäßig nach den drei Männern gucken sollte.
S wiederholt am Ende der Befragung, dass er – genauso wie alle anderen in der Unterkunft angestellten – Tagesberichte schreiben musste. Im Nachhinein seien aber auch keine Maßnahmen getroffen worden, um derartige Situationen für die Zukunft zu verhindern.
R entlässt S. aus dem Zeugenstand.
Pause von 9:55 bis 10:05 Uhr.
[In der Pause sprechen wir mit dem Sprecher des Gerichts, der selbst Richter ist und die Verhandlung aus dem Publikumsraum mitverfolgt. Er sagt, das Gericht habe häufig Probleme mit Dolmetschern, die nicht gut übersetzen würden. Lachend erzählt er, dass es aber auch stimme, dass wenn er nach dem Wetter draußen fragt, manche Zeugen auf arabisch plötzlich „mit zwanzig Sätzen“ antworten, das sei eben auf “diesen Sprachen” so.]
Nach der Pause sagt L. von sich aus, dass er die Wahrheit der Aussage des Zeugen S., er habe keine Anweisung zum Abschließen des Raumes mit den drei alkoholisierten Männern gegeben, bezweifelt, da eine Frau mit Kind im gleichen Gebäude zugegen war.
- Zeuge J. (jugendlicher Zeuge, PoC)
Als nächster Zeuge wird der afghanische Jugendliche (J.) aufgerufen. Er tritt gemeinsam mit einer Dometscherin ein.
Beide machen Angaben zu ihrer Person. J. ist zum jetzigen Zeitpunkt 15 Jahre alt, wohnt in Lingen und besucht die Schule. Er spricht auch deutsch. Die Befragung wird dennoch mit Hilfe der Dolmetscherin durchgeführt. Auf viele Fragen antwortet J. aber selbständig.
R sagt, er könne den J. eigentlich noch duzen, obwohl er nicht wisse, ob es diese Form auf der Sprache des J. überhaupt gäbe.
J soll dem Gericht das Geschehen schildern. Zu Beginn kommt es zu Unklarheiten, über welchen Tag man spricht. Dann wird sich darauf geeinigt, dass es um den Tag gehe, an dem J. gemeinsam mit zwei der Geschädigten „an der Brücke“ Alkohol getrunken habe. J. sagt, dass er mit zwei der Geschädigten an der Brücke getrunken habe. Insgesamt seien sie zu dritt gewesen. Damals hätten sie sich seit einer Woche gekannt. Zurück in der Unterkunft sei ein dritter Pakistaner dazu gekommen. Es sei der Geschädigte A. gewesen, diese habe ihn schlagen wollen.
Während der Befragung gibt es ein Zwiegespräch zwischen der Dolmetscherin und J. Teilweise stellt die Dolmetscherin Rückfragen an Zeugen und teilweise antwortet sie direkt auf Fragen des R. R weist die Dometscherin an, den Zeugen zu fragen und nicht selbst das Geschehen darzustellen.
Fragen/Antworten:
Im Folgenden sagt J. aus, dass es keine sexuellen Annäherungsversuche seitens des Pakistaners gegeben habe.
Verteidiger L. fragt J. sehr ausführlich nach seinem Grad der Betrunkenheit. J. solle auf einer Skala von 1-10 einschätzen, wie betrunken er an dem besagten Tag gewesen sei. J. kann dies nicht einschätzen. L. wiederholt die Frage dreimal. Schließlich unterbricht R. diese Art der Befragung und weist daraufhin, dass es nicht zielführend sei. L. fragt J. auch nach dem konkreteren Ablauf der Befragung der drei Geschädigten und ihm selbst in der Unterkunft. Unter Hinweis auf zuvor gehörte Aussagen fragt er J., ob die Security den Geschädigten A. am Nacken gepackt und mit dem Gesicht auf einen Stuhl gedrückt habe. Nach Angaben von J. sei das nicht so abgelaufen.
Verteidiger L. möchte immer wieder auf die Betrunkenheit und die emotionale Lage des J. hinaus und versucht sehr sensibel auf die Befindlichkeiten des J. einzugehen. J. sagt immer wieder aus, dass er extrem viel geweint habe. Er sei sehr traurig darüber gewesen, dass sein Handy geklaut wurde. Er habe zudem an seine Familie denken müssen. Schließlich sei das Handy seine einzige Kommunikationsmöglichkeit in seine Heimat.
Verteidiger L. fragt weiter, ob es schon häufiger Probleme mit den Geschädigten gegeben habe. J. sagt aus, dass es auch am Vortag schon Probleme mit dem Geschädigten A. gegeben habe, dass er aber versuchten Schlägen habe ausweichen können.
Auf die Frage des Verteigers L., ob einer der Geschädigten, J. dazu aufgefordert habe, der Polizei gegenüber keine Aussagen zu machen, antwortet J. mit Nein.
Währenddessen beobachten wir, wie der Angeklagte D. leise „Ach, komm schon“ flüstert. Dabei schaut er J. wütend an.
Nachdem R. feststellt, dass es keine weiteren Fragen mehr gibt,
entlässt er den Zeugen J.
[J. versteht sehr gut deutsch und antwortet teilweise direkt auf die Fragen der Verteidigung und des Richters, an anderen Stellen lässt er übersetzen. Gegen Ende der Befragung schaut er sehr traurig auf den Boden. Insbesondere die löchernden Fragen des Verteidigers L., die immer wieder auf die emotionale Lage des Jugendlichen abzielen, scheinen ihn zu treffen]
- Verlesungen
R liest das dem Gericht vorliegende ärztliche Attest vor. Dabei handelt es sich um einen die gebrochene Nase des Geschädigten A betreffenden Bericht der Chrirugie vom 21.12.2015. Danach wurde eine Nasenfraktur diagnostiziert und der Geschädigte ist zwecks einer OP zum HNO-Arzt überwiesen worden. Eine Kommunikation mit dem Patienten hat aufgrund von Sprachbarrieren nicht stattgefunden. Ein Dolmetscher sei nicht erreichbar gewesen.
Außerdem liest R das Vorstrafenregister der beiden Angeklagten für das Protokoll vor.
Zur Person D.: Diebstahl, schwerer Raub und Besitz von Betäubungsmitteln.
Zur Person N.: Keine eingetragenen Vorstrafen.
Danach werden noch einmal die persönlichen Angaben zu den Angeklagten ins Protokoll aufgenommen.
D.: ledig, wohnhaft bei den Eltern. Die Nebentätigkeit im Sicherheitsdienst war nur zwischenzeitlich und auch nur vier mal.
N.: verlobt, ein kleines Kind. Derzeit arbeitssuchend, bezieht Arbeitlosengeld II, ihm wurde vom Sicherheitsdienst fristlos gekündigt.
Ende der Beweisaufnahme.
Pause:
Zu Beginn der Pause unterhalten sich Stenografin und Schöffin darüber, wie unterschiedlich gut und schnell Geflüchtete die deutsche Sprache erlernen.
- Plädoyer des StA
Zu Beginn des Plädoyers betont StA, dass es vor allem auf das Geschehen an dem besagten Abend ankomme und nicht zu sehr auf das Nebengeschehen.
Das Separieren der drei Geschädigten sei nicht verwerflich und den Umständen der Situation geschuldet. Ende 2015 seien die Verhältnisse sehr schwierig gewesen, wenige Personen mussten sich um viele Geflüchtete kümmern und die Lage sei daher nicht ideal gewesen. Einrichtungen seien mit der Situation überfordert gewesen.
In Bezug auf den Vorwurf des Einsperrens gäbe es sehr unterschiedliche Aussagen und der Sachverhalt sei diesbezüglich nicht vollumfänglich aufzuklären.
Es könne sicherlich davon ausgegangen werden, dass keine Anordnung erteilt wurde, die drei Geschädigten einzusperren. Für die StA stelle es sich so dar, dass teilweise ausgesagt wurde, um Kollegen nicht zu belasten, obwohl den Zeug*innen bewusst war, dass das Einsperren nicht rechtens war.
Der StA dränge sich insbesondere die Frage auf, warum die drei Geschädigten nicht in einem anderen Raum unterbegracht werden konnten, einem Raum mit Matratzen u.Ä. Außerdem frage er sich, was in der Nacht passiert sei, nachdem die Rettungssanitäter den Ort wieder verlassen hatten.
Die Aussagen der drei Geschädigten seien stimmig und ließen sich nahtlos in das Gesamtgeschehen eingliedern. Über die Motivation der Angeklagten ließe sich nur spekulieren, da hierzu keinerlei Angaben gemacht worden seien. In Betracht könnte man ziehen, dass die beiden ein Exmepel statuieren wollten. Die Lage sei angespannt gewesen, da hätte man keine neuen Konfliktherde gebrauchen können. Der StA schließt sein Plädoyer damit ab, dass er den Aussagen der drei Geschädigten in vollem Umfang Glauben schenke. Er komme daher zu folgenden Strafanträgen:
N sei zwar der aktivere Teil gewesen, während D. laut allen Aussagen „nur“ mitgewirkt habe. Das mache in Bezug auf die gemeinschaftliche Begehungsweise jedoch keinen Unterschied. Entlastungsgründe seien nicht ersichtlich. Für ihn wiege die Tat umso schwerer, da beide als Sicherheitsleute arbeiteten und eigentlich zur Deeskalation angestellt waren.
Die Körperverletzungsdelikte hinsichtlich der einzelnen Geschädigten seien als Einzeltaten zu verstehen und auch die Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB habe keine Klammerwirkung, da sie das minder schwere Delikt darstelle.
Für N. sieht die StA 1 Jahr Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zum Nachteil des ersten Geschädigten (gebrochene Nase), und jeweils 8 Monaten hinsichtlich der beiden anderen Geschädigten vor. Insgesamt also eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten. Für D. beantragt StA 9 Monate in Bezug auf den ersten Geschädigten und jeweils 8 hinsichtlich der beiden anderen. Insgesamt eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten.
In beiden Fällen können die Strafen auf Bewährung ausgesetzt werden. So müsse die persönliche Überforderung der beiden Angeklagten berücksichtigt werden und eine Wiederholungsgefahr bestünde angesichts der besonders angespannten Lage zum Tatzeitpunkt nicht. Im Fall der Bewährung sei N. zu gemeinnützigen Diensten im Umfang von 200 Stunden zu verurteilen. D. könne zu einer Geldbuße iHv 2000 € als symbolische Wiedergutmachung veruteilt werden.
- Plädoyer der Verteigerin ZH.:
ZH beginnt mit der persönlichen Einsicht, dass dieser Fall ihr deutlich gemacht habe, wie schwierig die Lage für deutsche Behörden im Zusammenhang mit Geflüchteten im Jahr 2015 tatsächlich gewesen sei.
Unter Bezugnahme auf eine Satzung aus einer Gelüchtetenunterkunft in Hannover argumentiert sie mit Sonderregeln, die für sog. Notunterkünfte gelten würden. Diese seien öffentliche Einrichtungen, weshalb dort auch durch Satzung unmittelbarer Zwang bei Satzungsverstößen angeordnet werden könne. Auch die zwangsweise Unterbringung in anderen Einrichtungen und Gebäuden wäre hiernach möglich gewesen. Im vorliegenden Fall hätten die Angeklagten selbst keine Entscheidung zur Unterbringung der Geschädigten getroffen. Dies sei der Verantwortlichkeitssphäre des DRK zuzurechnen. Zudem sei einer Täter als südländisch aussehend beschrieben worden, was zumindest auf den Angeklagten D. nicht zutreffe. Damit würde eine Strafbarkeit wegen Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB schon tatbestandlich nicht in Betracht kommen.
Zu den Tatbeständen der Körperverletzung beginnt sie ihre Ausführungen damit, dass es für sie nicht nachvollziehbar sei, warum die Behandlung der Nasenfraktur bis heute noch nicht erfolgt sei. Auffällig hinsichtlich des Tatvorwurfs sei jedoch, dass nur in den Umkleideräumen Blut gefunden wurde und anderen Orten gerade nicht. Die Täterbeschreibungen hinsichtlich der Körpergröße und weiteren Merkmalen würden nicht passen. Zudem seien die Geschädigten stark alkoholisiert gewesen. Der Geschädigte A. sei in den Tagen zuvor als gewaltbereit aufgefallen. Die prekären Umstände der Geflüchteten sprächen für eine potentielle Angespanntheit und auch Gewaltbereitschaft, die die Ausweglosigkeit ausdrücken könnten. So stehe gerade „bei den Ausländern“ eine Abschiebung immer im Raum. Der M. habe zudem bewusst falsch ausgesagt.
Daher plädiere sie für einen Freispruch des Angeklagten N., gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Rettungssanitäter angegeben hätten, dass der dritte Geschädigte nur simuliere.
Verteidiger L. beantragt 10 Minuten Pause. Dem Antrag wird stattgegeben.
- Plädoyer Verteidiger L.:
Anders als die StA es tue, wolle L. gerade das Nebengeschehen mitberücksichtigen. So frage er sich, warum zwei der Geschädigten den dritten (den A.) aus der Darstellung des Geschehensablaufs heraushielten und nie darüber berichtet wurde, was zwischen dem Jugendlichen und A. vorgefallen sei. Er frage sich, wer nicht die Wahrheit gesagt habe. Der Zeuge S. habe keinen Grund gehabt, die Unwahrheit zu sage, da er nur Dritter war. Anders jedoch die anderen beiden Geschädigten. Möglicherweise wollte der eine Geschädigte A decken, immerhin verbinde sie eine gemeinsame Flucht.
[Dann macht er kurz Ausführungen zu der emotionalen Situation des Jugendlichen, hierbei geht er auf das gestohlene Handy ein. Dieses habe der Jugendliche aus seinem Heimatland Iran mitgenommen. Der Jugendliche kommt jedoch aus Afghanistan und nicht aus dem Iran. Zudem spricht er konsequent den Namen falsch aus.]
Verteidiger L. fragt das Gericht, was von Zeugen zu halten sei, die belehrt worden seien, vollständige Angaben machen zu müssen und die dann Angaben machten, die nicht in Einklang mit anderen Aussagen zu bringen seien. Für ihn stelle sich bereits hier der Anfangsverdacht der Falschaussage. Mit Blick zur StA sagt er, dass hierin ein Ermittlungsgrund liege. Die StA habe sich gerade aus diesem Grund ganz bewusst auf das nächtliche Geschehen konzentriert.
L führt an, dass die drei Geschädigten intellektuell dazu in der Lage seien, sich abzusprechen. Insbesondere hätten die drei gemeinsam vor dem Gerichtssaal gesessen und dort auch darüber geredet, was im Saal gesprochen wurde. Für ihn stelle sich die sofortige Wiedererkennung der Angeklagten durch alle drei Geschädigten als Zeichen der Anpassung der Zeugenaussagen dar. Eine tatsächliche Wiedererkennung habe hingegen nicht stattgefunden.
Desweiteren sei es problematisch, dass die polizeiliche Begragung so abgelaufen sei, dass alle Geschädigten gemeinsam befragt wurden. In Bezug auf die sich wiedersprechenden Aussagen der Polizei ergäben sich jedoch selbstverständlich keine Zweifel am jeweiligen Wahrheitsgehalt, da die Polizei kein eigenes Motiv habe.
Daher seien die Aussagen der Geschädigten in Zweifel zu ziehen und er plädiere für Freispruch des Angeklagten.
Hilfsweise führt er im Folgenden aus, dass aus seiner Sicht zu berücksichtigen sei, wie schwierig die Situation vor Ort gewesen sei. Insbesondere sei es äußerst problematisch, dass es keine verantwortliche Schichtleitung gegeben habe und die Security auf sich gestellt gewesen sei. Dies müsse strafmildernd berücksichtigt werden. Es sei vielfach von chaotischen Umständen gesprochen worden und keiner der vermeintlich Verantwortlichen sei bereit gewesen, Verantwortung zu übernehmen. Insbesondere habe sein Mandant nur übergangsweise zwecks einer Nebentätigkeit im Sicherheitsdienst gearbeitet. Hierzu sei er nicht ausgebildet worden und die Firma hätte dies genauso wenig wie einen erforderlichen Sachkundenachweis verlangt.
Daher seien Einrichtungen mit qualifiziertem Personal zu fordern.
Aufgabe der Security im konkreten Fall sei es gewesen, Angriffe von außen abzuwehren, nicht jedoch seien sie dazu angewiesen worden, Verantwortung in der Geflüchtetenunterkunft selbst zu übernehmen. Der Sinn des Einsperrens habe darin gelegen, dass die ebenfalls anwesende Frau geschützt werden sollte. Der D. habe sich insofern über die Rechtmäßigkeit der Anordnung in einem Irrtum befunden.
Ihm stelle sich die Frage, wie eine Nicht-Fachkraft handeln solle, wenn sie nur die Anweisung erhalte, regelmäßig zu kontrollieren. Daher käme eine Strafbarkeit wegen Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB gerade nicht in Betracht. Zudem sei zu berücksichtigen, dass D. laut Zeugenaussagen selbst nicht geschlagen habe. Daher scheide eine mittäterschaftliche Begehungsweise aus.
L zeigt sich zudem fassungslos über das lange Warten auf eine Genehmigung zur Behandlung der Nasenfraktur des A. Zugleich zieht er aber die Aussage des Geschädigten R. in Zweifel, „der geschlagen worden sein will“. Es sei verwunderlich, dass der Geschädigte, der angibt seit 1,5 Jahren unter Schmerzen zu leiden, nie beim Arzt gewesen sei.
Im Ergebnis käme für D. nur eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Betracht, die mit einer Freiheitsstrafe, die mit 2 Jahren auf Bewährung auszusetzen sei, abzugelten sei. Die von der StA angesetzte Geldbuße sei vor dem Hintergund des Einkommens des D. viel zu hoch angesetzt.
- Urteil:
D wird zu 2 Jahren und 3 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, Vorstrafen (u.a. schwerer Raub) werden berücksichtigt.
N wird zu 2 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafe wird auf drei Jahre Bewährung mit Bewährungshelfer ausgesetzt.
In seinen Ausführungen macht der Richter deutlich, dass für ihn die Freiheitsberaubung besonders schwer wiegt. Dabei macht er darauf aufmerksam, dass “wir” in Deutschland schnell von Folter sprächen, wenn sich in anderen Ländern solche Sachverhalte abspielen. Für ihn sei es in keiner Weise nachzuvollziehen, dass drei Geflüchtete zum Schutz der anderen Geflüchteten und ihrer selbst zur Deeskalation zu dritt (gemeinsam) in den kleinsten auffindbaren Raum gesperrt werden. Dies sei das Gegenteil von Fürsorge, insbesondere vor dem Hintergrund, dass dieser Raum ohne Matratzen o.ä. absolut ungeeignet zur Unterbringung für eine ganze Nacht sei. Darüber habe während des ganzen Geschehens mangels Dolmetscher*innen keine Möglichkeit der Kommunikation zwischen Geflüchteten und Wachmännern bestanden.
Der Richter widerspricht Verteidiger L., der auf Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der Zeugen hingewiesen hatte und betont, dass für ihn keine Zweifel an den Aussagen der Geschädigten bestünden. Ein mögliches Motiv sei gewesen, den Geflüchteten, die für Unruhe gesorgt hatten, eine Abreibung zu verpassen.
Anmerkung:
Die Angeklagten haben Berufung eingelegt: http://www.noz.de/lokales/lingen/artikel/860710/fluechtlinge-misshandelt-in-lingen-wachleute-legen-berufung-ein